Trauergottesdienst in Köln

Erklärungsversuch für das Unerklärliche

Trauergottesdienst in Köln für Absturzopfer
Trauergottesdienst im Kölner Dom nach Flugzeugabsturz: 150 Kerzen, 149 für die Opfer und eine für den Piloten, stehen am 16.04.2015 vor dem Altar. © picture alliance / dpa / Foto: Rolf Vennenbernd
Von Ronald Düker · 17.04.2015
In Köln wird der Opfer des Flugzeugabsturzes in Frankreich gedacht. Bei dem Trauerakt werden Bundespräsident Joachim Gauck und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft anwesend sein. Aber wie werden sie das bewusst herbeigeführte Unglück in Worte fassen?
Trauergottesdienste sollen das Leid der Hinterbliebenen lindern. Sie kontern die Erfahrung des absurden Schweigens, mit der der Tod die Lebenden schockt, durch ein Sprechen. In Erzählungen versichert sich die Gemeinschaft ihrer gemeinsam geteilten Werte, auch wenn zu ihnen nicht mehr unbedingt der Glaube an ein Weiterleben der Toten gehört.
Das Gedenken und Verarbeiten des Absturzes der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen hat es da besonders schwer. Es war kein Unglück, kein Versagen, sondern eine Tat – und sie ist kaum in Worte zu fassen. Erweiterter Selbstmord? Wie absurd und technizistisch hier doch solche Begriffe klingen!
So bodenlos, so abgrundtief böse erscheinen Motiv und Verhalten des Kopiloten, dass es vom Licht der Vernunft kaum auszuleuchten ist. Der Vorfall ist unendlich weit entfernt von allem Wahrscheinlichen und Erwartbaren.
Sprachlosigkeit aber kann die Gemeinschaft schlecht ertragen. Denn ihre Kultur beruht ja auf Verständigung durch Zeichen und Sprache. Sie beruht auf Vernunft und Moral und sie beruht auf Geschichten. Also sind die letzten Wochen mit allen möglichen Erklärungsversuchen des Unerklärlichen vergangen.
Experten haben die Sicherheitsstandards der Fluggesellschaft analysiert, Psychiater darüber diskutiert, woran der Pilot gelitten haben mochte. Und natürlich fahndete man nach irgendeiner Hinterlassenschaft. Einer Spur, die er zuvor selbst noch gelegt haben könnte. Die gibt es aber nicht.
Kein Testament, kein verdächtiges Gespräch unter Kollegen oder Freunden, nicht einmal eine Verhaltensauffälligkeit in den Augen von Ärzten. Es bleibt der moralisch und juristisch geführte Disput um die Grenzen der Schweigepflicht. Wann müssen Ärzte sprechen, um den Arbeitgeber zu warnen und Dritte zu schützen?
Ein Wissen ohne Erkenntnis
Immerhin erfuhren die Ermittler aus dem Browserverlauf seines Tablet-Computers, dass der Kopilot sich in der Woche vor der Tat im Netz über Selbstmord und Verschlussmechanismen von Cockpittüren informiert hatte.
Was aber erzählen diese Suchanfragen im Nachhinein? Sie erzählen gar nichts. All diese Informationen fügen sich zur Chronik eines bewussten Entschlusses zusammen, zu einzelnen Gliedern im Ablauf des fatalen Geschehens. Daher haben sie denselben Wert wie der Flugschreiber, der dokumentiert, wann welcher Schalter umgelegt, wann die Flughöhe verringert und die Geschwindigkeit sogar noch erhöht wurde.
Ob es aber Hass war und woher der stammte, ob es vielleicht eine Kränkung gab, oder Ängste und wovor – davon weiß man bis heute nichts. Hinter das Ereignis selbst, hinter diesen aus Horror gewebten Vorhang hat bis heute noch niemand geschaut. Über allem liegt das Schweigen des Kopiloten.
Nein, schlimmer noch: Es gibt da ja doch dieses eine Lebenszeichen, die Aufnahme des Voice-Recorders von den einsamen letzten Momenten im Cockpit. Ein gleichmäßig ruhiges Atmen – die unendlich langen acht Minuten hindurch bis zum Aufprall der Maschine. Das ist alles. Ein Atmen. Eine menschliche Stimme ohne Botschaft. Ein Testament ohne Worte.
Eigentlich atmet der Mensch, um zu leben. Oder um zu sprechen. Doch der Kopilot spricht nicht. Man hört seine todbringenden Handgriffe an den Armaturen des Cockpits, und man hört als stimmlose Stimme seinen Atem. Der teilt nichts mit, und trägt, auch weil er eben bis zuletzt gleichmäßig und ruhig bleibt, den ganzen Schrecken in sich. Man kann das das Absurde nennen, man kann es auch das Böse nennen.
Das Böse, das auch heute, beim Gottesdienst im Kölner Dom, wohl nicht durch eine Erzählung gebannt werden kann.

Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist Kulturwissenschaftler und Journalist. Er arbeitet vor allem für "DIE ZEIT" und lebt in Berlin.




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