Tragischer Held der Schweizer Luftfahrt

Von Mathias Schulenburg · 24.01.2013
Oskar Bider war gerade 21 Jahre alt, als er am 24. Januar 1913 nonstop die Pyrenäen überflog. In Pau gestartet, erreichte er mit Zusatztanks auf dem Passagiersitz nach fünfeinhalb Stunden Madrid. Biders tragisches Ende beschäftigt die Schriftsteller bis heute.
Oskar Bider, Sohn eines wohlhabenden Basler Textilkaufmanns, hatte sich schon als Gaucho in Argentinien und als Landwirt versucht, ehe er seine Leidenschaft für die Fliegerei entdeckte. Die war vor hundert Jahren, in schwach motorisierten Kisten aus Holz und Leinwand, noch lebensgefährlich, indes: Ende 1912 - da war er 21 - hielt es Bider nicht länger am Boden, er schrieb sich ein bei der berühmten Flugschule Louis Bleriots in Pau, Südfrankreich, am Fuße der Pyrenäen. Dort erwies er sich als ausgesprochen gelehrig und erwarb schon nach einem Monat seine erste Fluglizenz.

Die wie eine Wand aufragenden Pyrenäen hatten es ihm angetan, am Jahresende bestellte er bei Bleriot ein Flugzeug:

"... Zweiplätzer, 70 PH, macht 110 km in der Stunde ..."

Und schrieb wenig später einem Onkel:

"Sobald das Wetter es erlaubt, werde ich meinen geplanten Flug Pau - Madrid versuchen auszuführen. Mein Apparat erlaubt mir das. Denselben halte ich tadellos in Stand und an Stelle des Passagiers habe ich für diese Reise ein Benzinreservoir platzieren lassen. Somit kann ich 165 l Benzin und 40 l Oel mitführen, was mir erlaubt, die Strecke Pau - Madrid 500 km ohne Zwischenlandung durchzuführen."

Erfahrene Piloten hatten dringend vom Pyrenäenabenteuer abgeraten. Die Chronistin Margrit Schriber zitiert die Kritiker:

"Bider soll nicht einmal daran denken. Die Temperaturschwankungen hält keine Maschine aus, die Tankgröße ist zu klein für eine so lange Strecke. [...] Es gibt keinerlei Erfahrungen, und es ist zu bezweifeln, dass ein Mensch längere Zeit in dieser eisigen Kälte durchhält. Die Luftströmung presst den Atem ab, der Motor speit Öl, der Fahrtwind zerstört die aus Glimmer gefertigte Windschutzscheibe, und es prasseln siedend heiße Tropfen ins Gesicht. … und dann: Gute Nacht!"

Der Konstrukteur Louis Bleriot zeigte sich ungerührt:

"Zeig' es ihnen!"

Am 24. Januar 1913 begann das Abenteuer. Mit Zusatztanks auf dem zweiten Passagiersitz erreichte Oskar Bider nach fünfeinhalb Stunden Flug Madrid, nachdem er, gestartet in Pau, die Pyrenäen überquert hatte. Die Heimkehr des Helden war spektakulär, die "Basler Nachrichten" berichteten:

"Das nach vielen Hunderten zählende Publikum rannte zur Landungsstelle, um den kühnen Flieger zu begrüßen. Männer, Frauen, Kinder, …Polizisten, Photographen, Hunde, alles in buntem Durcheinander, und bald war der Flugapparat von einer wild anstürmenden Menschenmenge umgeben, gegenüber der selbst die Kraft der zahlreichen Polizeimannschaft versagte."

Zweieinhalb Monate später glückte Bider auch die Überquerung der Alpen, hin und zurück – drei Jahre nach der Erstüberquerung durch den Peruaner Jorge Chavez, der allerdings die Landung nicht überlebt hatte. Jetzt war Bider weltberühmt.

Im Ersten Weltkrieg war er maßgeblich am Aufbau einer schweizerischen Luftwaffe beteiligt.

Doch dann kam das schreckliche Ende. Der 28-jährige Bider hatte mit einer kleinen Gesellschaft seinen Abschied vom Militärdienst gefeiert, als er gebeten wurde, seine Gäste anderntags über dem Dübendorfer Flughafen nahe Zürich als Flieger zu beeindrucken. Da war er wohl noch nicht nüchtern. Die "Volksstimme" schrieb:

"Kurz nach sechs Uhr startete Oskar Bider [in Dübendorf bei Zürich] in seinem Jagdeinsitzer [...] zu einem Akrobatik-Demonstrationsflug. Minuten später bohrte sich der Doppeldecker auf dem Gelände des Flugplatzes in den Boden. Dem wohl benommenen Piloten war es nicht mehr gelungen, sein [trudelndes] Flugzeug [...] aufzufangen."

Das Drama weitete sich zur Affäre aus. Der Pilot und seine Schwester, die Stummfilmdiva Helene Bider, waren ein unzertrennliches Paar gewesen.
Leny, stets von der Furcht besessen, Oskar werde bei seiner Fliegerei tödlich verunglücken, hatte immer einen Revolver in ihrer Handtasche. Wenige Stunden nach der Botschaft von Oskars Tod setzte sie damit im Zürcher Nobelhotel Bellevue au Lac ihrem Leben ein Ende. Der "Tagesanzeiger" schrieb:

"Die strahlendsten Exemplare der helvetischen Jeunesse dorée, Kinder eines wohlhabenden Baselbieter Tuchfabrikanten, werden drei Tage später in ihrem Heimatdorf Langenbruck beigesetzt, der Sarg des Nationalhelden wird von einer Schweizer Fahne bedeckt und ist mit Blumen geschmückt, denjenigen der Selbstmörderin ziert lediglich ein schwarzes Tuch."