Töpfer: Rücktritt von Köhler nicht wegen mangelnder Stressfähigkeit

Klaus Töpfer im Hanns Ostermann · 01.06.2010
Dass Bundespräsident Horst Köhler "so aus dem Nichts heraus" zurückgetreten sei, sei die Folge längerer Entwicklungen, sagt der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU). Mangelnde Stressfähigkeit könne er aber nicht als hinreichende Begründung ansehen.
Hanns Ostermann: Eindrucksvoller kann ein Warnschuss wohl kaum ausfallen: Tiere verenden, Experten sind ratlos, Ölwolken ersticken alles Leben. Was sich derzeit im Golf von Mexiko abspielt, ist nicht nur die schwerste Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA - diese Ölpest zeigt wohl auch, wohin zügelloses Wirtschaften führen kann, Deepwater Horizon steht für grenzenlose Gier, für ein Wirtschaften, das die Zukunft vergisst.

Nur, wie schaffen wir es möglichst schnell, vom Erdöl unabhängig zu werden, also schonender mit unserer Umwelt umzugehen? Darüber möchte ich mit Klaus Töpfer reden, dem früheren Bundesumweltminister und ehemaligen Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Guten Morgen, Herr Töpfer!

Klaus Töpfer: Einen schönen guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Sie haben einmal gesagt, wir haben BP als ein Unternehmen kennengelernt, das sich Nachhaltigkeitsbelangen gegenüber aufgeschlossen gezeigt hat. Gilt das heute immer noch?

Töpfer: Ja, diese Wertung wird jeden Tag wieder neu widerlegt, muss man leider sagen. BP war mal ein Unternehmen, das vor gar nicht langer Zeit die beiden Buchstaben B und P nicht mehr British Petroleum, sondern Beyond Petroleum übersetzte. Aber lassen Sie mich eins hinzufügen: Sie sagen, dies sei eine ökologische Katastrophe – das ist sicher richtig, aber es ist auch ein menschlich soziales Drama.

Wenn Sie sich einmal vorstellen, wie viele Menschen gerade in dieser Region von der Natur, von der intakten Natur gelebt haben, vom Tourismus, von der Fischerei, die dort in der Natur ihren Lebensabend vollbringen wollten, die dort investiert haben für ihre letzten finanziellen Möglichkeiten ... Also wir sehen, dass dies, was wir als ökologische Katastrophe in besonderer Weise wahrnehmen, in vielen, vielen Bereichen Rückwirkung auf die Stabilität ganzer sozialer Netze hat und die Menschen nicht mehr Perspektive gewinnen lässt.

Also geht es überall darum, dass wir fragen, wie kann man eine wirtschaftliche Situation, die auf solchen Risiken mit aufbauen muss, verändern, ohne dass man den Menschen Perspektive nimmt. Das zusammenzuführen, wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit auch in der eigenen Lebensplanung, Gestaltung einerseits und die Stabilität der Natur andererseits ... Bisher haben im ökologischen Bereich, bei Petroleum und bei fossilen Energien ja vornehmlich über die CO2-Konsequenzen gesprochen, jetzt sehen wir, dass ganz andere Risiken auch noch eine riesige Rolle spielen.

Ostermann: Präsident Obama will ja zumindest die Ölbohrung vor den Küsten verbieten. Deutet sich hier so etwas wie ein Kurswechsel an oder ist das noch viel zu früh für diese Einschätzung?

Töpfer: Ich glaube, das ist zu früh. Wir werden sehen, dass solange es nicht gelingt, wirklich wirtschaftliche Stabilität zu erhalten, ohne auf fossile Energieträger aufbauen zu müssen - und gehen Sie bitte davon aus, gegenwärtig wird etwa die Weltenergieversorgung zu fast 75 Prozent von Kohle, Mineralöl und Gas geleistet –, wenn diese Abhängigkeit nicht kommt, dann wird man immer und immer wieder in Zwangssituationen hineinkommen.

Dann kommt eben dieser unheilvolle Satz, wir haben keine andere Wahl - ein Satz, den ich von ganzem Herzen ablehne, weil er eigentlich eine Aufkündigung von Gestaltungsmöglichkeiten bis hin zu demokratischer Teilhabe hat. Nein, wir müssen diese Wahlmöglichkeiten erhöhen, wir müssen alles daran setzen, dass man solche Risiken abwägen kann, ohne dass man perspektivlos wird.

Ostermann: Wo liegen die Wahlmöglichkeiten in erster Linie?

Töpfer: Also ich glaube, in der Energieversorgung ist das sicherlich massiv jetzt angezeigt. Sie werden eine Welt mit bald neun Milliarden Menschen nicht nur auf der Grundlage fossiler Energieträger mit lebenswichtiger Energie versorgen können. Diese Perspektive heißt natürlich, lass uns alles daran setzen, endlich einmal den Preisen der Energie wirklich die Ernsthaftigkeit zu geben, die sie hat.

Wir selbst erhöhen ja permanent Marktwirtschaft, wenn wir Kosten eines Produktes nicht mehr in den Produktpreisen sich niederschlagen lassen, und damit so etwas wie insinuieren, wie vorgaukeln, als wäre das billig, was gar nicht billig ist! Und damit, wenn in der Marktwirtschaft psychologischer Fortschritt eintritt, ist es immer eine Reaktion auf Knappheiten, und Knappheiten drücken sich in hohem Maße in Preisen aus. Wenn die Preise subventioniert werden, kriegen Sie falsche Signale für technologische Entwicklung, wir wären gänzlich weiter in erneuerbaren Energien, wenn die Preise für fossile Energien, für Mineralöl diese Knappheiten schon ausgedrückt hätten.

Ostermann: Also böse formuliert könnte man sagen, wir stecken wohl noch nicht tief genug in der Katastrophe?

Töpfer: Ja, es ist in der Tat eine extreme Vorausforderung und Schwierigkeit und das ist ja nicht nur eine, die BP trifft, sondern die alle, die sich mit Energie beschäftigen, trifft, und die uns letztlich alle selbst auch mit trifft, bis in unsere Siedlungsstrukturen hinein. Wir sind ausgegangen davon, dass Energie billig ist. Ja, und dann kann man Pendelwege, längere Pendelwege in Kauf nehmen und dann werden wir sehen, dass wir eine dezentralisiertere wirtschaftliche Entwicklung nicht bekommen.

Also diese strukturellen Konsequenzen sind wesentlich weiterreichend als dass wir nur fragen, wie weit sind wir mit der Entwicklung von Solarenergie, von Windenergie, von anderen erneuerbaren Energien. Wir müssen sehr viel mehr sehen, auch das kann man ja etwas plakativ sagen, dass die Preise von gestern die Strukturen von heute bestimmen.

So ist es nun mal in einem so durch Preissignale geführten wirtschaftlichen Entwicklungsprozess, wenn wir diese manipulieren, direkt, indirekt, bewusst oder unbewusst, da werden wir sehen, dass wir auf diese Preise ausgerichtete Strukturen haben, die sich dann extrem schwer ändern lassen und immer wieder Zwänge erzeugen, die bis in das Bohren in immer größere Tiefen hineingehen. Sehen Sie sich das an, was jetzt vor Brasilien entdeckt worden ist, in vielen Bereichen auch. Nicht nur die Tiefe, sondern die Kalamität, diese Problematik des Produktes steigt deutlich an, ...

Ostermann: Da werden Grenzen überschritten.

Töpfer: ... da werden Grenzen überschritten.

Ostermann: Herr Töpfer, wir müssen natürlich kurz auch noch über den gestrigen Rücktritt des Bundespräsidenten sprechen, also das Thema wechseln. Können Sie als ehemaliger Politiker nachvollziehen, dass der Bundespräsident das Handtuch geworfen hat?

Töpfer: Ach zunächst einmal fragt man sich betroffen, was man vielleicht, ohne dass man hier selbst überhebt, falsch gemacht hat, nicht getan hat, um diesem Bundespräsidenten ein Signal zu geben, dass er verstanden wurde. Ich habe ihn immer, und immer wieder auch gerade in seinen Reden zur ökologischen Perspektive hoch geschätzt. Dass er so aus, für viele fast aus dem Nichts heraus zurücktritt, das hat ja alles Wurzeln, das hat ja alles Entwicklung.

Also zunächst einmal gilt ihm meine Sympathie, und ich hoffe, dass er eine sehr gute Grundlage wieder findet für sich, für seine Familie, für die Perspektive. Und darüber hinaus ist natürlich auch immer wieder zu fragen, wie man im politischen Leben auch gefordert wird. Das, da ist man nicht gleich weich und nicht stressfähig ... Ich kann das nicht als hinreichende Begründung ansehen, aber das ist meine Wertung.

Ich respektiere zunächst einmal das, was der Bundespräsident gemacht hat, dass er von diesem Amt sicherlich nicht leichtfertig weggegangen ist, und dann werden wir alles dransetzen müssen, glaube ich, dass man diese Reaktionen, die in den wenigsten Fällen sich so eruptiv äußern, dass wir diese etwas ernster nehmen. Leider, leider ist dadurch sicherlich auch das höchste Amt im Staate nicht gerade in die allerklarste Perspektive für die Zukunft gesetzt worden.

Ostermann: Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer, Herr Töpfer, danke Ihnen für das Gespräch!

Töpfer: Ich danke Ihnen auch, Herr Ostermann!