Tödliches Arsen

Von Annegret Faber · 05.06.2011
Es ist vielleicht die größte Vergiftungswelle in der Geschichte der Menschheit: In den Dörfern Bangladeschs ist das Wasser zahlloser Brunnen mit Arsen belastet. Deutsche Forscher wollen nun mit einem Schnelltest Abhilfe schaffen.
8.30 Uhr am Morgen. Die Straßen der Hauptstadt Dhaka sind hoffnungslos überlastet. Alte, bunt bemalte Busse, daneben PKW und unzähligen Rikschas. Jeder Zentimeter der dreispurigen Straße wird ausgenutzt. Auch ein Kleinbus mit deutschen Wissenschaftlern drängelt sich heute zwischen den Automassen und versucht aus der Stadt zu kommen.

Wir fahren jetzt in den Bezirk Arai Hasar in ein kleines Dorf, das Nowapara heißt.

Zwei Stunden Autofahrt für 25 Kilometer, rechnet Konrad Siegfried. Er war bereits in Novapara. Die Menschen dort kennt er und sie kennen ihn.

Wir fahren hin um dort Grundwasserbrunnen zu testen, auf ihren Arsengehalt, und den Leuten das dann mitzuteilen.

Ein mit Wasser überflutetes Feld, links der Straße, fällt als Erstes ins Auge. Frauen und Kinder nutzen den Gras-See für die Morgenwäsche. Sie stehen bis zu den Knien im Wasser und reiben sich mit Seife ein. Rechts neben der Straße führt ein Trampelpfad in einen Palmenwald. Unzählige Wellblechhütten verstecken sich hier, die einfachen Behausungen der Dorfbewohner. Zwei Dutzend von Ihnen warten bereits auf die Wissenschaftler. Unter ihnen viele Kinder und die 27-jährige Lucky. Ihr Brunnen wurde bereits getestet.

"200 Mikrogramm Arsen pro Liter, wurden in meinem Brunnen getestet", sagt Lucky. Das ist das 20-fache der zulässigen Höchstmenge, und damit extrem gesundheitsschädlich. Die Höchstmenge wurde von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, weltweit festgelegt. Diese hohen Arsenmengen sind in Bangladesch beinahe normal und werden in einigen Gebieten noch weit überschritten, erklärt die Mikrobiologin Carola Endes. Zusammen mit Konrad Siegfried arbeitet sie im Helmholtzzentrum für Umweltforschung/UFZ in Leipzig. Seit drei Wochen sind sie in Bangladesch und führen einen Feldversuch durch. Sie messen die Arsengehalte der Pumpbrunnen mit einem neuen Testverfahren. Gerade bereiten Sie die Tests für den heutigen Tag vor.

"Erstaunlich war, dass an dem ersten Standort, wo wir gemessen haben, waren alle 30 Brunnen relativ homogen belastet. Das heißt, die hatten alle 200 bis 300 Mikrogramm Arsen im Grundwasser. Und dann sind wir hierher gekommen, also andere Gegend, andere Bodenbeschaffenheit, andere Bedingungen und die Belastungen schwanken hier sehr stark und natürlich die traurige Wahrheit, dass es sehr viele belastete Brunnen gibt."

Ein Problem, das erst seit der Unabhängigkeit des Landes 1971 existiert. Damals wollten die Vereinten Nationen den Einwohnern zu sauberem Trinkwasser verhelfen und bohrten 11 Millionen Brunnen, darunter drei Millionen Hausbrunnen. Davor ließ das verdreckte Oberflächenwasser die Menschen an Cholera oder anderen Krankheiten sterben. Brunnen schienen die Lösung zu sein. Doch in den oberen Erdschichten, also da, woher nun das vermeintlich saubere Trinkwasser fließt, liegt ein tödliches Problem – Arsen. Ein Fakt der damals nicht untersucht wurde.

Über Millionen Jahre hat sich hier das Halbmetall angesammelt. Mikroorganismen sorgen dafür, dass es ins Grundwasser gerät. Die Folge: Die Menschen sterben nun nicht mehr durch verdrecktes Oberflächenwasser, sondern vergiften sich am Grundwasser. Der Mikrobiologe Dr. Kader Abdul ist nach Novapara gekommen, um den Deutschen bei der Messkampagne zu helfen. In Jeans, Lederschuhen und einem weißes Hemd steht er vor einer der Wellblechhütten.

"Wenn die Menschen das Wasser trinken, sterben sie in 15, 20 Jahren. Und dadurch haben sie Angst, mehr Angst als früher, als sie noch an Cholera starben. Das ist das Problem."

50 Millionen Bengali sind betroffen, so die Schätzungen der WHO. Sie alle leiden an einer chronischen Arsenvergiftung und sterben früher oder später daran. Man spricht von der größten Vergiftungswelle in der Geschichte der Menschheit. Die Regierung ist hilflos. Es gibt kein Geld für Aufklärungskampagnen, geschweige denn für großflächige Wassersysteme.

Hilfe kommt von NGOs – nichtsstaatlichen Organisationen. Zum Beispiel fahren so genannte Satellitenkliniken über die Dörfer, um den Menschen zu helfen. Einer der Mitarbeiter ist Dr. Achmed Salam. Er sitzt in einer der Wellblechhütten, untersucht einen Dorfbewohner, und erklärt die Krankheitsbilder der Arsenikose, der chronischen Arsenvergiftung.

"Arsenvergiftung erkennen sie an Melanose, also dunkle Flecken im Gesicht, An den Fußsohlen und Händen entstehen Verhärtungen unter der Haut. Flecken zeigen sich. Die Glieder verlieren ihre Beweglichkeit, was zur Amputation führt. Die Haut wird schwarz, stirbt ab und im Körper entstehen Krebsgeschwüre."

Der Patient Mohamed Asanluar zeigt erste Zeichen der Arsenikose. Er ist Mitte 40 und auffallend dünn. Außer einem Tuch um die Hüften trägt er keine Kleidung. Seine Haut zeigt Pigmentstörungen und dunkle Flecken. Die Fingernagelbetten sind schwarz gefärbt.

"Ich fühle mich nicht gut, bin immer sehr müde. Mir ist übel, das Wasser brennt auf meiner Haut. Das macht mir Sorgen."

Der schmächtige Mann darf kein arsenhaltiges Wasser mehr trinken. Mit einem Wasserfilter wäre das kein Problem. Diese werden von NGOs zum Teil kostenlos verteilt. Durch Oxidation der Arsenverbindungen und nachfolgende Ausfällung durch Eisenionen holen die Filter das Arsen aus dem Wasser. Das Problem: Die Filter sind nicht akzeptiert, denn sie sind umständlich zu handhaben.

Da Arsen geschmacks- und geruchlos ist, müssen die Menschen in Bangladesch besser über das Problem aufgeklärt werden, sagt Dr. Salamat Khadker auf einer Tagung in der Hauptstadt Dhaka. Die Tagung wurde im Vorfeld vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung von Leipzig aus organisiert. Thema ist das Arsenproblem in Bangladesch.

"Bangladesch ist ein Land, wo viele Probleme hat, aber es gibt sehr wenige Lösungen."

Der Bengale studierte in Deutschland Medizin. Seit 2002 ist er zurück in Bangladesch und arbeitet hier bei der Weltgesundheitsorganisation in der Abteilung für Umwelt und Gesundheitsmedizin. Er zählt die größten Probleme des Landes auf.

"Wie zum Beispiele die Population, die Klimawandel und zusätzlich ist ein Problem die Arsenkonzentration im Grundwasser. Die Regierung ist nicht in der Lage, diese Probleme selbst zu lösen, weil die Regierung viele andere Probleme hat, die sie selber lösen muss."

Überbevölkerung, Armut, Umweltkatastrophen. Das kleine Land ist überfordert. Bangladesch ist etwas größer als Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Auf dieser Fläche leben ungefähr 150 Millionen Menschen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. 25 Prozent der Bengalen leben auf der Straße, ohne Papiere und ohne Wohnung. Das nächste Problem: der Klimawandel. Die Küstenregion Bangladeschs, mit ihren 15 Millionen Einwohnern, ist die weltweit am stärksten von der globalen Erwärmung betroffene Region, bezogen auf die Einwohnerzahl pro Quadratmeter. Wirbelstürme bringen vor allem im Frühling und im Herbst Überflutungen. Betroffen sind vor allem die Ärmsten. Wenn sie nicht an Hunger und Krankheit sterben, kommt das Gift zum Zuge.

Zurück in Novapara. Es sind 35 Grad. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 80 Prozent.

"Also wir pumpen erst einmal zehn Minuten, damit wir wirklich auch das Wasser aus dem… a little bit faster, that’s why the water from the Groundwater… dass wir das Wasser aus dem Grundwasser bekommen."

Der Geograf Konrad Siegfried pumpt Wasser aus einem Rohbrunnen, der in einem Holzverschlag steht. Das Wasser sprudelt aus dem Metallschnabel, läuft über einen glatten Stein hinunter zu einem der vielen kleinen Trampelpfade, die die Hütten des Dorfes miteinander verbinden. Die Probe bringt er dann zum Dorfplatz. Dort stehen, unter freiem Himmel, auf Lehmboden, ein Holztisch und ein Plastikstuhl. Auf dem Tisch die Messgeräte – viele Glasröhrchen und der sogenannte Luminometer – das Herz eines neuen Arsenschnelltestverfahrens mit dem Namen ARSOlux.

Der Mikrobiologe Prof. Hauke Harms vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung/UFZ in Leipzig wartet auf das zu testende Wasser. Er ist an der Entwicklung des neuen Verfahrens maßgeblich beteiligt. In Fachkreisen wird der Biosensor stark beachtet. Er ist ein großer Fortschritt. Schnell, unkompliziert und preisgünstig kann mit dem Testkit Arsen im Wasser und in Lebensmitteln nachgewiesen werden. Bakterien leisten hier die entscheidende Arbeit.

"Die ganz normalen Colibakterien, die in der Forschung angewendet werden, die verstehen es, sich gegen Arsen zur Wehr zu setzen. Wenn Arsen in ihrer Umwelt vorhanden ist, dann schalten sie einen Abwehrmechanismus ein, der das Arsen, das in die Zelle eindringt, immer wieder hinaus pumpt. Und diesen Schalter, den die Bakterien dazu verwenden, den koppeln wir mit etwas, das sichtbar ist. Das kann Licht sein aber auch Farbbildung sein, beispielsweise. Und die Bakterien, die produzieren dann Licht, so wie sie mit Arsen in Kontakt kommen und diese Lichtabgabe, die ist dann auch Dosis abhängig."

Die Mikrobiologin Carola Endes führt die Tests durch. Umringt von einem Dutzend Kindern pipetiert sie das Brunnenwasser in die kleinen Glasröhrchen. In den Röhrchen befinden sich die genveränderten Bakterien.

"Und bei Arsenkontakt fangen sie zu leuchten an und diese Lichtemission können wir messen, mit einem speziellen Gerät, dem Luminometer, und aus den errechneten Lichtwerten können wir die Konzentration an Arsen dann bestimmen."

Die R6-Batterie großen Glasröhrchen werden dann in den Luminomter gesteckt, und der misst die Lichteinheiten. Ein Testverfahren, das für Bangladesch ideal geeignet ist, sagt Konrad Siegfried. Innerhalb weniger Stunden könnten mehrere Hundert Brunnen getestet werden. Gerade ist er dabei das gekaufte Mineralwasser aus dem Dorfladen zu testen, das theoretisch arsenfei sein müsste.

"Das Fresh Mineralwasser, was es hier gibt, enthält erhöhtes Arsen. Auf den Flaschen steht immer, da ist null Arsen drin. Das stimmt aber nicht. Das ist wirklich Betrug, was die da machen."

"Ich hole mir jetzt das Wasser von einem der entfernten Brunnen", erklärt Lucky. Ihr Brunnen wurde rot markiert und gesperrt. Arsenfreie Brunnen werden grün gestrichen. Der nächste, notwendige Schritt, ein Wassersystem mit entsprechenden Filtertechniken, scheint in weiter Ferne. Es fehlt an Geld. Schon die Organisation einer landesweiten Messreihe erweist sich als schwierig. Korruption und Chaos regieren das Land.

Zurück in Dhaka. Der Leipziger Wissenschaftler Konrad Siegfried steht vor einem Restaurant, raucht eine Zigarette und beobachtet den Verkehr. Rikschas und Autos drängen auch zu später Stunde aneinander vorbei. Dhaka scheint niemals Ruhe zu finden.

"Man muss hier dezentrale Lösungen finden, die die Dorfbewohner anwenden können. Man kann von jemanden, der nicht Lesen und schreiben kann, und also sich hauptsächlich darum kümmert, am Abend und am Mittag für seine Kinder was zu essen zu haben, von dem kann man nicht verlangen, dass er sich um Arsen oder um irgendwas anderes interessiert."

Wenn wir den Menschen in Bangladesch helfen wollen, sagt der Geograf später, müssen wir lernen zu denken wie sie. Aber das schafft man nicht in drei Wochen. Das braucht Jahre.
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