Tödliche Spritze für Todeskandidaten

Von Barbara Jentzsch · 07.12.2007
Als Amerikas Oberster Gerichtshof in diesem Herbst innerhalb weniger Wochen drei Hinrichtungen blockierte, glaubten manche, das Ende der Todesstrafe sei näher gerückt. Es geht dem Supreme Court aber nicht um die Abschaffung der Strafe, sondern nur um eine eventuelle Reform. Zur Debatte steht, ob die am 7. Dezember 1982 in Texas zum ersten Mal angewendete Tötung von Gefangenen mit der Giftspritze gegen die Verfassung verstößt.
"Nächstes Jahr werde ich in Pension gehen und ehrlich gesagt, werde ich meine Arbeit nicht vermissen. Es gibt Augenblicke, da stehe ich da und sehe zu, wie die Flüssigkeiten in der Spritze anfangen zu fließen. Und dann frage ich mich, ob es richtig ist, was wir hier tun. Darüber werde ich den Rest meines Lebens nachdenken."

Jim Willett, Gefängniswärter im Todestrakt von Huntsville, Texas im Radiosender National Public Radio.

Als die Todesspritze 1977 gesetzlich erlaubt wurde, galt sie als fortschrittlich und humaner als die bis dato üblichen Praktiken: elektrischer Stuhl, Gaskammer, Strang oder Erschießung. Dass über Wirkungsweise und exakte Zusammensetzung der tödlichen Giftmixtur strenges Stillschweigen bewahrt wurde, regte niemanden auf. Es reichte zu wissen: Die erste von insgesamt drei Drogen würde den Gefangenen einschläfern, die zweite sollte eine totale Muskellähmung herbeiführen und die dritte das Herz zum Stillstand bringen. Der Gefängnisgeistliche Reverend Caroll Pickett war anwesend, als dem Kidnapper und Mörder Charlie Brooks am 7. Dezember 1982 Amerikas erste Todesspritze gesetzt wurde.

"Es war ein total neues Konzept für eine humane Exekution. Und wir waren die allerersten. Es war fast wie eine neue Welt."
Reverend Picketts schöne neue Welt entstand in Oklahoma. Nachdem dort der elektrische Stuhl zusammengebrochen war, habe sich ein Lokalpolitiker namens Bill Wiseman auf die Suche nach einer humaneren Methode gemacht. Und weiter erzählt die Zeitung "Austin American Statesman" die Geschichte so:

Wiseman konsultierte eine Vielzahl von Ärzten. Sie weigerten sich, ihm zu helfen. ... Doch dann traf er einen gewissen Jay Chapman, Oklahomas Leichenbeschauer. Chapman hatte zwar keine pharmakologische Ausbildung, aber er hatte eine Meinung und er wollte helfen. Er diktierte dem Politiker Wiseman den Wortlaut, der bald als nationales Rezept für die Giftspritze gelten würde: "In den Arm des Gefangenen soll eine intravenöse Salzlösung tropfen, in die eine tödliche Mixtur aus einem sofort wirkenden Barbiturat kombiniert mit einer Lähmung verursachenden Chemikalie gespritzt wird." Später fügte Chapman vorsichtshalber eine dritte Droge hinzu. Er wollte sicher sein, dass der Gefangene wirklich tot war.

Chapmans Patentrezept wurde in Oklahoma zum Gesetz. Texas kupferte es umgehend ab und weitere 35 Bundesstaaten schlossen sich an. Schnell, schmerzlos und human wollte Amerika seine Todeskandidaten beseitigen, doch Theorie und Praxis klafften von Anfang an weit auseinander. Das Washingtoner Death Penalty Information Center dokumentierte allein bis 1995 mehr als 20 "problematische" Hinrichtungen. Manchmal konnte das so genannte Injektionsteam keine geeignete Vene finden. Oder es wurde eine ungenügende Dosis des Betäubungsgiftes verabreicht. Statt 15 Minuten dauerte die Prozedur eine dreiviertel Stunde. Aus North Carolina berichteten Augenzeugen, dass sich ein Todeskandidat während der Hinrichtung aufsetzte und würgte. Er habe geröchelt und heftig die Arme bewegt.

Deborah Denno, Rechtsprofessorin der Fordham Universität, bilanziert in einer Untersuchung zur Qualifikation des Exekutionspersonals:
"Wir würden diesen Leuten nicht erlauben, einen Hamburger zu zu bereiten. Sie sind von grober Inkompetenz."

928 Gefangene sind seit 1982 mit der Giftspritze hingerichtet worden. In diesem Herbst blockierte der Supreme Court drei Hinrichtungen. Das deutet jedoch nicht auf Abschaffung der Strafe, sondern nur auf eine eventuelle Reform der Hinrichtungsmethode. Bis der Oberste Gerichtshof im Juni nächsten Jahres über die weitere Zulässigkeit der Giftspritze entscheidet, bleiben alle Nadeln liegen.