Theater Odéon in Paris wiedereröffnet

27.04.2006
Das "Théatre de l'Odéon" gehört zu den geschichtsträchtigsten Theatern von Paris. In den vergangenen drei Jahren wurde des neoklassizistische Gebäude renoviert. Jetzt wurde das Theater wiedereröffnet - ein Gespräch mit unserem Mitarbeiter Eberhard Spreng.
Jürgen Liebing: Die Franzosen, die Pariser besonders, haben dieses Theater wieder in Besitz genommen und sie können, das weiß man, sie können inszenieren, können feiern. Wie haben sie das denn heute Abend gemacht?

Eberhard Spreng: Na, mit einer großen Nonchalance und ohne Pomp und Protokoll, kann man sagen, glücklicherweise. Es war das Künstlervölkchen, was sich in Paris hier normalerweise immer bei mondänen Premieren versammelt, was heute Abend auch wieder da war. Und was nach einer relativ kurzen Aufführung, sich aufs kalte Buffet und aufeinander gestürzt hat, um mit der großen Freude, sich nach Wochen und Monaten wieder zu treffen und wieder einen schönen Anlass gefunden zu haben, um das Pariser Kulturleben wieder aufleben lassen zu können.

Liebing: Haben sie sich vornehmlich mit sich selbst beschäftigt, oder haben sie auch dieses Theater als neues Theater wahrgenommen?

Spreng: Sie haben sich gefreut, denke ich, über das schöne indirekte Licht, das das Foyer, das Säulenfoyer, in einem gelben Glanz erstrahlen lässt. Sie waren möglicherweise auch erstaunt darüber, dass der Saal selbst, der Zuschauerraum und die Bühne, so relativ unverändert erscheint. Es ist eine sehr behutsame Sanierung gewesen, die fast den Eindruck macht, als habe man die Patina, die das Haus immer schon hatte, nach immerhin mehr als 225 Jahren doch gleich, auch während der Renovierung, behalten sollen. Man merkt gar nicht mal, dass die Orchestersitze, also das Parkett leicht ansteigt, um die Sichtmöglichkeiten zu verbessern. All das ist sehr behutsam und sehr smooth, wenn ich mal sagen darf, gemacht worden. Und das überrascht wirklich sehr, sehr stark.

Liebing: Nun würde man eigentlich annehmen, dass in so einem altehrwürdigen Theater, wie dem Théâtre de l' Odéon mit seiner Patina, es heute Abend dann auch, nehmen wir einmal an, einen Racine, einen Corneille, einen Molière, gegeben hätte. Aber es gab einen Shakespeare: Hamlet. Sie sagten aber, das sei eine sehr kurze Aufführung gewesen.

Spreng: Ja, das war nur eine Stunde, zwanzig Minuten. Die Aufführung heißt im Untertitel "un Songe", also ein Traum, kann man sagen, Hamlet - ein Traum. Ja, das ist wie das, was wir alle kennen: Der Traum dauert nicht so lange wie das Leben. Und Hamlet ist diesmal, sozusagen, nicht dem Drama eines väterlichen Auftrages, eines väterlichen Erbes, eines Racheauftrages, ausgesetzt, den er auszuführen hat. Sondern er bewegt sich in dem Geschehen ein bisschen wie einer, der einen Traum erlebt. Und alle Figuren, die dort auftauchen - eher choreographiert, eher in Bilder gestellt, ein bisschen eingefroren wie die Schaufensterpuppen - das sind alles keine wirklichen Figuren, die ihm wirkliche Widerstände entgegensetzen, sondern es sind Erfindungen eines fantasievollen Gehirns.

Liebing: Also ist es eine Paraphrase gleichsam über den Hamlet?

Spreng: Es ist eine Paraphrase, es ist die Freude des Regisseurs Georges Lavaudant am Bildertheater, an der Loslösung der Stimme von der großen Rhetorik. Es wird sehr beiläufig, privat gesprochen. Man kann das mit den heutigen Mikrophonübertragungsanlagen sehr gut tun. Man kann Videoprojektionen dazu kombinieren und erlebt dann sozusagen ein multimediales son-et-lumière-Spektakel, das dann mit dem Monolog "Sein oder nicht sein" endet. Und dieser Moment ist dann ein bisschen wie der Moment des Aufwachens zwischen Tag und Traum, wenn sich die Reflektion über das, was man gerade geträumt hat, wieder einmischt.

Liebing: Das L' Odéon hatte seit Jahren einen Untertitel, das Théâtre de l' Europe. Hat man mit dieser Eröffnung, mit einem Shakespeare, zumindest eine Inszenierung nach einer Idee von Shakespeare, hat man damit seine Referenz gegenüber Europa erweisen wollen?

Spreng: Ja, das hat ja eine lange Tradition. Das ist auch ein sehr schön renoviertes Detail, dieser goldene Schriftzug Théâtre de l' Europe, über dem Portikus. Das ist es seit 1983, als Jacques Lang, der Kulturminister des Präsidenten Mitterand, Giorgio Strehler, den italienischen Regisseur, berufen hat an dieses Theater, um ihm ein deutlich europäisches Gepräge zu geben. Strehler war ja sehr stark beseelt von einem ganz bestimmten humanistischen Europa. Und setzt damit im Grunde genommen, wenn man so will, zu einem sehr späten Zeitpunkt, einen Grundgedanken dieses Hauses fort, das an seiner Gründung mal bestanden hat. Denn es ist mit seiner neoklassizistischen Architektur im Grunde genommen der Aufklärung verpflichtet seit 1782. Und dass man vom französischen Aufklärungsgedanken zu einem europäischen Aufklärungsgedanken kommen kann, ist ja eine Geschichtslogik, zu der die Franzosen jederzeit in der Lage sind.

Liebing: Wenn man aufzählen wollte, wer an diesem Theater gespielt und inszeniert hat, wir würden viel Zeit brauchen. Aber diese Idee des europäischen Theaters, wird die sich auch niederschlagen in dem, was denn dann jetzt kommen wird?

Spreng: Das wird es auf jeden Fall behalten. Es hat nur eine kurze Zeit mal, auch in den 80er Jahren schon, einen Konflikt gegeben, zwischen der Comédie-Francaise als einer Institution, altehrwürdigen Institution, die dieses Théâtre de l' Europe auch wieder ganz für sich in Besitz nehmen wollte. Es war auch in der Tat einmal ein Theater der Comédie. Bevor es dann, ich will die sieben Titel, die es zwischendurch hatte, vom Théâtre L'Égalité natürlich, nach der Revolution, über das Théâtre L'Empératrice zur Bonapartezeit, über das Théâtre Royal in der Restaurationszeit, es hat all diese französischen Erschütterungen der Gesellschaft und der Politik erlebt und mitvollzogen. Und es hat auch 68 viel aktiver auf der Bühne und mit ewigen Diskussionen im Zuschauerraum erlebt als andere Theater. Es wird diesen Ruf, es wird diesen Auftrag des Théâtre de l' Europe behalten. Das ist jetzt auch festgeschrieben. Und es wird weiterhin auch seine Schwerpunkte sehr stark bei Shakespeare sehen. Der Gründer Strehler eröffnete mit der Tempête, also einem großen, ja, sage ich mal, die Insel des (…) ja vielleicht auch eine Verbesserungsanstalt für etwas missratene Seelen. Jetzt haben wir eine Bühne, die uns die Träume eines Individuums vorführt, und es wird in der nächsten Saison eröffnet, zum Beispiel mit einer Inszenierung, mit einem Stück Heiner Müllers, dem Quartett in der Inszenierung von Robert Wilson.

Liebing: L' Odéon Théâtre de l' Europe, heute Abend wurde es nach mehrjähriger Renovierung und Sanierung wieder eröffnet und für Fazit dabei war Eberhard Spreng.