Theater für alle

Von Eva Pfister · 22.08.2005
Die Salzburger Festspiele sollten ein völkerverbindendes Friedenswerk sein, denn Theater sei kein Luxus für eine dünne Oberschicht, sondern ein unentbehrliches geistiges Lebensmittel für die breiten Schichten. So schrieb Max Reinhardt 1917 in einer Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Salzburg, noch mitten im 1. Weltkrieg. Das Konzept verschwand in einer Schublade der k.u.k.- Hoftheaterintendanz. Aber Reinhardt, der eigentlich Goldmann hieß und Sohn eines verarmten jüdischen Händlers war, gab nicht auf. Für ein breites Publikum Theater zu machen, gehörte immer zu seinen Zielen als Regisseur.
"Die Leidenschaft, Theater zu schauen, zu spielen ist ein Elementartrieb des Menschen, und dieser Trieb wird Schauspieler und Zuschauer immer wieder zum Spiel zusammenführen und jenes höchste, alleinseligmachende Theater schaffen. "

Max Reinhardt war einer der ersten, der Regietheater als eigenständige Kunstform begriff. Darum suchte er auch stets nach Orten, an denen er die Intensität des Theatererlebnisses steigern konnte. Gemeinsam mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal strebte er ein Schauspiel an, das ein Fest für Darsteller und Zuschauer sein sollte, wie es das in den großen Arenabühnen der Antike oder auf den Plätzen der mittelalterlichen Städte gewesen war. So inszenierte Reinhardt 1911 im Zirkus Schumann in Berlin vor 3000 Zuschauern den "Jedermann", Hofmannsthals Bearbeitung des altenglischen Mysterienspiels vom reichen Mann. Und mit diesem Stück eröffnete er am 22. August 1920 die ersten Salzburger Festspiele:

"Das war ein weiser und hoher Mann
Der uns das Geld ersonnen hat,
(An niederen Tauschens und Kramens statt) "

– mit Alexander Moissi in der Rolle des hartherzigen Jedermann, der dem Mammon verfallen ist:
"Dadurch ist unsere ganze Welt
In ein höher Ansehen gestellt
Und jeder Mensch in seinem Bereich
Schier einer kleinen Gottheit gleich. "

Die Idee, in Salzburg Festspiele zu veranstalten, geht auf das 19. Jahrhundert zurück, und natürlich sollte Mozarts Musik im Mittelpunkt stehen. Aber dann war es Max Reinhardt mit seiner unerschöpflichen Energie, der die Dinge in seinem Sinne vorantrieb. In Salzburg war er als junger Schauspieler engagiert, und nachdem er als Regisseur in Berlin berühmt geworden war, kehrte er 1918 dahin zurück und ließ sich auf Schloss Leopoldskron nieder. Noch bevor der Bau eines Festspielhauses in Angriff genommen wurde, konnte Reinhardt den Bischof von Salzburg überzeugen, ihm den Platz vor dem Dom für die Aufführung des "Jedermann" freizugeben. Martin Esslin, der in den 30er Jahren als Schüler von Reinhardts Regieseminar bei den Festspielen assistierte, erinnert sich: (ca. 45")

"Er hat den Domplatz zum Schauplatz dieses Stückes gemacht, weil er erkannt hatte, dass der Domplatz eigentlich ein Zimmer ist, ein Innenraum, weil er nämlich nur zugänglich ist durch Arkaden. Vor dem Eingang hat er ein Podium gebaut, das war die einzige Dekoration. Aber das Wesentliche dabei war, dass er die ganze Natur mit einbezogen hat. "

Auch das Zufällige der Witterung, die schwirrenden Tauben, das wechselnde Licht, spielen mit. Und zum Ende verschmilzt der Ort der Aufführung symbolisch mit dem Schauplatz der Geschichte von diesem "Jedermann".

"Das Stück endet damit, dass er begleitet von seinen guten Werken und seinem Glauben in den Himmel hineingeht – da öffnete sich das Portal und innen war es hell erleuchtet, und die Orgel spielte und Chöre. Außerdem waren die Figuren von guten Werken und Glauben genau so kostümiert wie die barocken Statuen, die dort am Eingang des Domes stehen. Das Großartigste dabei aber war natürlich, dass die ganze Stadt den Jedermann gerufen hat. "

Bis heute erschallen bei den Salzburger Festspielen die langgezogenen Rufe, mit denen der Tod den Jedermann mitten aus einem fröhlichen Gelage aufschreckt. Von einem Spektakel für die breiten Volksmassen kann aber kaum die Rede sein, eher ist es ein Festival für die Schönen und Reichen. 1920 sah das ganz anders aus. In der noch vom 1. Weltkrieg gezeichneten Stadt, in der 80% der Kinder unterernährt waren, befürchtete man, dass auswärtige Besucher die knappe Versorgungslage verschärfen könnten. Um die Bevölkerung zu beruhigen, wurden für die Festspielwoche 54.000 Kilo Mehl und ein Waggon mit Fett zusätzlich ausgegeben. Von den sechs Aufführungen wurden zwei exklusiv für die Einwohner von Salzburg veranstaltet. Und der Reingewinn von fast 154.000 Kronen kam Kriegsinvaliden und Waisen zugute. Die Künstler hatten nämlich ohne Gage gespielt. Die ersten Salzburger Festspiele waren eine Benefizveranstaltung.