Theater

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Der Saal des Staatsschauspiels Dresden.
Die Aufführungen sind am Staatschauspiel Dresden zu sehen. © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Volker Trauth |
Das Staatsschauspiel Dresden bringt Anton Tschechows "Drei Schwestern" und Monika Marons Roman "Zwischenspiel" zeitgleich auf die Bühne. Wenngleich viele Jahre zwischen den Texten liegen, haben sie einen gemeinsamen Kern: die Sehnsucht nach dem selbstbestimmten Leben.
Die beiden Projekte haben inhaltliche Berührungen, obwohl sie vom Theater nicht als sich ergänzendes Doppelprojekt deklariert worden sind. Die liegen in der Sicht der Figuren auf die Welt, in ihrer Sehnsucht nach dem sinnerfüllten und selbstbestimmten Leben sowie in dem Phänomen des "Unschuldig-schuldig-Werdens".
Im "Zwischenspiel" gibt es einen Leitsatz, den die Autorin dem Strindberg-Stück "Traumspiel" entnommen hat: "Es ist schade um den Menschen". Demnach ist der Mensch zu Höherem berufen, scheitert aber an negativen Umständen oder am eigenen Versagen. Die Ich-Erzählerin sinnt über das Leben der ihr bekannten Personen nach und findet den Satz mehrfach bestätigt. Das gilt auch für die Stückpersonen in "Drei Schwestern". Auch in dem Stück gibt es einen Satz, der in abgewandelter Form für das "Zwischenspiel" gelten kann. "Nach Moskau" rufen die drei Schwestern und drücken damit die Hoffnung auf ein lebendigeres Leben fern von der Provinz aus. Für "Zwischenspiel" könnte diese Sehnsuchtsmetapher "nach dem Westen" heißen und "raus aus der Bevormundung".
Ausschweifende philosophische Exkurse
Die Dresdner Theaterfassung von Felicitas Zürcher bleibt nah am Text der Maron, hat auch die ausschweifenden philosophischen Exkurse über Schuld und Unschuld, über den Tod und die Vergänglichkeit der Liebe erhalten. Die Texte der Ich-Erzählerin sind aber auf insgesamt vier Schauspieler aufgeteilt, die zudem jeder im jähen Bruch mehrere, oft gegensätzliche Rollen spielen, besser gesagt skizzieren. Auf diese Weise zerfällt der Text in winzige Versatzstücke, Ereignisfetzen und Textsplitter. So wird es schwierig für die Schauspieler, Figuren mit Tiefgang und Widersprüchen zu formen.
Die Stärke des Romans, das Zerfließen der Gewissheiten, das Ineinandersschwimmen von Traum und Realität, das die Autorin mit der nuancierten, kunstvoll schwebenden Sprache der Ich-Erzählerin erreicht, geht verloren. Die Hauptdarstellerin Hannelore Koch rettet sich in eine nachdrückliche, Wesentliches laut heraushebende Sprachdiktion und ein gestisches Vokabular allgemeiner Bühnenaufgeregtheit, und die Darstellerin der interessantesten Figur des Romans, der Ex-Schwiegermutter Olga (Anna-Katharina Muck), kommt über die Wiedergabe des Textes kaum hinaus. Interessante Momente hat allenfalls Matthias Luckey als der genialische "Schriftsteller ohne Werk" Bruno, wenn er sich vor Selbstekel schüttelt und die Ablehnung seiner Person in den Augen seiner Freunde entdeckt. Insgesamt ist dieser Versuch der Annäherung an einen Roman kaum ein Gewinn für die Spielplanung der Theater.
Inszenierung ohne schwelgerisch-wehmütigen Ton
Der Regisseur der "Drei Schwestern" hat wiederholt, beispielweise mit der Inszenierung von Bruckners "Krankheit der Jugend", in der die vergebliche Sinnsuche der ostdeutschen Nachwendejugend wiederzuerkennen war, bewiesen, dass er die alten Stücke in heutiger Weise, mit heutigem Bezug und ohne plumpe Aktualisierung erzählen kann. In seiner Dresdner Tschechow-Inszenierung vermeidet er den schwelgerisch-wehmütigen Ton überkommener Tschechow-Aufführungstraditionen. Keine Atmosphäre russischer Provinz-Kleinstädte, kein historisierendes Bühnenbild. Die Figuren agieren mit heutigem Sprach- und Bewegungsgestus. Wenn sie ihre Ängste, Hoffnungen und ihre Wut äußern, dann in den Äußerungsweisen heutiger Menschen.
Olga, die Lehrerin (Ina Piontek) klagt nicht still leidend über den nervtötenden Alltag der Schule, sondern sagt das im fordernden, protestierenden Ton – so als wolle sie eine Protestnote verfassen, und wenn der Major Werschinin (Matthias Reichwald) vom Leben in kommenden Jahrhundert spricht, dann tut er es nicht im Ton wehmütiger Vergeblichkeit, sondern als ob ein Jungunternehmer eine neue Produktionsstätte vorstellt. Insgesamt ein deutlicher Talentbeweis des jungen Regisseurs.

"Zwischenspiel" nach dem Roman von Monika Maron
Premiere 3.10.2014, Regie: Malte Schiller

"Drei Schwestern" von Anton Tschechow
Premiere: 4.10.2014, Regie: Tilman Köhler