Sturz Ghaddafis ist "großer Beschleuniger des Konflikts" in Mali

16.01.2013
Hans-Georg Ehrhart, wissenschaftlicher Referent des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, glaubt nicht an eine schnelle Lösung des Mali-Konflikts. Er fürchtet um die Stabilisierung der derzeitigen malischen Regierung.
André Hatting: Seit Freitag kämpfen französische Truppen in Mali gegen die islamistischen Rebellen. Frankreich hat zurzeit etwa 750 Soldaten vor Ort, Präsident Hollande hat aber angekündigt, diese Zahl noch weiter aufzustocken. Das Verteidigungsministerium spricht von bis zu 2500 Soldaten. Denn das haben die Franzosen mittlerweile schon gemerkt: Die Islamisten im Norden Malis sind sehr gut bewaffnet und hoch motiviert. Am Telefon ist jetzt Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Guten Morgen, Herr Ehrhart!

Hans-Georg Ehrhart: Guten Morgen!

Hatting: Der französische Präsident Hollande geht davon aus, dass in ein paar Wochen der Einsatz erfolgreich beendet sei - Sie auch?

Ehrhart: Man darf es hoffen zumindest, dass er dann beendet sein wird, aber wissen kann das zurzeit keiner, denn Kriegsverläufe sind immer sehr schwer vorhersehbar, und von daher gesehen müssen wir es erst mal abwarten.

Hatting: Hollande hat auch gesagt, dass er französische Soldaten so lange in Mali lassen will, bis die Bedrohung durch die Islamisten endgültig vorbei ist und in dem Land sogar wieder freie Wahlen stattfinden können. Also das klingt für mich nach einem Langfristprojekt.

Ehrhart: Ja, ursprünglich waren ja die freien Wahlen für dieses Jahr vorgesehen, und das kann man natürlich jetzt vergessen vor diesem Hintergrund, sodass sich das zumindest bis 2014 hinausziehen wird. Dass Frankreich länger in Mali stationiert bleiben wird, ist zu erwarten. Sie waren vorher schon da, und sie werden eine ihrer wichtigsten Verbündeten in Zentralafrika natürlich nicht im Stich lassen.

Hatting: Nur der Militäreinsatz allein, der kann den Konflikt nicht lösen, darin sind sich alle einig. Was muss denn Ihrer Meinung nach noch passieren?

Ehrhart: Ursprünglich sieht das UNO-Mandat ja viel mehr vor. Ursprünglich war vorgesehen, zunächst einen sogenannten politischen Prozess in Gang zu setzen zwischen den verschiedenen politischen Kontrahenten, um eine politische Lösung zu finden. Das heißt, zunächst mal sollten die völlig zerstrittenen politischen Parteien im Süden des Landes dazu gebracht werden, eine Roadmap zu entwickeln, eine Art Fahrplan für die konditionelle Neuerstehung, Neuschaffung Malis, und gleichzeitig sollten die Verbände im Norden, also insbesondere die beiden Tuareggruppen dazu gebracht werden, in dieses Abkommen mit eingebunden zu werden. Das ist natürlich jetzt mittlerweile nach der Eskalation nicht mehr möglich, sodass die Frage ist, wie denn überhaupt eine politische Lösung aussehen soll.

Hatting: Haben Sie darauf eine Antwort?

Ehrhart: Das wäre schön, wenn ich die hätte. Eins ist klar: Ohne eine gemeinsame konsequente Lösung aller wichtigsten Konfliktparteien wird es nicht gehen - wir kennen das aus anderen Konflikten -, und von daher gesehen ist es ratsam, diese so bald wie möglich an einen Tisch zu bringen. Nur: Die Frage ist, ob das noch mit der Konfliktpartei möglich ist, die sich mit Al Kaida im Maghreb und anderen terroristischen Gruppierungen verbunden hat, jener islamistischen Tuareggruppe, die Ansar Dine heißt und die mit diesen Terroristen jetzt gemeinsame Sache macht. Das wird sehr schwer sein, die an einen Tisch zu bringen.

Hatting: Läuft damit die internationale Gemeinschaft in die gleiche Falle, in die sie auch in Afghanistan getappt ist, als man da so lange sich verweigert hat, mit den Taliban zu verhandeln?

Ehrhart: Nun, die Taliban, die wollten ja erst gar nicht verhandeln, insofern war es nicht unbedingt der Nachteil oder der Fehler der westlichen Staatengemeinschaft. Es ist schwer durchzuschauen, wie das in Mali läuft. Also man hat Anfang Januar noch mit Ansar Dine verhandelt, dann haben die die Gespräche abgebrochen und gleichzeitig den Vorstoß gemacht. Das ist sehr schwer durchschaubar, das muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass deren Führer ziemlich radikalisiert worden ist in den letzten Jahren. Und von daher gesehen sehe ich noch nicht, dass beide Tuareggruppierungen an den Verhandlungstisch gebracht werden. Selbst wenn das der Fall wäre, müsste man ja noch sozusagen das Problem der verschiedenen Terroristengruppen in Nordmali angehen, was auch nicht einfach sein wird, weil es ist ja ein Riesenwüstengebiet, wo sich kaum ein Mensch bewegen kann.

Hatting: Mali war ja lange ein Modell für eine demokratische Entwicklung in diesem Teil Afrikas - was ist da eigentlich dann schiefgelaufen, wie konnte das so aus dem Ruder laufen?

Ehrhart: Na ja, wenn Sie auf den Demokratieindex schauen, dann liegt Mali an 66. Stelle, glaube ich, noch vor den Balkanstaaten. Und in der Tat, 20 Jahre hat man gedacht, das läuft ganz gut da, und hat nicht gesehen, dass im Grunde genommen eine Kleptokratie sich einer demokratischen Fassade selbst bereichert hat, immer wieder hofiert hat und die unter anderem mit dazu beigetragen hat, dass im Norden entwicklungspolitisch nichts geschehen ist. Ein Teil der Konfliktursache liegt darin eben, dass sich der Norden völlig marginalisiert und abgeschlossen fühlt, nicht beachtet, und sich da Kräfte festgesetzt haben, die auch Zuspruch gefunden haben. Vor dem Hintergrund geht es also auch um einen sozioökonomischen Konflikt und nicht nur um einen politischen.

Hatting: Welche Bedeutung hat eigentlich die internationale Intervention in Libyen für den aktuellen Konflikt?

Ehrhart: Sie ist nicht die Ursache, aber doch ganz gewiss ein großer Beschleuniger des Konflikts, denn nach dem Sturz Gaddafis sind viele Tuareg, die für ihn in seiner Armee gedient haben, wieder zurück nach Mali gekehrt, haben jede Menge Waffen mitgenommen, haben sich dort neu organisiert und im Januar letzten Jahres, ja, ihren Angriff auf malische Polizeiposten im Norden begonnen und dann infolgedessen sich mit anderen Gruppen verbündet und den ganzen Konflikt losgetreten. Also ohne die Entwicklung in Libyen wäre das bestimmt nicht so gelaufen.

Hatting: Die französische Regierung betont ja, dass sie ihre Truppen nur deshalb nach Mali geschickt hat, weil sie ausdrücklich darum gebeten wurde. Welche Rolle spielt es eigentlich, dass Frankreich das Uran für seine Atomkraftwerke billig im Nachbarland Niger einkauft?

Ehrhart: Gut, das spielt gewiss eine Rolle, eine wichtige Rolle, aber bestimmt auch nicht die alleinige Rolle. Denn wenn Mali zerfällt - und das ist im Grunde genommen jetzt schon der Fall -, dann ist es sehr schwierig, die ganze Sahelzone sozusagen zu stabilisieren. Und das ist eine Aufgabe, die sich die EU seit zwei, drei Jahren gestellt hat, und nicht nur die EU, sondern auch die Vereinten Nationen. Denn das ist eine recht gefährliche Region, die durchsetzt ist von Schmuggel, Terrorismus und so weiter. Vor dem Hintergrund ist noch jede Menge zu tun, und was Mali angeht wird es schwierig sein, die jetzige Übergangsregierung, die ja noch stabilisiert werden muss und die noch sozusagen legitimiert werden muss durch Wahlen, in die demokratische Grundlage zu geben, die notwendig ist, um ein vernünftiges Staatswesen aufzubauen.

Hatting: Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Ehrhart!

Ehrhart: Bitte sehr!

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