Studie

Katholische Priester als Stasi-IM

Nahaufnahme betender Hände eines katholischen Priesters während einer Messe
Katholischer Priester während einer Messe © picture alliance / dpa / Andreas Keuchel
Von Christoph Richter · 16.10.2017
Dass die evangelische Kirche mit der Stasi kollaboriert hat, ist bereits bekannt. Nun zeigt eine Studie, dass auch katholische Priester mit dem einst übermächtigen Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Die Gründe dafür waren vielfältig.
Sie hießen IM Mönch, IM Petrus oder IM Monstranz: katholische Priester als Stasi-Spitzel. In der breiten Öffentlichkeit ein eher unbekanntes Kapitel. Nach neuesten Erkenntnissen gab es in der katholischen Kirche in der DDR Verstrickungen mit der Stasi bis tief in den Kirchen-Apparat hinein. Der aus Bocholt stammende und derzeit an der Hebräischen Universität Jerusalem tätige Postdoktorand Gregor Buß spricht in seiner aktuellen, über 300 Seiten dicken Studie "Katholische Priester und Staatssicherheit" von 86 inoffiziellen Mitarbeitern.
Buß will jedoch keine moralische Beurteilung abgeben, sondern die Motive akribisch heraus arbeiten, was katholische Priester letztlich bewog, mit der Staatssicherheit zusammen zu arbeiten.
"Da habe ich einen ganzen Fächer an Gründen gefunden, die reichten natürlich von Formen der Erpressung bei Alkoholproblemen, Zölibatsverletzungen. Es gab auch sowas wie Anpassung. Man war drauf und dran so einen Kurs zu fahren, um nicht all zu doll anzuecken. So eine kleine Form der kleinen Kooperation, um eine maximale Konfrontation zu verhindern."
Es ging aber auch um ganz schnöde banale Vorteile: So wandte sich beispielsweise ein Leipziger Pfarrer mit dem Namen IM "Frank" an die Stasi und "bat um Unterstützung hinsichtlich der Beschaffung einer Karte für das Gastspiel der Wiener Sinfoniker". Ein anderes, immer wiederkehrendes Motiv der Zusammenarbeit war der Wunsch nach Reisefreiheit.

Verwundert über Naivität der Priester

Lange hat sich die katholische Kirche gegen eine Aufarbeitung gewehrt. Noch Mitte der 90er-Jahre hieß es, eine Überprüfung der Mitarbeiter auf Stasi-Verwicklungen würde der Stasi "zu viel Ehre antun". Der frühere Erfurter Bischof Joachim Wanke sagte, dass katholische Priester die letzten seien, "die es nötig hätten, auf ihre Vergangenheit untersucht zu werden". Eine Haltung, die sich grundlegend geändert hat. Die Zusammenarbeit mit der Amtskirche sei sehr konstruktiv gewesen, so Gregor Buß, der Autor der Studie. Sie ist Teil eines osteuropäischen Forschungsprojekts, das die Kollaboration der katholischen Amtskirche mit den Geheimdiensten zu Zeiten des Kalten Krieges in Polen, Tschechien, der Slowakei und eben der DDR in Augenschein nimmt.
"Priester hatten eine moralische Fallhöhe, wie kaum eine andere Berufsgruppe. Deswegen würde ich sagen, steht die Kirche auch besonders in der Pflicht, in ihren eigenen Kreisen für Klarheit zu sorgen."
Buß appelliert an die Kirchenoberen, sich der dunklen Geschichte zu stellen. Es gehe ihm um eine differenzierte Betrachtung, sagt er, nicht um ein Schwarz-Weiß-Bild. Weshalb er in seiner Studie auch nicht das Wort Spitzel verwendet.
"Übrigens waren die Stasi-Offiziere exquisit geschult. Und es war interessant für mich zu erfahren, wie praktisch der Stasi-Offizier der Seelsorger für die Seelsorger war. Das war eine interessante Erkenntnis: Das sich so mancher Priester auf die Treffen gefreut hat, weil er offen, auf einem hohen intellektuellen Niveau sich mit jemandem unterhalten konnte."
Verwundert hätte Buß die Naivität, mit der katholische Priester vorgingen; dass vielen die Konsequenzen gar nicht bewusst waren. Oft dachten Kirchenleute sogar, betont der promovierte Theologe, sie täten etwas Gutes, wenn sie mit der Stasi zusammenarbeiteten. Andere wussten nicht einmal, dass sie als Inoffizielle Mitarbeiter geführt wurden.

Es braucht noch eine Opferstudie

Ein Fall, der das besonders anschaulich illustriert, ist IM Dom. Dahinter steckt der frühere Dresdner Dompfarrer und spätere Leipziger Probst Günter Hanisch. Von 1973 an war er der bischöfliche Beauftragte für die offiziellen staatlichen Kontakte – wenn es beispielsweise um die Ausreise für kirchliche Mitarbeiter ging. Genau das machte ihn für die Stasi interessant, die ihn – ohne sein Wissen – als Inoffiziellen Mitarbeiter führte.
"Ich wurde als IM registriert, wusste davon aber gar nichts. Deswegen war ich schockiert, als ich hörte, das ich IM bin. Ich wusste aus seelsorgerlichen Gesprächen, dass manche Menschen zum Spitzel-Dienst gezwungen wurden, dass sie was unterschrieben mussten. Bei kirchlichen Gesprächsbeauftragten gab es aber keine Unterschrift."
Ein Fall der deutlich mache, so Theologe Gregor Buß, dass man IM-Akten immer hinterfragen müsse. Sie dürften nicht als Evangelium dastehen. Auch weil viele Vorgänge durch die Stasi bewusst verzerrt oder schlichtweg falsch dargestellt seien. Im Fall Hanisch – also IM Dom – konnte das anhand der Treffberichte der Staatssicherheit und der eigenen Dokumentation belegt werden. Und: Neben der doppelten Aktenführung konnten die betroffenen Personen größtenteils noch befragt werden, was Günter Hanisch vom Vorwurf entlastete, wissentlich als Spitzel gearbeitet zu haben, so Buß weiter. Ein Fall, der auch Mitte der 90er-Jahre juristisch aufgearbeitet wurde, in dem Hanisch freigesprochen wurde, Mitbrüder an die Stasi verraten zu haben.
Die Studie "Katholische Priester und Staatssicherheit" ist eine reine Täterforschung. Ihre volle Wirkung kann die Arbeit aber erst dann entfalten, wenn man ihr auch eine Opferstudie gegenüber stellt. Letztlich ein interessanter Aufschlag zur Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der katholischen Kirche, dem weitere Forschungsarbeiten zwingend folgen müssen.
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