Steuern und Sprache

Arme Steuersünder im Paradies?

Eine Schlange schaut einen Geschäftsmann an, der einen Apfel von einem Baum gepflückt hat.
Flucht ins "Steuerparadies". © imago stock&people
Von Bodo Morshäuser · 13.11.2017
Die Empörung ist groß, seitdem die so genannten "Paradise Papers" die Tricks der Steuervermeider offengelegt haben. Doch Schriftsteller Bodo Morshäuser ist irritiert: Warum kritisieren wir Steuervermeider und benutzen zugleich Begriffe wie "Steuerparadies"?
Jedes Jahr im Sommer wird gemeldet, dass deutsche Arbeitnehmer im ersten Halbjahr lediglich dafür gearbeitet haben, dass sie ihre Steuern und Abgaben bezahlen können. Erst ab Anfang Juli würden sie damit beginnen, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Die reale Steuerrate, die Summe aus Steuern und Sozialversicherungsabgaben, beträgt in Deutschland etwas mehr als 50 Prozent. In Malta oder Irland ist sie nur halb so hoch.

Flucht aus der "Steuerhölle" ins "Steuerparadies"

Um ihre vermögenden Kunden von dem Druck der Steuerlast zu befreien, suchen Horden von Steuerberatern nach Schlupflöchern, in denen die Kundschaft Geld in Sicherheit bringen kann, das aufgrund demokratischer Gesetze eigentlich der Allgemeinheit zusteht.
Wenn diese Schlupflöcher den Ansprüchen nicht genügen, dann müssen die vom Fiskus Verfolgten einen Schritt weiter gehen: Sie müssen flüchten. Also entscheiden sie sich zur Steuerflucht und suchen sich einen Ort, an dem sie vor staatlicher Verfolgung sicher sind. Irgendwo auf dem Globus finden sie ihr Steuerasyl. Im Steuerasyl fühlen Steuerflüchtlinge sich dann endlich wie im Paradies, und zwar wie im Steuerparadies, schließlich kamen sie ja aus der Hölle, der Steuerhölle.

Steuern ermöglichen erst das Geschäftemachen

In ihren Heimatländern ging es ihnen richtig dreckig, sie waren kurz vor dem Verdursten, deshalb wird ihr Zufluchtsort meistens als Steueroase bezeichnet. Folgt man all diesen Formulierungen, dann befand sich diese verfolgte Minderheit, die so viel Geld hat, dass sie es vor der Allgemeinheit schützen muss, in höchster Lebensgefahr, bevor sie das Paradies betrat.
Dabei gerät aus dem Blick, dass man aus Steuergeldern Gegenleistungen erhält, Schulen, Straßen, Verwaltung, Polizei und so weiter, also staatliche Strukturen, die die Bürger schützen und ihnen ermöglichen, ihren Geschäften nachzugehen. Eine Gesellschaft, die auf diesem Solidarprinzip basiert, hat zum Ziel, dass sich nicht in jeder Sekunde der Stärkere durchsetzt. Nicht zuletzt das ist die Grundlage dieser Demokratie. Übrigens: Auch die Reichen hätten ihren Reichtum ohne einen funktionierenden Staat nicht aufbauen können.

Fragwürdige Metaphern in der Berichterstattung

Trotzdem werden die Einzahlungen ans Finanzamt meistens negativ bezeichnet, nämlich als Steuerlast, an der die Bürger schwer zu tragen haben, als etwas, das drückt und von dem man sich natürlich befreien möchte, zum Beispiel durch Steuerentlastungen oder Steuererleichterungen. In diesen Formulierungen kommt die Gegenleistung, die der Staat erbringt, überhaupt nicht mehr vor. Über Steuern wird geredet, als befinde der Bürger sich im Kampf gegen den Staat, der ihm Übles will.
Nahezu niemand hat sich in den vielen Berichten über die Paradise Papers und über Praktiken von Steuerflucht die Mühe gemacht, eine Sprache zu verwenden, die auf Begriffe wie Steueroase und Steuerparadies verzichtet. Es wird zwar über ein absolut unmoralisches Verhalten berichtet. Aber es wird in der Sprache der Unmoral getan.

Die Sprache verrät's: Politiker wollen Steuervermeidung nicht beenden

Und wirklich: Es gibt kaum umgangssprachliche Alternativen, um anders von Steuern zu sprechen als von einer Last, von der es sich zu befreien gilt. Das ist kein Wunder, denn selbst deutsche Unternehmen mit Staatsbeteiligung – etwa die Firma Fraport, die HSH Nordbank und die Deutsche Post – praktizieren sogenannte Steueroptimierung und rechnen Teile ihrer Gewinne lieber in Fluchtzentren wie Malta ab. Alle Punkte gehen also an Malta und Irland, an Luxemburg und die Bermudas. Deutschland: Null Punkte. Und das Rütteln an den Grundlagen dieser Demokratie geht munter weiter.
Welcher Politiker, welcher Journalist spricht von einem "Kampf gegen Steuerschieber"? Wer ersetzt den Begriff "Steueroasen" durch "Steuerverstecke"? Wer spricht von "Rückzugsräumen für Steuervermeider"? Wenn es ein politisches Interesse gibt, dann finden Politiker garantiert Wörter und Metaphern für ihr Interesse. Die Schlussfolgerung aus all dem muss deshalb lauten: Es gibt kein politisches Interesse daran, Steuervermeidung zu verhindern.

Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Er hat etliche Romane, Gedichte und Erzählungen veröffentlicht, beispielsweise: "Und die Sonne scheint" (Hanani-Verlag) und "In seinen Armen das Kind" (Suhrkamp). Zudem beschäftigt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus. www.bodomorshaeuser.de

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