Sterbehilfe

Die letzte Reise

Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
Sollte Sterbehilfe erlaubt sein oder nicht? © picture alliance / dpa / Jm Niester
Von Svenja Pelzel |
Nach der Sommerpause will die Bundesregierung über eine Neuregelung der Sterbehilfe beraten. Laut einer Umfrage sind zwei Drittel der Deutschen dafür. Doch was bedeutet Sterbehilfe eigentlich genau für Patienten und Ärzte?
Heinrich liegt im Sterben. Er ist 74 Jahre alt, hat hellgraues, zerzaustes Haar, das sein abgemagertes, schmales Gesicht auf dem weißen Kopfkissen noch blasser erscheinen lässt. In seiner Nase steckt ein dünner Sauerstoffschlauch, hinter seinem Bett blubbert Tag und Nacht ein Luftbefeuchter. Heinrich hat Krebs im Endstadium. Er kann nicht mehr laufen, sich nicht mehr waschen und selbst versorgen und auch nichts mehr alleine essen. Deshalb liegt Heinrich auf der Palliativstation des anthroposophischen Krankenhauses Havelhöhe in Berlin. Seit einer Viertelstunde sitzt sein Arzt, Thomas Jehser, an seinem Bett.
"Was können wir denn heute Gutes für Sie tun?"
"Eigentlich nichts..."
"Und uneigentlich?"
"Gegessen habe ich, getrunken habe ich auch..."
Eigentlich will Heinrich nichts mehr essen und trinken. Eigentlich will Heinrich nur noch eines: sterben. So schnell wie möglich, zur Not soll einer nachhelfen. Das sagt Heinrich auch seinem Arzt. Wenn es nach ihm ginge, wäre Sterbehilfe in Deutschland erlaubt:
"Auf jeden Fall. So ein Siechtum ist ja furchtbar. Das ist eine Entscheidung, die jeder selbst treffen muss. Bei schweren Krankheiten, die nicht mehr heilbar sind, ist das meiner Meinung nach legitim, wenn der einzelne Patient das macht. Dass ich die Möglichkeit bekomme, zu entscheiden, wann ich abtrete, das ist entscheidend."
Doch Thomas Jehser kann Heinrich diesen Wunsch nicht erfüllen. Auf seiner Palliativstation bekommt niemand vom Arzt oder Pfleger eine tödliche Spritze. Das ist aktive Sterbehilfe und in Deutschland verboten. Aber auch niemand erhält ein Medikament, mit dem er sich selbst das Leben nehmen kann.
Er bekommt häufig Todeswünsche zu hören, sagt der Arzt
Jehser: "Wir haben häufig Todeswünsche, wir haben auch häufig Wünsche nach aktiver Sterbehilfe. Wir gehen mit diesem Thema auch um, wenn wir uns natürlich auch nicht die Aufgaben stellen, aktive Sterbehilfe anzubieten, sondern darüber zu sprechen, wie verzweifelt man sein muss, wenn man keinen anderen Weg weiß. Und wir glauben, dass Wege zu finden sind in so einer schwierigen Situation."
Deshalb nimmt sich Jehser sehr viel Zeit für seine Patienten. Erst nach 20 Minuten verabschiedet er sich von Heinrich, geht ein Zimmer weiter.
Die Patientin im nächsten Raum ist ebenfalls schwer krebskrank, atmet durch einen Luftröhrenschnitt, wird künstlich ernährt. Als sie vor ein paar Tagen eingeliefert wurde, litt sie Todesangst und Schmerzen, wollte nicht mehr leben. Jehser hat ihr als erstes eine automatische Morphiumpumpe gegeben, die sie nun um den Hals trägt. Jetzt ist von Selbstmord keine Rede mehr.
"Man muss sich vorstellen ein Patient, der so fortgeschritten krank ist, der so viele Fähigkeiten verloren hat, der nicht mehr Treppensteigen kann, der es vielleicht nicht mal bis zur Toilette schafft, der sich nicht waschen kann, nicht gut essen kann, der ist auch vieler Selbstschutzmechanismen beraubt."
Diese grundsätzlichen Dinge wie Essen, Verdauung, Schlafen und Schmerzfreiheit sind oberstes Ziel der Palliativmediziner. Jehser und sein Team bekämpfen die körperlichen Symptome mit modernen Medikamenten und Ängste mit vielen, langen Gesprächen. "Doch manchmal", erzählt der Arzt, "hilft alles nichts". Der Wunsch zu sterben bleibt, so wie bei Heinrich im Nebenzimmer.
"Also ich kann das verstehen, dass man das in einer sehr intimen Beziehung, wo man in gutem Einvernehmen so was gemeinsam beschließt, dass man das dann auch durchführt."
Straffrei ist nur die Beihilfe zum Suizid
Allerdings ist es für Heinrich nicht ganz leicht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er braucht einen Arzt, der ihm den todbringenden Medikamenten-Cocktail besorgt. Uwe Christian Arnold ist so ein Arzt.
Uwe Christian Arnold ist pensionierter Urologe und bekennender Sterbehelfer. Über 250 Menschen in ganz Deutschland hat er bereits tödliche Medikamente besorgt, die diese anschließend selbst genommen haben. Das ist vollkommen legal. "Ich verlange für meine Hilfe schließlich kein Geld", erzählt Arnold, während er an diesem Vormittag auf der Autobahn Richtung Lüneburg zu einem Patientenpaar fährt. Trotzdem wollte ihn die Ärztekammer ausschließen und ein Bußgeld von 50.000 Euro verhängen. Arnold hat dagegen geklagt und gewonnen:
"Die spielen das natürlich runter, dass sie sagen, es sei kein Präzedenzfall, es sei nur eine persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Arzt Arnold und seiner Ärztekammer. Ich denke mal schon, es ist ein Präzedenzfall, weil grundsätzlich der Ärztekammer mal gesagt worden ist; 'Ihr habt nicht über die Gewissenentscheidung eines Arztes zu befinden.'"
Arnold macht sich die Gewissensentscheidung nicht leicht, lehnt auch ab, wenn er zum Beispiel noch Therapiechancen sieht. "Die Familie, zu der ich jetzt fahre, kenne ich seit vielen Jahren", erzählt er, "genauso wie alle anderen meiner Patienten". Bislang war Arnold jedes Mal mit dabei, wenn ein Mensch freiwillig gestorben ist.
"Die Möglichkeit sein Leben zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt zu beenden. Das ist der Knackpunkt aus meiner Sicht. Deshalb kämpfe ich ja auch so dafür, weil ich so viele Menschen habe, die sich niemals umbringen werden und die diesen Weg nie gehen werden, aber die wissen: Es geht. Sie wissen, sie können was machen und einige haben Medikamente zu Hause und sagen mir ganz klar: 'Seitdem ich dieses Medikament habe, geht es mir besser.'"
Heinrich hätte die Hilfe von Uwe Christian Arnold vielleicht auch beruhigt. Fragen kann man ihn das nicht mehr. Heinrich ist gestorben. Einfach so, nachts im Krankenhaus. Wie die meisten von uns.
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