Steinert: Betreuungsgeld kommt nicht den Kindern zugute

Moderation: Hans-Joachim Wiese · 01.11.2007
Das Bundesforum Familie lehnt die Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause versorgen, ab. Es bestehe die Gefahr, dass Eltern aus ärmeren Bevölkerungsschichten das Geld als zusätzliche Einnahme verstünden, sagte Vorstandsmitglied Wilfried Steinert.
Hans-Joachim Wiese: Manchmal kann Lob auch vergiftet sein, etwa wenn es vom bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein/CSU kommt und Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen/CDU gilt. Von der Leyen hat sich das Wohlwollen Becksteins durch eine Entscheidung zugezogen, die nicht nur die Opposition, sondern auch Koalitionspartner SPD als Einknicken vor der bayerischen Haus-und-Herd-Mentalität brandmarken, die aber eigentlich gar keine Entscheidung ist. Im Gesetzentwurf des Familienministeriums zum Ausbau der Kinderbetreuung ist ein Passus enthalten, demzufolge ein Betreuungsgeld für Eltern eingeführt wird, die ihre Kleinkinder zu Hause behalten und nicht in eine Krippe geben wollen. Genau das wollte von der Leyen ursprünglich nicht. Am Telefon begrüße ich jetzt Wilfried Steinert, er ist derzeit Vorstandsmitglied im Bundesforum Familie, er war Vorsitzender des Bundeselternrats und ist Schulleiter unter anderem in Templin, also ein Mann mit vielen Aufgaben, aber auch ein Mann der Praxis. Schönen guten Tag, Herr Steinert!

Wilfried Steinert: Schönen guten Morgen, Herr Wiese!

Wiese: Was spricht gegen ein Betreuungsgeld?

Steinert: Zunächst mal, schon der Begriff ist ja problematisch. Es geht ja in der Kindererziehung nicht nur um Betreuung, sondern es geht um miteinander aufwachsen. Und ich will noch eins vorausschicken. Zunächst mal ist ja das Aufwachsen mit Kindern in der Familie sehr sinnvoll und gut. Und die Diskussion, die wir hier führen, ist ja eine, die es möglich machen soll in der Erweiterung der Krippenplätze, dass einerseits beide Ehepartner berufstätig sein können, und zum anderen, dass die Kinder sehr früh auch soziale Kompetenzen erwerben können. Dabei geht es nicht um Betreuung, sondern um Erziehung und Bildung.

Wiese: Sie selber, Herr Steinert, sagen, das Betreuen eines Kindes zu Hause ist per se ja gar nicht abzulehnen. Wenn nun also Eltern ihre Kleinkinder partout nicht in eine Krippe geben wollen, sondern sie eben zu Hause betreuen wollen, dann ist es doch eigentlich nur gerecht und sinnvoll, wenn sie dafür auch entschädigt werden, oder?

Steinert: Die Entschädigung liegt ja schon einmal darin, dass die Eltern mit den Kindern zusammen aufwachsen können. Die Gefahr, wenn wir dieses finanziell vergüten, liegt darin, dass gerade Eltern, die finanziell Probleme haben, dieses als eine zusätzliche Einnahme verstehen und dieses Geld damit letztlich nicht den Kindern zugute kommt. Wir haben ja das Problem, dass gerade aus den ärmeren Bevölkerungsschichten viele Kinder auch ein sehr anreizarmes Bildungsniveau zu Hause erleben. Und diese müssen unbedingt gefördert werden und eine anreizreiche Umgebung erleben. Und die ist im Kindergarten oder in der Krippe sehr viel positiver. Da wir wissen, wie weit hinein in die Schulzeit ein guter Kindergarten oder eine gute frühkindliche Erziehung wirken, ist es unabdingbar, wenn wir unsere Gesamtsituation im Bildungswesen verbessern wollen, dass wir möglichst vielen Kindern, gerade aus der ärmeren Bevölkerungsschicht, die Chance geben, im Kindergarten oder in der Krippe aufzuwachsen.

Wiese: Familienministerin von der Leyen hat das, was Sie gerade sagten, so formuliert: Wenn es also ein Betreuungsgeld gäbe, würde die Familie den kleinen Ahmed aus dem Kindergarten, aus der Krippe zurückholen, um diese 150 Euro einzustecken. Diese Gefahr sehen Sie also auch?

Steinert: Ja, natürlich, das ist ja die große Gefahr. Ich habe es jetzt schon in der Schule, dass manche Kinder nicht am Mittagessen der Schule teilnehmen dürfen, weil die Eltern das Geld einsparen wollen, und die Kinder bleiben ohne warmes Essen den ganzen Tag über.

Wiese: Ja, aber dann ist es doch eigentlich der falsche Ansatz zu sagen, dann sollen alle Kinder eben in die Krippe, sondern dann müsste man doch die Eltern, die ihre Kinder zu Hause haben wollen und erziehen wollen, mit größeren finanziellen Entschädigungen bedenken, oder?

Steinert: Wenn dieses Geld den Kindern zugute kommen würde, wäre das gut. Aber ich erlebe an diesen Stellen, dass gerade die Eltern, die ihre Kinder vom Mittagessen zum Beispiel abmelden, weil sie nicht das Geld dafür haben, dieses Geld in den neuen Flachbildfernseher, der gerade in einem Sonderangebot der großen Supermarktketten angeboten wird, investieren.

Wiese: Ist es dann nicht viel sinnvoller, zum Beispiel Familienaufklärung zu betreiben, auch gerade in diesen Familien Aufklärung zu betreiben, die solche Alternativen dann anstreben, also sich eher etwas zu kaufen, also dass man da für mehr Bildung, Bildungsbewusstsein sorgt?

Steinert: Ja. Wenn wir dieses Geld, das jetzt mit Betreuungsgeld tituliert ist, dafür investieren, Familienberatung zu machen, dann würden wir eine ganze Menge mehr erreichen. Aber dieser Weg, Geld statt Krippenerziehung oder Kindergartenerziehung anzubieten, verführt ja geradezu dazu, sich herauszunehmen aus der Kindergartenerziehung oder die Kinder herauszunehmen. Und das andere Problem ist, dass diese Eltern oft überhaupt nicht erreicht werden, weil sie so wenig in die gesellschaftlichen Unterstützungssysteme eingebunden sind beziehungsweise nur über Hartz IV oder Arbeitslosengeld eingebunden sind, dass sie für Beratungsangebote kaum offen sind.

Wiese: Wieso, Herr Steinert, ist es ein Rückfall in muffige Zeiten oder ein Sieg der Traditionalisten, die die Frau am liebsten am Herd sehen – das sind Zitate –, wenn Kleinkinder zu Hause erzogen werden? Das kann doch auch eine bewusste Entscheidung sein?

Steinert: Das kann eine bewusste Entscheidung sein. Es ist fatal, dass dieses mit dem Betreuungsgeld in Zusammenhang gebracht wird. Dies ist ein Wert an sich. Es geht hier doch bei der Frage von Krippenerziehung und Kindergartenerziehung darum, dass die Gesellschaft Bildungs- und Erziehungsangebote macht, um allen Kindern ein möglichst gutes Angebot für die Erziehung und Bildung zu schaffen und gleichzeitig die Möglichkeit zu eröffnen, dass Frauen und Männer gleichermaßen berufstätig sein können. Das ist der gesellschaftspolitische Ansatz, und dieser sollte gefördert werden. Ein zweiter Weg wäre ja, wir haben bis jetzt nur den Rechtsanspruch für ein Drittel der Kinder, der jetzt mit dem neuen Gesetz geschaffen werden soll. Auch hier braucht es ja ein viel breiteres Angebot. Plätze für ein Drittel der Kinder reicht bei Weitem nicht aus, wenn wir die arbeitsmarktpolitische Lage der nächsten zehn bis 15 Jahre sehen.

Wiese: Diese Zahl soll ja erhöht werden. Nach dem Willen von Ursula von der Leyen sollen bis zum Jahre 2013 750.000 Betreuungsplätze für Kinder eingerichtet werden, das wären dann zwei Drittel.

Steinert: Ja, das ist auch sinnvoll, und dieser Weg sollte weiter beschritten werden. Und die Gelder, wenn sie denn zusätzlich vorhanden sind, sollten da hinein investiert werden, wirklich allen Kindern eine möglichst gute Bildungsperspektive zu bieten. Das heißt also dort, wo soziale oder gesellschaftliche Probleme mit den Kindern sind, zusätzliche Unterstützungsmechanismen oder Unterstützungsangebote zu finanzieren.

Wiese: Wilfried Steinert war das, Vorstandsmitglied im Bundesforum Familie. Herr Steinert, schönen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.