Sprachkritik

"Flüchtlinge" passt besser als "Geflüchtete"

Bootsflüchtlinge an Bord der Aquarius im Hafen von Salerno in Italien, aufgenommen im Mai 2017
Der Begriff "Flüchtling" steht immer mehr in der Kritik. © picture alliance / Photoshot
Von Fabian Goldmann · 04.09.2018
Sagen Sie "illegale Einwanderer", "Geflüchtete" oder "Asyltouristen"? Die Wortwahl verrät viel über den politischen Standpunkt. Aber warum spricht kaum noch jemand von "Flüchtlingen"? Journalist Fabian Goldmann hält den Begriff für alternativlos. Vorerst.
Die einen reden von "Rapefugees" und "Staatszerfall", die anderen von "Pegizei" und vom "Failed State" Sachsen: Wenn der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein Recht hatte, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen der Welt bedeuten, dann teilt sich unsere Gesellschaft derzeit in Paralleluniversen. Da ist es nur konsequent, dass der Trend zum Sprachschisma auch vor jenem Begriff nicht Halt macht, der uns in Kombination mit dem Wort "Debatte" all das eingebrockt hat: "Flüchtling".
Die Bezeichnung, die Rechte als linken Euphemismus kritisieren, gehört auch aus Sicht linker Sprachkritiker aussortiert: Um einen rechten Kampfbegriff handle es sich, dessen Abwertung schon an der eigenen Wortendung beginne: Flüchtling wie Schwächling, Feigling, Sonderling. Die vermeintlich bessere, weil "neutralere" Alternative laute: Geflüchtete.

Worte werden missbraucht und politisch vereinnahmt

Daran ist nicht alles falsch und dennoch halte ich "Flüchtling" für alternativlos. Nicht nur wegen Häuptling, Liebling und Schmetterling, sondern, weil es sich mit "Flüchtlingen" auch in sprachlicher Hinsicht nicht so schwarz-weiß verhält, wie manche Debatte den Anschein macht.
Gerade im politischen Kontext lassen sich für fast jeden Begriff Gründe finden, die gegen seine Verwendung sprechen: Missbrauch zur NS-Zeit, fehlende Möglichkeit der Geschlechterrepräsentation, irgendeine "eigentliche" Bedeutung aus dem 17. Jahrhundert: Kein Begriff ist unschuldig, jeder trägt den Ballast seiner Verwendungsgeschichte mit sich. Doch nach aller Diskussion kommen wir an einer Frage nicht vorbei: Ermöglicht er es zwei Personen, unmissverständlich von derselben Sache zu sprechen? Meinen wir Menschen, die vor Krieg, Gewalt oder Armut geflohen sind, gibt es momentan keine Bezeichnung, die diese Aufgabe besser erledigt.

Nur "Flüchtling" steht auf einem festen Fundament

Es stimmt, was Kritiker sagen: "Flüchtling" wird missbraucht, beschönigt und abgewertet. Aber er trägt nicht nur einen vielleicht problematischen Suffix und die Narben unzähliger migrationspolitischer Auseinandersetzungen mit sich. Er steht auf einem Fundament, das ihn wehrhaft gegen Vereinnahmungsversuche macht: "Flüchtling" ist ein Begriff, für dessen Bedeutung seit 64 Jahren die Genfer Flüchtlingskonvention bürgt, dessen Geltungsbereich das UN-Flüchtlingshilfswerk sichert, der seine Hoheit mit Hilfe von Flüchtlingsorganisationen und Flüchtlingsräten mühsam gegen Angreifer wie "Asylant" verteidigte. Flüchtlinge kamen aus der DDR und flohen vor den Nazis, sie stehen in Geschichtsbüchern und Gesetzestexten.

Ein Refugium der Klarheit

"Geflüchtete" tun das nicht. Das macht sie beliebig. "Geflüchtet" sind wir alle schon einmal: von einer öden Familienfeier, aus dem Knast oder in halluzinogene Traumwelten. Zu Flüchtlingen macht uns das nicht. Auch so neutral, wie ihn seine Befürworter gern hätten, ist "Geflüchtete" längst nicht mehr: Mit "Geflüchteten" lässt sich in etwa so glaubwürdig über Gewalt in der Erstaufnahmeeinrichtung berichten wie mit "illegalen Einwanderern" für offene Grenzen streiten. In den Ohren vieler trägt auch er Ballast mit sich: den von linkem Aktivismus und Willkommenseuphorie.
Das muss freilich nicht so bleiben. Sprache ändert sich. Ständig. Begriffe, die vor wenigen Jahren als alternativlos galten, sind heute verpönt. Und andersherum. Doch zurzeit bietet nur "Flüchtling" ein Refugium der Klarheit in einer Debatte, die nach politischen und moralischen auch sprachliche Grenzen einzureißen droht. Flüchten wir nicht vor ihm.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus Nahost. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog "Schantall und die Scharia" bloggt er über Islamophobie in Deutschland. Im Sommer 2018 erscheint sein erstes Buch: Die "Islamisierung der Willkommenskultur".

© Camay Sungu
Mehr zum Thema