SPD-Politiker: Steuerentlastungen durch Sparen ausgleichen

Carsten Kühl im Gespräch mit Gabi Wuttke · 07.11.2011
Die SPD verlangt von der schwarz-gelben Regierung Einsparungen im Milliardenbereich, um die auf dem Koalitionsgipfel beschlossenen Steuerentlastungen gegenzufinanzieren. Der Finanzminister von Rheinland-Pfalz, Carsten Kühl, sagte, die Regierung müsse die Steuersenkungen in Höhe von sechs Milliarden Euro durch Sparen ausgleichen.
Gabi Wuttke: Unsere Binnenwirtschaft muss noch besser laufen, das hat die Bundeskanzlerin den G-20-Staaten in Cannes versprochen, um sich dann in den Gipfel mit dem kleinen Koalitionspartner zu stürzen. Denn die Binnenansicht der schwarz-gelben Regierung ist kaum weniger desaströs als der Zustand Europas. Bevor wir den Finanzminister von Rheinland-Pfalz nach seiner Bewertung der gestrigen Koalitionsbeschlüsse befragen, fasst Kerstin Lohse zusammen, was genau dabei rumgekommen ist.

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Gib du mir, geb ich dir – Kerstin Lohse über die Beschlüsse der schwarz-gelben Koalition.
Am Telefon begrüße ich um 06:50 Uhr Carsten Kühl, den Finanzminister von Rheinland-Pfalz. Sein Parteichef Sigmar Gabriel hat gestern schon gedroht: Wenn es Steuersenkungen gibt, die der Schuldenbremse zuwiderlaufen, dann zieht die SPD vor Gericht. Guten Morgen, Herr Kühl!

Carsten Kühl: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Wir werden die Schuldenbremse einhalten, hat die Kanzlerin gestern bekräftigt. Ist das aus Ihrer Sicht gegeben?

Kühl: Das weiß ich nicht. Die Bundesregierung muss gegensparen, sie muss diese Steuergeschenke durch Ausgabenkürzung kompensieren. Und wenn sie das tut, dann kann sie die Schuldenbremse einhalten, dann ist aber ihre Behauptung, die Beschlüsse entlasteten die kleineren und mittleren Einkommen meiner Ansicht nach Makulatur. Weil, in erster Linie werden kleinere und mittlere Einkommen die Betroffenen sein, wenn es weitere Ausgabenverzögerung auf Bundesseite gibt.

Wuttke: Die Erhöhung der Grundfreibeträge für die untersten Einkommensgrenzen – um gleich bei diesem Punkt zu bleiben – hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ja sowieso bis 2014 verordnet. Passiert hier in den letzten Tagen, was das angeht, sowieso ein Sturm im Wasserglas?

Kühl: Es passiert ein bisschen ein Etikettenschwindel. Erstens hat das Bundesverfassungsgericht nicht gesagt, wenn es sagt, Grundfreibeträge müssen angehoben werden, dass das ohne Gegenfinanzierung passieren muss. Und zum Zweiten ist die Anhebung von Grundfreibeträgen nicht gleichbedeutend damit, dass kleinere und mittlere Einkommen vornehmlich entlastet werden. Wenn Grundfreibeträge erhöht werden, werden alle Einkommen entlastet, und zwar alle mit dem gleichen Betrag.

Wuttke: Das heißt, wenn wir mal aufs Land gucken und auf die Länder: Es ist ja schon erstaunlich, dass bei dieser Diskussion, bei dem Streit um Steuersenkung in Deutschland überhaupt, so ziemlich parteiübergreifend die Länder zusammenhalten und sagen, wir müssen sparen, wir dürfen kein zusätzliches Geld unters Volk bringen. Bleibt diese Parteieinigkeit oder parteiübergreifende Einigkeit nach den Beschlüssen von gestern Abend Ihrer Meinung nach bestehen?

Kühl: Ich würde mir das wünschen, wenn das so wäre. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Bundesregierung natürlich versucht, die CDU-geführten Länder parteipolitisch in die Pflicht zu nehmen. Bisher hatten wir in den letzten Monaten einen sehr guten Weg zwischen den Ländern parteiübergreifend. Ich habe parteiübergreifend mit meinen Kollegen aus Schleswig-Holstein, Hessen und Bremen, also mit einer grünen Finanzministerin und mit zwei CDU-Finanzministern vor rund drei Wochen ein Steuervereinfachungskonzept vorgeschlagen, das zwar Entlastungen von 1,5 Milliarden vorsieht, aber gleichzeitig eine Gegenfinanzierung darstellt. Und darin drückt sich unser Konsens aus: Keine Entlastung ohne Gegenfinanzierung. Und ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen aus den CDU-regierten Ländern nach wie vor zu diesem Kompromiss und zu dieser Ansicht der Dinge stehen.

Wuttke: Also, wie genau sehen Sie denn eine Gegenfinanzierung für die sechs Milliarden, die jetzt hier avisiert sind?

Kühl: Also, ich bin nicht sicher, ob wir diese sechs Milliarden realisieren sollten. Es gibt meiner Ansicht nach momentan keinen zwingenden Bedarf, die vermeintlich kalte Progression zu korrigieren. Aber wenn man Gegenfinanzierung machen möchte, dann muss man an einer anderen Stelle des Steuersystems ansetzen. Die SPD sagt seit Langem, dass wir glauben, dass ein höherer Spitzensteuersatz ein probates Mittel wäre, um auch die Bezieher höherer Einkommen, oder über eine Vermögenssteuer die Bezieher von großen Vermögen in die solidarische Finanzierung unseres Staates, unserer Sozialsysteme und unseres Gemeinwesens einzubeziehen.

Wuttke: Herr Kühl, das klingt immer schön, aber die Erhöhung des Spitzensteuersatzes ist auch sozialdemokratische Rhetorik. Mehr als 250.000 Euro im Jahr verdienen ein paar Tausend Menschen, da werden Sie auch den Kohl nicht mit fett kriegen.

Kühl: Also, Sie reden bei 250.000 Euro vom Reichensteuersatz. Wir reden, wenn wir über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes reden, davon, dass wir den Spitzensteuersatz ab 100.000 Euro auf 49 Prozent anheben wollen. Das trifft schon ein paar Leute mehr, wir haben das durchgerechnet: Wenn man den Spitzensteuersatz erhöht von heute 42 auf 49 Prozent für 100.000 Euro Einkommen, dann würde das ein Mehraufkommen von etwa fünf Milliarden Euro bringen. Das ist schon eine durchaus seriöse Gegenfinanzierung und mehr als Rhetorik.

Wuttke: Und die kalte Progression gehört für Sie nicht ziemlich bald vom Tisch, endlich mal?

Kühl: Die kalte Progression muss, wenn man sie vom Tisch haben will, gegenfinanziert werden. Sie ist sozusagen ein, etwas, was sozusagen dem linear-progressiven Tarif immanent ist. Es tritt immer auf, wenn es Inflation gibt. Wir hatten in den letzten Jahren vergleichsweise geringe Inflationsraten, von daher gesehen hat die kalte Progression nicht so durchgeschlagen, wie in Jahren von großen Inflationsraten. Und insofern muss man in Zeiten knapper Finanzen immer eine Abwägung machen zwischen dem, was man sich leisten kann beziehungsweise ansonsten auf der Ausgabenseite einsparen kann, und dem, was man an Steuererleichterungen weitergeben kann.

Wuttke: Also, da, wo durch die kalte Progression Löhne und Gehälter aufgefressen werden, sind Sie doch eher Finanzminister denn Sozialdemokrat?

Kühl: Nein, ich bin dafür, dass wir den Sozialstaat finanzierbar halten. Und dazu gehört auch, dass man gesunde Steuereinnahmen hat. Das hatten wir bedingt durch die Wachstumseinbrüche in der Finanzkrise und vor allen Dingen bedingt durch die relativ unsinnigen Beschlüsse dieser schwarz-gelben Koalition zur Steuerpolitik – ich nenne das Hotelierprivileg bei der Mehrwertsteuer, ich nenne bestimmte Verbesserungen für eine bestimmte Klientel in der Erbschaftssteuer. Deswegen hatten wir keine guten Steuereinnahmen. Und ich meine, der Sozialstaat lebt nicht nur davon, dass man ein Steuersystem hat, was von Zeit zu Zeit korrigiert wird, sondern auch davon, dass dieser Sozialstaat, der eine große Errungenschaft unserer Republik ist, finanzierbar und erhalten bleibt.

Wuttke: Um noch mal ein kurzes plakatives Wort in die Runde zu werfen: Können Sie den Kommentar der christdemokratischen Ministerpräsidentin Lieberknecht toppen, Steuersenkungen seien irre?

Kühl: In diesen Zeiten sind Steuersenkungen, wenn sie nicht gegenfinanziert sind, irre. Und insofern habe ich an dieser Stelle nichts hinzuzufügen.

Wuttke: Die Bundesregierung will Steuern senken. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Carsten Kühl von der SPD, der Finanzminister von Rheinland-Pfalz. Wir vertiefen das Thema nach den Sieben-Uhr-Nachrichten. Herr Kühl, Ihnen jetzt erst mal besten Dank und schönen Tag!

Kühl: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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