Spaß haben, gemeinsam lernen

Von Ita Niehaus · 05.04.2008
Schlechte Noten, keine Freunde - viele Kinder, die in der Schule negativ auffallen, brauchen einfach nur eins: Zeit, die Erwachsene mit ihnen verbringen. Um Kindern zu helfen, dessen Eltern sich nicht ausreichend um sie kümmern können, machen engagierte Bürger bei dem Programm "Balu und Du" mit: Sie übernehmen die Patenschaft für ein Kind, mit dem sie regelmäßig etwa unternehmen.
Spiele-Nachmittag bei "Balu und Du" in Hannover; mit dabei auch Kerstin Gründer und Areg. Die 29-jährige Polizistin ist ein "Balu", der neun Jahre alte Areg ist ihr "Mogli". Die beiden kennen sich inzwischen fast ein Jahr und sie wissen ganz genau, was sie aneinander schätzen.

"Also, wir sind auch Freunde. Und das Schönste ist ja, sie hat auch Vertrauen - darum mag ich sie auch."

"Er erzählt mir auch, was ihm so durch den Kopf geht, was er in der Schule erlebt hat, wenn er geärgert wurde. Das finde ich schön."

Areg geht in die dritte Klasse. Vor vier Jahren ist er mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Areg fühlt sich wohl mit seiner Familie in Hannover, doch seine Eltern können sich nicht immer genug Zeit für ihn nehmen.

"Mein Vater und meine Mutter haben zu viel Arbeit. Meine Mutter putzt den ganzen Tag, macht Frühstück, und mein Vater muss noch das da und das da machen, Steuern bezahlen."

Areg und Kerstin Gründer treffen sich regelmäßig einmal in der Woche. Manchmal machen sie gemeinsam die Hausaufgaben. Meistens unternehmen sie etwas Schönes zusammen: Sie spielen Fußball, lesen spannende Geschichten, lösen knifflige Rätsel. Gemeinsam haben sie auch schon so manche Herausforderung bestanden. Vor kurzem waren sie gemeinsam in einem Hochseilgarten in Hannover.

"Ich habe mich da nicht richtig auf die Seile getraut, und er ist da vorweg gegangen und ich habe mir gedacht, okay, wenn er das kann, dann kann ich das auch. Und dann hat er mir auch Mut zugesprochen, und dann sind wir da auch zusammen rüber gegangen."

"Da hat man wirklich Angst, da musste man so klettern. Das war schon schwer!"

Fast jedes zweite Kind, das an dem Mentoren-Programm teilnimmt, hat einen Migrationshintergrund. Viele Kinder kommen aus Familien, in denen die Eltern aus den unterschiedlichsten Gründen für ihre Kinder nicht so da sein können, wie sie es gerne möchten. Der Mentor nimmt das Kind sozusagen an die Hand, er ist jemand…

"Der mit ihm Freizeit gestaltet, der sich anguckt, wie wird eine Pizza gebacken, der sich über Fragen Gedanken Macht, wie zum Beispiel, wie das Salz in das Meer kommt - wo es einfach darum geht, eine Beziehung aufzubauen, Spaß zu haben und die Welt zu entdecken."

Die Pädagogin und Therapeutin Barbara Klose koordiniert das Projekt in Hannover gemeinsam mit dem Sozialpädagogen Markus Nückel vom Caritasverband. Es existiert erst seit einem Jahr als eine Kooperation des Caritasverbandes mit dem Institut für Theologie an der Leibniz Universität Hannover. Noch ist die Finanzierung nicht langfristig gesichert, doch das Engagement ist groß. Die Projekt-Koordinatoren arbeiten eng mit Lehrern an Grundschulen zusammen. Ganz bewusst fördert das Mentoren-Programm Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren.

"Weil das Bindungsverhalten noch ein anderes ist: In der Zeit wird ein Erwachsener, wenn er dem Kind als glaubwürdig erscheint, tatsächlich noch als Vorbild angenommen. Die Kinder können sehr gut Dinge annehmen, Konflikte lösen - von daher ist der Erfolg des Projektes auch gerade in der Zeit angesiedelt."

"Kinder im Grundschulalter haben bisweilen bestimmte Veraltensweisen, von denen man fürchten könnte, dass sie sich negativ weiterentwickeln. Wir fragen deshalb die Lehrer, schlagen sie uns Kinder vor, um die sie sich Sorgen machen: zum Beispiel, wenn Kinder vernachlässigt werden, wenn bestimmte Begabungen brachliegen - es gibt viele Gründe."

Professorin Hildegard Müller-Kohlenberg von der Universität Osnabrück begleitet das präventive Projekt von Anfang an wissenschaftlich. Vor fast sechs Jahren initiierte sie es gemeinsam mit dem Diözesan-Cariatsverband in Köln. Inzwischen gibt es "Balu und Du" in 17 Städten bundesweit, mehr als 650 Beziehungen wurden gestiftet. Die Ergebnisse der Evaluation sind beeindruckend.

"Die Integration einerseits, zunächst in die Klasse. Und wir gehen davon aus: Wenn Kinder in die Klasse und mit ihren Freunden integriert sind, dass sie auch später gute Chancen haben, sich zu integrieren. Ihre Freude an verbaler Kommunikation, also sie reden lieber mit Kindern und auch mit Erwachsenen, sie haben eine bessere Konfliktbewältigungskompetenz und sie können sich besser konzentrieren. Das hat mich sehr überrascht, wenn man sich nur einmal in der Woche für drei Stunden trifft."

Das Erfolgsgeheimnis: Die Kinder lernen informell, ohne Leistungsdruck und oft ohne, dass sie es merken.

"Eine Mutter sagte uns zum Beispiel: Meine Tochter war früher so eine kleine graue Maus. Jetzt hat sie sich entwickelt, ist aufgeblüht und hat viel mehr Lebensfreude."

Areg hat ebenfalls mehr Selbstvertrauen und die Schule macht ihm auch mehr Spaß.

"Also, ich hatte in der ersten Klasse schon so viele Fehler beim Diktat gehabt, aber dann in der zweiten Klasse habe ich mich ein bisschen so entwickelt. Da habe ich eine zwei Plus."

"Er hat unheimliche Fortschritte gemacht, was das angeht, Sachen zu erklären oder überhaupt sich auszudrücken in der deutschen Sprache. Weil er jetzt auch viel liest, wir lesen auch ab und an zusammen."

Kestin Gründer ist glücklich über jeden Fortschritt, den Areg macht. Und sie fühlt sich bereichert, ebenso wie Mentorin Denise Thaddey.

"Manchmal fühle ich mich selber wieder wie ein Kind. Gleich beim ersten Treffen sind wir Fußball spielen gewesen auf so einer Wiese. Es war einfach nur schön, wieder rumzutollen, auch mal die Arme in die Luft zu reißen und zu schreien: Tor!"

"Was ich gelernt habe, dass man sich über ganz kleine Dinge freuen kann. Ich habe am Anfang immer überlegt, was man so Tolles machen kann, irgendwo hinzufahren und letztendlich habe ich festgestellt, bei mir zuhause zu sein und ein Gesellschaftsspiel spielen, das waren die Tage, wo wir am meisten Spaß hatten."

Das Ende des Projektes ist meistens nicht das Ende der Beziehung. Auch Kerstin Gründer und Areg wollen Freunde bleiben. Anja Mutke und Neslihan sind bereits einen Schritt weiter. Balu und Mogli sind sie offiziell nicht mehr seit einem Jahr, aber sie sind immer noch befreundet, obwohl sich die elf Jahre alte Neslihan von Anfang an immer wieder darüber Sorgen machte.

"Als ich dachte, dass es vorbei ging, dann war ich traurig, dann sind noch ein paar Tränen gekommen und dann hat mir Anja gesagt, wenn wir uns gut verstehen, dann können wir zusammenbleiben, wenn wir uns nicht so gut verstehen, dann müssen wir nicht zusammen bleiben. Und dann habe ich gesagt, ich will lieber mit dir zusammen bleiben - und dann haben wir nicht mehr darüber geredet."

Neslihan und Anja Mutke treffen sich nicht mehr ganz so oft, dafür telefonieren sie mehr. Anja Mutke ist nämlich ins Emsland gezogen. Neslihan hat nur einen Wunsch:

"Dass es für immer weiter geht, auch wenn ich eine Oma bin."