Soziologin: Betriebe und Kommunen müssen für mehr Kinderbetreuung sorgen

12.03.2013
Vor Beginn des Familiengipfels hat die Soziologin Jutta Allmendinger Kritik an der Bundesregierung geübt. Familienpolitische Maßnahmen seien derzeit "zu wenig gebündelt". Der Staat sollte sich darauf konzentrieren, mit den Betrieben den Ausbau von Kindertagesstätten voranzutreiben.
Christopher Ricke: Paul Kuhn 1954. Heute wird er 85 Jahre alt, und in diesen Jahrzehnten, die zwischen diesem Lied, dem "Mann am Klavier" und dem Bundestagswahlkampf 2013 liegen, hat sich das Verständnis von Familie dramatisch verändert. Und Familienpolitik im Bundestagswahljahr kann durchaus spannend werden, es gibt ja genug Themen: Homosexuelle Lebenspartnerschaften, sollen die steuerlich genau so subventioniert werden wie heterosexuelle Ehen? Was ist mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Heute gibt es den sogenannten Familiengipfel, die Bundeskanzlerin hat Experten aus Wissenschaft und Politik ins Kanzleramt geladen. Jutta Allmendinger ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, sie ist Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Uni Berlin. Guten Morgen, Frau Professor Allmendinger!

Jutta Allmendinger: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Lassen Sie uns mal mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beginnen. Da gibt es ja die Firma Bosch, die ist im vergangenen Jahr ausgezeichnet worden, weil sie flexible Arbeitszeitmodelle in die Unternehmensleitlinien geschrieben hat. Sind wir denn alle auf dem richtigen Weg?

Allmendinger: Das ist nicht nur mit den flexiblen Arbeitszeiten, was Bosch gemacht hat, sondern was ich ganz wunderbar finde, ist, dass die "PanaMa" gegründet haben, und "PanaMa" heißt: Papa so nah wie Mama. Das ist ein gemeinsamer Kindergarten, der von der Bosch-Gruppe erstellt wurde und von den Kommunen und vom Land Baden-Württemberg. Und in diese Richtung müssen wir gehen, es geht also nicht nur um flexible Arbeitszeiten, die sind sehr wichtig, aber zu dieser Flexibilität gehört natürlich auch eine Infrastruktur für Kinder, wie man oft ein bisschen abwertend sagt, also sehr gute Kindertagesstätten, aber auch Ganztagsschulen. Und wenn man da von den Unternehmen zusammen mit den Kommunen mal mehr Hand anlegt, dann ist das in der Tat ein großer Fortschritt, und eine wesentliche Verbesserung von dem, was wir heute haben.

Ricke: In den Sommerferien gibt es bei Deutschlandradio auch regelmäßig eine Betreuung für die Mitarbeiterkinder, und wir werden in unserem Bekanntenkreis dafür durchaus beneidet. Sind das immer noch gute einzelne Ausnahmen?

Allmendinger: Leider ja. Wir werden am WZB auch dafür beneidet, dass wir so etwas haben. Aber wir sehen noch nicht, dass eine gesunde Art von Druckwelle dann kommt, es sind einzelne Beispiele, deshalb prämieren wir ja auch noch diese einzelnen Beispiele. Was wir brauchen, ist zunächst mal, dass wir dieses 39-Prozent-Ziel da erreichen, dass auch die Kommunen zusammen mit dem Bund viel entschlossener vorgehen, und dann brauchen wir Betriebe, die das auch zur eigenen Sache machen.

Ricke: Haben denn die deutschen Unternehmen insgesamt vielleicht noch nicht verstanden, dass Familienfreundlichkeit kein Gnadenakt ist, sondern durchaus zum Unternehmenserfolg beitragen kann?

Allmendinger: Es kommt drauf an: International aufgestellte Unternehmen haben das schon eine ganze Weile verstanden, weil sie wissen, sie brauchen die hochqualifizierten, nicht nur Mütter, sondern auch zunehmend Väter, die auch als Väter ihre Arbeit, ihre Erwerbsarbeit durchaus auswählen je nachdem, wie familienfreundlich Betriebe sind. Kleinere Betriebe hängen da hinten dran, das ist oft auch ihren geringeren Möglichkeiten geschuldet, sie müssten sich ja dann oft lokal mit anderen Betrieben zusammenschließen. Das geht, wir sehen viele Beispiele davon, aber es ist noch nicht flächendeckend so. Was Betriebe sehen, ist natürlich, dass sie zunehmend weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen, wenn sie diese Flexibilität der Arbeitszeiten, aber insbesondere auch Betreuungsmöglichkeiten nicht anbieten.

Ricke: Wir werden ja insgesamt weniger, das sagt der demografische Faktor, das sagt die demografische Entwicklung, und da frage ich mich manchmal: Was tut da die Familienpolitik? Es gibt das Betreuungsgeld, die sogenannte Herdprämie, es gibt die Steuervorteile, aber auf die Geburtenrate schlägt es nicht durch, was machen wir da falsch?

Allmendinger: Nun, zunächst mal sind diese ganzen Maßnahmen – und wir haben viel zu viele Maßnahmen, sie sind zu wenig gebündelt, sie wirken wie so eine Gießkanne, und sie setzen teilweise ja ganz unterschiedliche Akzente. Der eine Akzent heißt, bleibt doch bei eurem einen Haupternährer-Familienmodell, also eine Person verdient, die andere verdient etwas dazu, dieses wird gefördert durch das Ehegattensplitting, dieses wird gefördert durch das Betreuungsgeld beispielsweise. Und dann gibt es andere Maßnahmen, die lauten, geh doch bitte sofort oder ziemlich zügig nach einer Geburt von Kindern wieder in die Erwerbsarbeit zurück, hierzu würde ich beispielsweise das neue Unterhaltsrecht zählen, welches ja klar macht, dass Frauen auch auf eigenen Beinen zu stehen haben. Das tut der ganzen Diskussion überhaupt nicht gut, und insbesondere tut es nicht gut dem, was wir hauptsächlich brauchen, nämlich einen ordentlichen Zusammenschluss zwischen Arbeitsmarktpolitik, zwischen Bildungspolitik und Familienpolitik, weil da eigentlich die Ziele gemeinsame Ziele sind.

Ricke: Das ist die Frage nach den gemeinsamen Zielen: So unterschiedlich die Instrumente sind, Sie haben es ja gerade beschrieben, so unterschiedlich sind auch die politischen Ziele, die damit verbunden sind. Das ist doch in einer vielschichtigen Gesellschaft eigentlich ein Vorteil.

Allmendinger: Ich sehe diese Unterschiede nicht so wie Sie, weil in der Bildungspolitik haben wir ganz klar eine Zielsetzung, die heißt: Nehmt alle, wirklich alle Kinder mit. Wie können wir alle Kinder mitnehmen? Indem wir gerade die Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern, indem wir die Kinder aus Migrationselternhäusern relativ früh in eine gemeinsame Betreuung hereinnimmt, in eine außerhäusliche. Da wissen wir, dass das was nutzt. Das ist aber genau das, was auch den Eltern erlaubt, wieder relativ früh erwerbstätig zu sein.

Wir haben in der Arbeitsmarktpolitik – das hatten Sie anmoderiert – in der Tat die Versuche, die Frauenerwerbstätigkeit nicht nur zu erhöhen, sondern den Frauen auch zu erlauben, mehr als diese ganz geringe Teilzeit erwerbstätig zu sein. Damit haben wir natürlich zwar nicht mehr Köpfe im Arbeitsmarkt, aber wir haben mehr geleistete Arbeitsstunden. Insofern ist auch das ein gemeinsames Ziel, mit einer Familienpolitik, die sagt ganz klar: Wir brauchen mehr qualitativ hochwertige Zeit für die Kinder, aber auch die Sicherheit der jungen Familien.

Ricke: Frau Allmendinger, ich möchte noch mal auf die Unterschiede kommen, weil ich glaube, dass die Familienpolitik im Bundestagswahlkampf ein wichtiges Argument sein kann. Viele Parteien sind sich inzwischen sehr ähnlich, unterschiedliche Wahrnehmung von Familie und Familienpolitik unterscheidet Parteien und macht sie dadurch überhaupt wählbar. Wird also Familienpolitik zum Prüfstand im Herbst?

Allmendinger: Ich hoffe es sehr, weil an der ganzen Familienpolitik sehr viel hängt für die Zukunft unseres Landes, es hängt viel daran, weil aus der Familienpolitik auch Impulse gehen müssen, dass wir jetzt nicht noch mit den Arbeitszeiten noch höher gehen. Wir können mit den Arbeitszeiten von Frauen etwas höher gehen, aber dann müssen wir mit den Arbeitszeiten von Männern runter gehen. Nur dann ist überhaupt ein lebenswertes Leben möglich, und wenn die Familienpolitik neben der Bildungspolitik und neben einer Arbeitsmarktpolitik im Wahlkampf eine dominante Rolle spielt, dann erhoffe ich mir doch sehr, dass man das jetzt endlich mal entschlossen auch angeht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger.

Ricke: Jutta Allmendinger, sie ist die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Heute ist Familiengipfel im Kanzleramt.


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