Sexualkunde

Pornos, SM und Fetische als Schulstoff?

Der Sexualkundeunterricht in der Schule steht in der Diskussion.
Der Sexualkundeunterricht in der Schule steht in der Diskussion. © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Moderation: Liane Billerbeck |
In Baden-Württemberg sorgt eine Neuausrichtung des Sexualkundeunterrichts für Streit. Die Pädagogin Karla Etschenberg warnt zur Vorsicht bei bestimmten Methoden, die Schulkinder mit Sexualpraktiken konfrontieren.
Liane von Billerbeck: Seit der Veröffentlichung neuer Leitlinien in Baden-Württemberg läuft eine Debatte um die Zukunft der Sexualerziehung. Moderne Sexualpädagogen versuchen, sexuelle Vielfalt auf neue Art und Weise zu lehren. Dazu gehören auch Arbeitsblätter namens "Der neue Puff für alle" oder Aufgaben, bei denen Dildo, Handschellen und Windeln den Parteien eines imaginären Mietshauses zugeordnet werden sollen. In Baden-Württemberg haben sich 190.000 Eltern mit einer Petition dagegen gewehrt, und auch in Niedersachsen gibt es Streit. Da wollen Eltern verhindern, dass das Thema sexuelle Vielfalt fächerübergreifend und auf diese Weise in den Unterrichtsplan aller Klassenstufen eingeht. Armin Himmelrath hat in seinem Feature "LSBTTI oder die neue deutsche Sexualkunde" (Audio-Ausschnitt) den Streit zusammengefasst.
Ja, wie soll sie nun laufen, die Sexualerziehung? Das will ich jetzt von der Sexualpädagogin Karla Etschenberg wissen. Die emeritierte Professorin an den Universitäten Kiel und Flensburg war bis 2001 Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtserziehung e.V. Guten Morgen, Frau Etschenberg!
Karla Etschenberg: Guten Morgen!
von Billerbeck: Jugendliche sind heute bekanntlich früher mit Pornos und anderen härteren Formen der Sexualität konfrontiert. Sie kennen viel mehr Bilder aus dem Netz. Muss die Schule nicht darauf Antworten finden?
Schule muss Antworten finden
Etschenberg: Selbstverständlich muss die Schule darauf Antworten finden, denn wenn Kinder heute in einer total durchsexualisierten Umwelt – nicht Schule, Umwelt –, aufwachsen, dauernd diesen Signalen, Botschaften und vor allen Dingen über die Pornografie, die leider Gottes für Kinder frei zugänglich sind, konfrontiert sind, dann entstehen Bilder in den Köpfen der Kinder und Vorstellungen, mit denen man sie nicht allein lassen darf. Und vor allen Dingen dürfen dann Erwachsene nicht irgendwann sagen, oh je, was haben die denn für ein Sexualverhalten, was ist das für eine Partnerschaftlichkeit, die da entstanden ist, oder was weiß ich, wenn sie nicht jetzt darauf reagieren und den Kindern und Jugendlichen helfen, mit diesen Bildern und Eindrücken wertorientiert klarzukommen. Das halte ich für unfair, wenn dagegen protestiert wird.
von Billerbeck: Aber nun ist es ja so, wir sind ja nicht mehr in den 70er-, 80er-Jahren, und es gibt eine viel größere auch öffentliche sexuelle Vielfalt – muss nicht Schule auch für Akzeptanz solcher Vielfalt sorgen?
Etschenberg: Selbstverständlich muss sie dafür sorgen. Ich halte das auch gar nicht für ein besonders neues Erziehungsziel, denn die Akzeptanz sexueller Vorlieben, sexueller Lebensweisen, die Akzeptanz – nicht das Nachmachen oder Imitieren oder so etwas –, das war eigentlich schon immer Ziel der Sexualerziehung beziehungsweise der Sozialerziehung in der Schule. Es kann ja nicht sein, dass Kinder und Jugendliche nicht darin bestärkt werden, andere Menschen auf ihre Weise glücklich werden zu lassen. Das bedeutet ja nicht, dass sie ihre eigenen Überzeugungen oder die von den Eltern übertragenen Überzeugungen für ihre eigene Lebensweise vernachlässigen sollen.
Aber sie sollen einen Blick dafür haben, dass andere Menschen andere Vorlieben haben, anderen Zwängen vielleicht auch unterworfen sind, und dass sie ein Recht haben, genauso zufrieden und selbstbestimmt zu leben wie sie selber auch. Beziehungsweise sie selber auch – vielleicht sind ja selber davon auch betroffen, und sie brauchen in der Schule durchaus vorneweg oder im Voraus schon sozusagen die Botschaft: So, wie du dich mal entwickelst, das ist okay. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen es noch nicht wissen, wie sie sich mal entwickeln, aber sie müssen in der sexuellen Begleitung erfahren: Du wirst dich mal auf deine Art entwickeln, und so wie du das machst, ist das okay, wenn es selbstbestimmt ist.
von Billerbeck: Nun wollen ja die Initiatoren dieser neuen Leitlinien von Sexualerklärung das auch auf ungewöhnliche Weise tun, wir haben das ja eben gehört. Wollen Sie diese Aufklärung auf den Biologieunterricht beschränken?
Etschenberg: Da gehen jetzt zwei Fragen durcheinander. So, wie das von den Sexualpädagogen geplant ist, die Methoden, die halte ich für unzulässig in der Schule.
von Billerbeck: Warum?
Warnung vor Propaganda in der Schule
Etschenberg: Weil das ein bisschen ähnelt eigentlich einer Propaganda für verschiedene Lebensweisen, und das ist nicht Aufgabe der Schule. Da sollen ja Schüler sich sozusagen ganz tief hineindenken in Lebensweisen oder sexuelle Vorlieben, die ihnen noch völlig fremd sind und die sie vielleicht auch nie kennenlernen wollen oder müssen. Und dieses Sich-Hineindenken, das ist ja nicht Voraussetzung für die Akzeptanz. Voraussetzung für die Akzeptanz ist, dass ich aufgeklärt bin darüber, wie eigentlich normal es ist, dass es diese Vielfalt gibt und dass ich von mir aus eine Position einnehme, dass ich sage, okay, ich habe eine andere Vorliebe, eine andere Lebensweise, aber die anderen haben das Recht, genauso zu leben. Dafür brauche ich die Kinder aber nicht einzuführen in diese Art Lebensweise.
von Billerbeck: Das heißt also, Sie werfen den Initiatoren vor, dass sie ihrerseits Ideologie betreiben und da auch wieder Dinge vorschreiben, also eigentlich umgekehrt, wie es vor 30 Jahren gewesen ist?
Etschenberg: Ja. Ich habe, sagen wir mal, den Anfangsverdacht, dass da auch eine Ideologie eine Rolle spielt, und die gehört überhaupt nicht in die Schule. Überhaupt nicht.
von Billerbeck: Welche Ideologie meinen Sie damit?
Etschenberg: Ja – welche Ideologie? Dass das Thema Sexualität in ihrer gesamten Vielfalt jeden Menschen, auch wenn er spontan überhaupt kein Interesse daran hätte, dass sich jeder Mensch damit beschäftigen soll und muss, um sich gesund und normal zu entwickeln. Und dass ist natürlich eine Annahme, die so nicht stimmt, denn es gibt sehr viele Menschen, die ohne Kontakt und ohne Beschäftigung mit sexueller Vielfalt sehr zufrieden ihre Sexualität leben. Und da steckt ein Bild oder eine Vision von der Bedeutung sexueller Vielfalt für jeden einzelnen Menschen hinter, diese Bedeutung kann ich so nicht sehen und nicht teilen.
von Billerbeck: Die Sexualpädagogin Karla Etschenberg über die neuen Leitlinien und die Diskussionen um die Sexualerziehung in der Schule. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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