Selbst-Verleger machen Konkurrenz

Moderation: Stephan Karkowsky · 08.10.2013
Bereits seit 17 Jahren betreibt Wolfgang Tischer die Webseite literaturcafe.de und gehört damit zu den Oldies unter den Bloggern. Er sagt, entscheidend für die Buchverkäufe sind auch jetzt schon die vielen Leute, die Bücher online weiterempfehlen - und nicht nur die Kritiken im Feuilleton.
Stephan Karkowsky: So, ich darf jetzt noch mal ausdrücklich alle Hörer begrüßen, die uns via Internet lauschen, ob nun zu Hause oder auf dem Smartphone, und ich begrüße auf der Frankfurter Buchmesse den Gründer und Betreiber einer der ältesten Buchseiten im Internet, Wolfgang Tischer von literaturcafe.de. Herr Tischer, guten Tag!

Wolfgang Tischer: Guten Tag, Herr Karkowsky!

Karkowsky: 17 Jahre alt, da zählt Ihre Page doch tatsächlich schon zu den Oldies, oder?

Tischer: In der Tat, ja! Was man in der Zeit schon alles hat kommen und auch gehen sehen, ist schon sehr interessant. Vieles von dem, was ich jetzt so mitbekomme, ist fast für mich jetzt persönlich ein alter Hut!

Karkowsky: Seit Beginn seit der Buchmesse nun zählen Sie zu den Gastautoren des Buchmesse-Blogs von Deutschlandradio Kultur. Zu lesen ist von Ihnen da etwa ein Hinweis auf Joachim Zelters Literaturnovelle "Einen Blick werfen". Warum, Herr Tischer, sollten unsere Hörer nun einen Blick auf unseren Blog werfen?

Tischer: Ja, wir hoffen, dass die Hörer da ein bisschen einen Blick werfen können hinter die Kulissen der Buchmesse. Und es bloggen ja zum Beispiel auch Monika Zeiner, Thomas Glavinic, also zwei wirklich sehr prominente Autoren hier von der Messe, und die werden zum Beispiel und geben jetzt schon so ein bisschen einen Einblick, was bedeutet eigentlich so eine Messe für einen Autor. Viele sagen ja hier, die Autoren sind hier fast schon überflüssig, es geht ja hier ums Geschäft. Aber die berichten so aus ihrem Blickwinkel, ich werde ein bisschen versuchen natürlich, mich so über die Messe treiben zu lassen und einfach persönlich ein bisschen das aufzugreifen, was mir so auffällt und was man vielleicht so in den großen Medien und auf der großen Website von Deutschlandradio Kultur nicht so liest.

Karkowsky: Sie sind ein erfahrener Blogger, andere fangen vielleicht gerade erst damit an. Das Bloggen hat es ermöglichst, dass alle Menschen im Web 2.0 ihre Texte direkt veröffentlichen können. Den meisten Lesern dürfte es egal sein, mit welcher Technik Inhalte ins Netz gelangen, ob das nun Blogs sind oder Twitter oder die gute alte Homepage. Aber für die Schreiber scheinen die Blogs viel verändert zu haben. Wie würden Sie denn diese Veränderung beschreiben aus Sicht der Selbstpublizierer?

Tischer: All die genannten Kanäle, von denen Blogs natürlich nur einer sind, sind natürlich sehr wichtig für die Autoren, die Leser zu erreichen, und jetzt auch direkt zu erreichen. Das ist ja auch so ein Punkt, mit dem die Verlage jetzt konfrontiert sind, die ja immer ihre Bücher eigentlich an die Buchhändler verkauft haben, und die haben sie wieder an die Leser verkauft. Jetzt müssen sich die Verlage, aber können sich auch die Autoren direkt an die Leser wenden, noch mehr die Self-Publisher, die eben nicht in den Buchhandlungen stehen. Und da wird natürlich alles versucht und alles so ein bisschen, ja, die Leser zu binden, die Leser zu erreichen, die Fan-Basis aufzubauen. Also, wie man so schön sagt, der Autor muss seine eigene Marke werden. Und das ist ein immer wichtigeres Instrument, je mehr die Kommunikation sich verlagert ins Internet.

"Der Traum vom Buch bleibt"
Karkowsky: Und diese Selbstveröffentlicher, die Menschen also, die ohne Verlag einen Text, einen Roman zum Beispiel im Internet veröffentlichen, die spielen eine sehr starke Rolle dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse. Ist denn das Ziel dieser Autoren nicht immer noch das Buch, das gedruckte?

Tischer: Definitiv würde ich sagen, ja. Also, die meisten träumen dann schon irgendwann davon, tatsächlich überall in der Buchhandlung zu stehen. Aber die Sache hat sich in der Tat geändert. Ich weiß gar nicht, ob Self-Publishing so eine große Rolle spielt, aber es gibt jetzt hier auf der Messe eine so genannte Self-Publishing-Arena in der Halle 3.1, wo sehr viele Diskussionen um dieses Thema stattfinden. Also, wie ist das Verhältnis jetzt dieser Selbermacher zu den Verlagen, wie ist die Qualität dieser Dinge? Es wird ja immer wieder kolportiert, na ja, da ist ja kein Lektor und kein Verlag da, das kann ja gar nicht so gut sein.

De facto ist aber die Konkurrenzsituation schon sehr stark und das merken auch die Verlage, die sich eben nicht auf dieses wunderbare "Wir sind diejenigen, die auswählen, die Qualität suchen" zurückziehen können, sondern die jetzt in dieser Konkurrenz leben, dass es auch Einzelautoren gibt, die weitaus erfolgreicher sind. Und man muss nur in die Charts einer der größten deutschen Buchplattformen schauen: Unter den Top Ten sind dort mittlerweile mehr selbst verlegte Self-Publishing-Bücher als Verlagstitel. Und das ist schon ein eindeutiges Zeichen, dass auch die Verlage sich ein bisschen um diese Konkurrenz kümmern sollten. Na ja, ein bisschen ist schon fast wieder zu wenig gesagt, schon sehr um diese Konkurrenz kümmern sollten.

Karkowsky: Sie hören live von der Frankfurter Buchmesse Wolfgang Tischer, einen der Blogger, die in unserem Buchmesse-Blog dabei sind. Wolfgang Tischer ist Betreiber und Gründer von literaturcafe.de. Herr Tischer, Sie selbst kommen gerade aus der Glaskugel der Frankfurter Buchmesse, aus einem Kongress namens CONTEC. Da haben Sie auch einen Text auf unserem Buchmesse-Blog schon zu veröffentlicht. Auf CONTEC, da schaut die Messe alljährlich in die Zukunft und erstmals sind dieses Jahr, wie ich lesen durfte, auch Vertreter von Amazon dabei, vom großen Buchversender. Haben die eigentlich auch Freunde auf der Buchmesse?

Tischer: Wenn immer dort das Wort Amazon gefallen ist, ich glaube, das war heute auch schon ganz selten, dann entschuldigt man sich fast. Also, das ist jetzt immer so fast schon eine Art Running Gag, also, Amazon, da muss man immer sagen, oh Gott, ich wollte es ja gar nicht sagen! Amazon gilt hier so ein bisschen als die Bösen, aber letztendlich muss man definitiv sagen, dass natürlich die Großen – das ist ja nicht nur Amazon, sondern das sind ja Apple und zum Teil auch Google –, die haben nun mal hier die Pistole angesetzt, haben einen Fortschritt vorangetrieben. Amazon hat zum Beispiel diesen Self-Publishern erstmals ermöglicht, dass sie ohne eine lange Vertragsbindung und ohne dass sie all ihre Rechte an irgendwelche Verlage abtreten, dass man also von heute auf morgen ein Manuskript, was man als Word-Datei in der Schublade hat, veröffentlichen kann. Also, sie sind sehr weit vorangeschritten, während die Verlage noch diskutiert haben und während die Verlage noch über DRM, ja oder nein, und wie sind die Preise der E-Books … Da wird allzu viel, zu zögerlich diskutiert, während die Kunden, die Leser schon längst entdeckt haben, oh, es gibt da diese tollen 99-Cent-Bücher der Self-Publisher, da kann ich 10 oder 15 von denen kaufen statt eines Verlagstitels, und dann können auch ein paar Nieten drunter sein, aber da habe ich vielleicht mehr Wert für mich als Leser gewonnen. Und das muss man einfach anerkennen und sehen. Und ja, die Verlage reagieren leider, leider nach wie vor sehr, statt zu agieren.

Karkowsky: Bei den etablierten Verlagen kriege ich als Autor so um die zehn Prozent, nehme ich an, vom Gewinn, vom Buchverkaufspreis. Das wird sich ja dann kaum lohnen bei Amazon, wenn ich einen 99-Cent-Roman veröffentliche, sind das gerade mal neun Cent! Oder zahlt Amazon da andere Honorare?

Tischer: Es gibt da mehrere Staffeln, aber wenn Sie einen 2,99-Titel dort verkaufen, kriegen Sie im Endeffekt zunächst mal zwei Euro, und das ist weitaus mehr, als Sie für ein Hardcover oder einen Paperback-Artikel in einem Verlag bekommen. Aber das ist natürlich eine augenscheinliche Sache und Geld allein ist natürlich auch nicht alles. Aber dennoch stellen sich manche Autoren die Frage, brauche ich noch einen Verlag oder nicht? Und gerade auch auf der CONTEC gibt es natürlich, wie immer aus den USA, sehr viele Beispiele und sehr viele Autoren, die letztendlich damit erfolgreich sind, die verkaufen ohne Verlage und denen das auch sehr gut gelingt.

"Verschenkte Bücher sollen Kunden locken"
Da gibt es natürlich Mechanismen, die völlig jenseits dessen sind, was die Buchbranche will, beispielsweise sein Buch auch zu verschenken eine Zeit lang, was völlig absurd klingt zunächst mal, warum soll ich ein Buch verschenken, um dann Geld zu verdienen? Aber das sind ganz neue Marketing-Mechanismen, die da ins Spiel kommen, die man auch alle erst mal erlernen muss und die auch die Verlage lernen müssen. Und viele Verlage machen es jetzt. Man findet immer mehr Verlage, die Reihen veröffentlichen, und da gibt es den ersten Teil erst mal kostenlos. Also, Rowohlt macht das jetzt, dtv, habe ich gehört, wird das machen. Also auch die ganzen großen Verlage adaptieren jetzt mehr und mehr die Mechanismen, die zunächst einmal die Self-Publisher aufgegriffen haben. Und das ist doch schon sehr bezeichnend, wer hier ein bisschen antreibt.

Karkowsky: Wenn wir schon dabei sind: Welche Rolle spielen eigentlich die Literaturkritiker noch im Netz? Für die scheinen ja Fernsehen-, Radio- und Print-Feuilleton im Prestige-Ranking einigermaßen gleichberechtigt hoch zu stehen, aber Online-Kritiken, die kann doch eigentlich jeder schreiben! Wertet sie das nicht ab?

Tischer: Das ist jetzt ein Punkt, über den man in der Tat lange diskutieren kann. Man kann vielleicht auch jetzt schon darüber diskutieren, wer hat denn mehr Einfluss auf die Buchverkäufe: der "FAZ"-Kritiker oder letztendlich die vielen Leute, die Bücher weiterempfehlen? Und das ist ja das, was im Internet passiert. Die persönliche Empfehlung ist nach wie vor das Wichtigste, um einen Bestseller zu machen. Wenn die Leute ein Buch persönlich nicht weiterempfehlen und sagen, hier, lies mal, das solltest du lesen, dann wird es keinen Bestseller geben. Und das wandert jetzt ins Netz und das wandert in Kritiken bei Amazon, das wandert in Blogs, das wandert bei Facebook und bei Twitter, dort wird jetzt mehr und mehr persönlich empfohlen. Also ja, man kann natürlich sagen, eine Feuilleton-Kritik, das adelt einen ein bisschen, aber die Frage ist, wie lange noch? Spielt es nicht mehr eine Rolle, dass einfach über das Buch in der Breite gesprochen wird? Und je mehr die im Netz spricht und kommuniziert, desto wichtiger ist einfach dieser Kanal. Und ein Blogger, der sich sehr eingängig mit einem Autor beschäftigt in seinem Blog, alle Bücher kennt, die Details der Bücher kennt, der kann mit seinem Urteil über das neue Buch vielleicht für einen Leser des gleichen Autoren wichtiger und hilfreicher sein als ein Feuilleton-Kritiker.

Karkowsky: Wolfgang Tischer, Ihnen herzlichen Dank! Der Betreiber von literaturcafe.de ist einer von vier prominenten Autoren und Autorinnen, die den Deutschlandradio-Kultur-Buchmesseblog betreuen, live von der Frankfurter Buchmesse. Die Messe hautnah miterleben können Sie täglich live hier im "Radiofeuilleton", abends im "Fazit" und Mittwoch bis Freitag, also ab morgen, in speziellen Sondersendungen aus Frankfurt von 11:00 bis 12:00 Uhr vormittags, und auch am Samstag geht es im "Radiofeuilleton" im Gespräch ums Self-Publishing, den Traum vom eigenen Buch.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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