Schwarzer Wein

Von Leonie March · 07.10.2013
Wein aus Südafrika hat inzwischen weltweit einen guten Ruf. Doch schwarze Winzer sind bis heute eine Minderheit am Kap. Landesweit werden nur etwa 30 der rund 4600 Weingüter von Schwarzen bewirtschaftet. In der Regel arbeiten sie als Farmarbeiter bei weißen Winzern.
Jeder Handgriff sitzt. Routiniert schiebt Sarah Claasen das Weinlaub beiseite, mit der linken Hand greift sie nach einer reifen Rebe, mit der rechten setzt sie die Schere an. Langsam füllt sich ihr Plastikeimer mit dunklen Pinotage-Trauben.

Seit sechs Uhr morgens schuftet die stämmige Frau auf dem Weinberg. Je mehr sie erntet, desto mehr verdient sie. Deshalb gönnt sie sich nur selten eine Pause. In einem dünnen Rinnsaal läuft Schweiß über ihr rundes Gesicht.
Sarah Claasen fischt ein gemustertes Tuch aus der Tasche ihres Overalls, wischt ihre Stirn ab und drückt kurz den Rücken gerade durch. Die gebückte Haltung bei der Weinlese, zwölf Stunden am Tag, macht ihr zu schaffen, ebenso wie die Hitze.
Die Sonne steht im Zenit, Schatten ist rar zwischen den Weinstöcken, die sich in akkuraten Reihen bis an den Fuß der Berge am Horizont erstrecken.

Die Weinregion bei Kapstadt ist bekannt für ihre Schönheit, die liebliche Landschaft und die historischen Weingüter. Die weißen Fassaden blenden in der Sonne, es duftet nach Lavendel und Rosmarin. Für die Farmarbeiter habe kaum jemand einen Blick übrig, meint Sarah Claasen verbittert.

"Keiner sieht, was sich hinter den schicken Weinetiketten verbirgt. Die Leute stellen sich das Leben hier so luxuriös vor wie in den Lifestyle-Sendungen im Fernsehen. Doch die Realität sieht anders aus. Diejenigen, die diesen Rotwein abends gemütlich trinken, sollten sich einmal fragen, unter welchen Bedingungen er hergestellt wurde, welchen Hungerlohn die Farmarbeiter hier verdienen, in welchen Verhältnissen wir leben. Viele haben zuhause nicht einmal Toiletten, sie müssen ihre Notdurft hinter Büschen verrichten. Die Weine werden zwar exportiert, aber wir haben nichts davon. Wir müssen um jede Lohnerhöhung betteln."

Anfang des Jahres waren die Landarbeiter in Südafrikas Kapprovinz auf die Straße gegangen. Sarah Claasen protestierte in vorderster Front mit. Sie ist die Präsidentin der Organisation "Sikhula Sonke", die sich für die Rechte von Farmarbeiterinnen einsetzt. Ihre Forderung: Mehr als das doppelte des bestehenden Mindestlohns, 150 Rand pro Tag, umgerechnet knapp 11.50 Euro. Nach teilweise gewaltsamen Ausschreitungen und zähen Verhandlungen akzeptierten die Gewerkschaften ein Angebot von acht Euro.

Hungerlöhne für die Arbeiter
"Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir werden demnächst weiter verhandeln. Wir halten an unserer Forderung von 150 Rand am Tag fest. Alles was wir wollen, ist ein Lohn, von dem die Familien einigermaßen leben können, von dem sie ihre Kinder ernähren und zur Schule schicken können. Der jetzige Tagessatz reicht dafür nicht aus; er ist weiterhin ein Hungerlohn. Die Lebensmittelpreise steigen, dazu kommen Schulgebühren und Gesundheitskosten. Ich müsste eigentlich zum Arzt, weil ich krank bin, aber ich kann mir einen Tag Auszeit nicht leisten."

Nur wenige Kilometer entfernt auf einem anderen Weinberg. Auf den ersten Blick das gleiche Bild: Landarbeiterinnen in blauen Overalls, die in der prallen Sonne die reifen Reben ernten. Eine von ihnen ist Lucinda le Roux. Sie verdient etwas mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Aber das sei nicht alles, fügt sie hinzu.

"Ich besitze Anteile an diesem Weingut. Das bedeutet mir sehr viel. Denn ich werde endlich ernst genommen und kann mitbestimmen, was hier passiert. Es geht mir nicht nur ums Geld. Für mich ist es eine Ehre, diese Anteile zu besitzen und hier zu arbeiten."

Lucinda le Roux gehört zu 250 Farmarbeiterfamilien, die die Mehrheit an "Thandi Wines" halten, einem Weingut, das seit der demokratischen Wende Südafrikas Geschichte geschrieben hat. Es war das erste, das von schwarzen Südafrikanern geführt wurde und das erste weltweit, das einen Fair-Trade-Wein auf den Markt brachte. Beides war eine kleine Revolution in einer Branche, die bis heute von weißen Südafrikanern dominiert wird und auf billige Arbeitsplätze setzt, erzählt Vernon Henn, der Manager von "Thandi Wines".

Traum des Farmers von nebenan
"Bei der sozialen Transformation der Weinindustrie geht es darum, dass mehr Menschen Zugang zur formalen Wirtschaft, Arbeitsplätzen und damit auch zum Wohlstand des Landes haben. Auch 20 Jahre nach der demokratischen Wende in Südafrika müssen wir dafür noch kämpfen. Nur rund drei Prozent der Weinindustrie sind im Besitz von Schwarzen. Also noch immer viel zu wenig. Die Geschichte von 'Thandi' begann 1995 mit dem Traum des Farmers von nebenan. Er hatte eingesehen, dass es nicht weitergehen konnte wie bisher und trat einen Teil seines Landes an seine Arbeiter ab. Seitdem haben wir bewiesen, dass ein solches Modell funktionieren kann."

Vernon Henn hat sich im Weinkeller mit dem Sohn des Farmers von nebenan, Paul Cluver, verabredet. In der riesigen Halle stapeln sich die Weinkartons meterhoch. Ein dutzend Frauen sitzen rund um einen Tisch und etikettieren die ersten Flaschen des neuen Jahrgangs.

Die Cluvers gehören zu den alteingesessenen Familien am Kap. Seit Ende des 19. Jahrhunderts bauen sie hier Obst und Wein an. Nach den ersten demokratischen Wahlen wollten sie ihren Teil zum neuen Südafrika beitragen. Doch es sei nicht dabei geblieben, den Farmarbeitern ein Stück Land zu überschreiben, betont Paul Cluver. Seine Familie stellte das Startkapital zur Verfügung, sicherte staatliche Unterstützung und half jahrelang als Mentor beim Aufbau des Unternehmens.

"Es geht nicht darum, jemandem eine Farm zu geben, sondern auch darum, ihm beizubringen, wie er sie erfolgreich bewirtschaftet. Neue Unternehmen haben es heutzutage ohnehin schwer, in der Weinindustrie Fuß zu fassen. Weltweit werden die Farmen größer, man muss mit neuen Technologien mithalten, dem internationalen Wettbewerb standhalten und die hohen Kosten bewältigen. Wer hier wegen der historischen Benachteiligung nicht die entsprechende Erfahrung mitbringt, hat schlechte Karten. Mittlerweile ist es Konsens, dass wir eine gerechtere Umverteilung in der Landwirtschaft brauchen; die Frage ist, wie das gelingt. Wir können es uns nicht leisten, die Leute scheitern zu lassen. Das erhöht den Druck auf die weißen Farmer nur weiter. Wir brauchen Erfolgsgeschichten."

Vernon Henn nickt zustimmend. Zu viele ähnliche Projekte sind bereits gescheitert, weil es an Kapital, an Kontakten in der Branche, Fachkenntnissen oder staatlicher Unterstützung mangelte.

In der Halle nebenan wäscht ein Arbeiter die meterhohen Metalltanks aus, in denen die frisch geernteten Trauben gepresst werden. Die beiden Männer gehen ein paar Schritte über den nassen Boden. Sie schätzen sich, das ist deutlich spürbar. Die Grenzen zwischen weißen und schwarzen Südafrikanern, die während der Apartheid den Alltag bestimmt haben, scheinen sie wirklich überwunden zu haben. Die Herkunft habe jedoch für viele der Kunden eine Rolle gespielt, meint Vernon Henn nachdenklich.

"Die meisten Leute haben nicht ausgesprochen was sie denken, aber man konnte es deutlich spüren. Sie waren skeptisch, ob Schwarze, die seit Generationen nicht mehr als einfache Arbeiter waren, einen guten Wein herstellen können. Deshalb war uns Qualität von Anfang an sehr wichtig. Die Leute sollen unsere Weine ja nicht aus Mitleid kaufen. Die Tatsache, dass wir zu der Minderheit der schwarzen Winzer in Südafrika gehören, dass wir nach Fair Trade Richtlinien sozial und ökologisch nachhaltig arbeiten, ist lediglich ein Bonus. Er sorgt für ein gutes Gefühl beim Kauf. Auf dem internationalen Markt funktioniert das gut, der einheimische ist schwieriger. Denn noch sind die meisten Weinkonsumenten hier weiß, Schwarze trinken traditionell eher Bier. Aber mit der wachsenden schwarzen Mittelschicht steigt die Nachfrage. Sie finden Gefallen am Geschmack, zunächst für süßere Weine und später auch für trockene. Das wird sich noch weiter entwickeln."

Vom Putzmann zum Manager eines florierenden Weinguts
Vernon Henn spricht, als habe er nie etwas anderes getan, als ein Weingut geführt. Dabei ist er in armen Verhältnissen aufgewachsen, als ältester Sohn einer Farmarbeiterfamilie. Als Kind träumte er davon, Pilot zu werden, aber dieser Beruf war weißen Südafrikanern vorbehalten. Seinen Eltern fehlte das Geld, um ihm eine Ausbildung zu finanzieren. Also arbeitete er sich hartnäckig hoch, vom Putzmann zum Manager eines florierenden Weinguts.

"Mein Leben hat sich dramatisch verändert. Aber leider trifft das nicht auf die Mehrheit der Bevölkerung zu. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Durch dieses massive Ungleichgewicht wächst die Frustration; viele Leute wissen keinen anderen Ausweg als Gewalt. Die Regierung muss jetzt dringend handeln, ihre Versprechen einlösen und die Korruption bekämpfen. Ansonsten wird sich die Situation weiter zuspitzen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wichtig, dass Projekte wie "Thandi" erfolgreich sind. Denn je eher wir eine nachhaltige Industrie aufbauen können, in der jeder es ein bisschen besser hat, desto eher können wir auch als Nation weiter vorankommen."

Noch aber bleibt "Thandi" eine Ausnahme. Zwar hat sich die südafrikanische Weinindustrie bereits 2007 in einer so genannten Transformations-Charta zu einer gerechteren Umverteilung bekannt, aber die Realität hinkt den hehren Zielen hinterher. Nicht einmal drei dutzend Weingüter sind im Besitz schwarzer Südafrikaner. Seit der demokratischen Wende hat sich die Exportmenge verachtfacht. Das Land gehört zu den zehn größten Weinproduzenten der Welt. Für die Mehrheit der Arbeiter hat sich jedoch nicht viel verändert.

Nach zwölf Stunden harter Arbeit macht sich Sarah Claasen zu Fuß auf den Nachhauseweg. Wie viele Farmarbeiter lebt sie auf dem Land des Weinguts. Das war schon vor und während der Apartheid so.

Sarah Claasen biegt in einen unscheinbaren Trampelpfad ab, der von der prächtigen Allee des Weinguts abzweigt und über ein karges Feld führt. Außer Sichtweite für die Besucher stehen zwei dutzend in die Jahre gekommene kleine Häuser dicht an dicht. Bröckelnder Putz, geflickte Dächer, feuchte Mauern. Ein trostloser Anblick.

Vor ihrem Haus spielen Sarah Claasens Enkel. Nach dem Tod ihres Sohnes hat sie sie bei sich aufgenommen. Auch ihre erwachsene Tochter lebt noch zuhause. Die Großfamilie lebt in beengten Verhältnissen, teilt sich zwei Schlafzimmer und ein winziges Bad. Die Nutzung des Hauses ist an den Arbeitsvertrag gekoppelt. Wer seinen Job auf der Farm verliert oder in Rente geht, muss ausziehen. Ganze Familien werden obdachlos, betont die Gewerkschafterin. Dabei gibt es Gesetze dagegen.

"Wir haben ein sehr gutes Arbeitsrecht in Südafrika. Das Problem ist, dass sich längst nicht alle Farmer daran halten. Es wäre die Aufgabe der Regierung, ihre Bürger zu schützen; vor allem arme Menschen, wie die Landarbeiter, die sich nicht selbst zur Wehr setzen können. Deshalb ist auch die Regierung mit schuld an der Situation."

Missstände der Arbeits- und Lebensbedingungen südafrikanischer Landarbeiter
Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der internationalen Menschenrechts-Organisation "Human Rights Watch" aus dem Jahr 2011. Darin werden massive Missstände der Arbeits- und Lebensbedingungen südafrikanischer Landarbeiter angeprangert.

Bei "Thandi Wines" wartet man nicht auf die Regierung, sondern nimmt die Dinge seit je her selbst in die Hand. Mit sichtbarem Erfolg. Auch Lucinda le Roux lebt in einer alten Landarbeitersiedlung am Rande des Weinbergs. Die Häuser sind nicht unbedingt größer, aber wesentlich besser gepflegt als auf anderen Farmen. Die Fassaden sind frisch weißgetüncht; die Bewohner haben kleine Vorgärten angelegt, in denen Kräuter wachsen und Rosen blühen. Seit die Familien an den Gewinnen des Weinguts beteiligt werden, habe sich ihr Leben spürbar verbessert, erzählt Lucinda le Roux stolz. Zu den Dividenden kommt die Fair-Trade-Prämie, ein fester Anteil am Kaufpreis jeder Flasche, der in soziale Projekte fließt.

"Dank dieser Unterstützung konnten wir eine eigene Kindertagesstätte einrichten. Das ist eine enorme Hilfe, vor allem für uns Farmarbeiterinnen. Wir entscheiden selbst, wofür wir das Geld ausgeben. Das kann alles Mögliche sein: Einmal haben wir gemeinsam einen Bus für einen Ausflug gemietet, einen Sportplatz für die Jugendlichen gebaut und einen Fonds für Beerdigungen eingerichtet. Wir können das Management jederzeit um Rat fragen. Unser Verhältnis ist sehr offen. Wir können sagen, was wir denken, ohne Angst zu haben. Wir verstehen uns einfach."

Eine der Nachbarstöchter hat gerade eine Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen, erzählt Lucinda le Roux weiter. Sie soll bald in die Gemeinschaft zurückkehren, um eine Klinik aufzubauen. Dann müssen die Landarbeiter nicht mehr den langen Weg mit dem Minibustaxi in die Stadt auf sich nehmen, sondern können vor Ort behandelt und mit Medikamenten versorgt werden. Früher wäre das undenkbar gewesen: Kinder von Farmarbeitern haben häufig nicht einmal die Schule abgeschlossen, geschweige denn eine Ausbildung; viele sind Analphabeten.

"Wenn unsere Kinder die Schule heute mit guten Noten abschließen, dann können sie studieren. "Thandi Wines" hat extra einen Fonds für Stipendien eingerichtet. Meine Kinder haben also wesentlich bessere Chancen, als ich sie jemals hatte. Ich wünsche mir, dass sie Lehrer, Arzt oder Krankenschwester werden. Auf jeden Fall etwas Besseres als ich."

Lucinda le Roux hofft, dass einige der gut ausgebildeten jungen Leute später einmal das Weingut weiterführen. Denn viel wichtiger als der kurzfristige Erfolg eines solchen Projekts ist seine Nachhaltigkeit. Auf ihrem Weg in die Zukunft braucht die südafrikanische Weinindustrie dringend erfolgreiche Vorbilder.