Schutz gegen Willkür

Von Otto Langels · 28.07.2006
Infolge des Zweiten Weltkriegs waren auf dem europäischen Kontinent Millionen Menschen auf der Flucht. Um sie im Ausland vor staatlicher Willkür zu schützen, wurde am 28. Juli 1951 in Genf ein "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" verabschiedet. Erstmals wurde darin beschrieben, wer als Flüchtling anzuerkennen ist und in einem fremden Staat Schutz beanspruchen kann. Die Genfer Flüchtlingskonvention trat knapp drei Jahre später im April 1954 in Kraft.
"Artikel 1: Der Ausdruck "Flüchtling" findet auf jede Person Anwendung, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt."

Mit einer völkerrechtlich verbindlichen Definition beginnt das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, nach dem Ort der Unterzeichnung kurz Genfer Konvention genannt.

Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch des Zarenreiches und des Osmanischen Reiches, hatten Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Aber es gab keine internationale Vereinbarung, ihnen zu helfen. Wenn überhaupt, schlossen einzelne Staaten Abkommen über die Aufnahme von Flüchtlingen. In den 30er Jahren lösten der Nationalsozialismus und der spanische Bürgerkrieg neue Vertreibungen in Europa aus.

Stefan Telöken, vom Berliner Büro des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, über die Geschichte humanitärer Krisen:

"1938 war dann eine Flüchtlingskonferenz, auf Initiative der Amerikaner einberufen im südfranzösischen Evian. Thema: Aufnahme von Juden aus Deutschland und Österreich in Kontingenten. Ergebnis: niederschmetternd, kein einziger Flüchtling wurde aufgenommen. Das hat dann 1951 dazu bewogen, nun von diesen zwischenstaatlichen Abkommen wegzukommen. Und sich zu überlegen, wie weit man ein internationales Abkommen schafft, in dem es darum geht, einen individuellen Flüchtlingsschutz zu gewährleisten."

Die Überlegungen führten schließlich zur Genfer Flüchtlingskonvention. Verfolgte und Vertriebene waren nun nicht mehr auf die staatliche Gnade eines Aufnahmelandes angewiesen. In dem Abkommen war festgelegt, welche Rechte und Pflichten ein Flüchtling hatte:

"Artikel 16: In den vertragsschließenden Staaten, in denen ein Flüchtling nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, genießt er dieselbe Behandlung, wie ein Staatsangehöriger des Landes, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat."

Flüchtlinge dürfen demnach nicht als "Ausländer zweiter Klasse" behandelt werden. Sie haben freien Zugang zu den Gerichten, können ihre Religion frei ausüben, und dürfen nicht wegen ihrer Rasse oder Herkunft diskriminiert werden. Von existenzieller Bedeutung für Verfolgte ist Artikel 33 der Genfer Konvention:

"Keiner der vertragsschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit bedroht sein würde."

Die Genfer Flüchtlingskonvention trat im April 1954 in Kraft. Neben Australien, Belgien, Dänemark, Luxemburg und Norwegen gehörte die Bundesrepublik Deutschland zu den ersten sechs Unterzeichnerstaaten. Das Abkommen bezog sich zunächst auf Menschen in Europa, die vor dem 1. Januar 1951 ihr Heimatland verlassen mussten. Mit dem "Protokoll von New York" wurde 1967 die zeitliche und geographische Begrenzung aufgehoben. Bis heute haben die Konvention 146 Staaten unterzeichnet, was viele jedoch nicht davon abhält, massenhaft Menschenrechte zu verletzen.

"Sie haben mich gefangen und einen Monat festgehalten. Acht Sicherheitsleute setzten mir ihre Pistolen an den Kopf. Sie haben mich geschlagen und genötigt, aber ich hatte keine Angst und sagte ihnen meine Meinung."

Jaqueline Novello, aus dem Sudan. Sie fand Zuflucht in Kenia, im Gegensatz zu einer wachsenden Zahl von Verfolgten, denen es nicht gelingt, internationale Grenzen zu überschreiten.
Stefan Telöken:

"Die werden von keiner internationalen Konvention erfasst. Es gibt zwar die Rotkreuz-Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung, aber es gibt keine internationale Konvention für Binnenvertriebene. Gleichwohl ist deren Schicksal ja ähnlich wie von Flüchtlingen. Es ist oftmals sogar noch weitaus schlimmer. Denken Sie an die Situation in Darfur, wo 1,8 bis 2 Millionen Menschen praktisch immer wieder den Gräueltaten und Übergriffen der Kriegsparteien ausgesetzt sind."
Erschwert wird die Arbeit der Hilfswerke durch eine restriktive Flüchtlingspolitik der reichen Industriestaaten. Seitdem die EU und die USA ihre Grenzen hermetisch abriegeln, finden dort immer weniger Menschen aus den Krisenregionen Afrikas und Asiens Aufnahme.

Die Genfer Konvention hat 55 Jahre nach ihrer Verabschiedung - bedauerlicherweise muss man hinzufügen - nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität verloren. Nach Schätzungen des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, sind heute weltweit rund 40 Millionen Menschen auf der Flucht.