Schaufenster der Welt-Architektur

Moderation: Jürgen König · 08.08.2007
In der chinesischen Hauptstadt wird derzeit überall gebaut. Die Metropole im Reich der Mitte bereitet sich auf die Olympischen Sommerspiele 2008 vor. Die Stadt, so Stephan Schütz vom Architekturbüros GMP in Peking, entwickelt sich in einem "wahnsinnigen Tempo" und katapultiert sich in die Hypermoderne.
Jürgen König: Heute in einem Jahr sollen die Olympischen Sommerspiele von Peking eröffnet werden und entsprechend laufen die Vorbereitungen dort auf Hochtouren. An keinem Ort der Welt entstehen derzeit so viele spektakuläre Gebäude wie in Peking. Eines der großen in China tätigen Architekturbüros ist GMP – Gerkan, Marg und Partner. Deren Büroleiter in Peking ist Stephan Schütz. Gemeinsam mit Meinhard von Gerkan hat er auch den Neubau des chinesischen Nationalmuseums entworfen. Herr Schütz, guten Tag nach Peking.

Stephan Schütz: Ja, guten Tag, Herr König.

König: Grüne und menschliche Spiele haben die Organisatoren versprochen. In den Zeitungen hier ist nun zu lesen, derzeit sei Peking wegen der vielen Baustellen ein einziges Meer aus Staub und Dreck. Lassen Sie mich ein Zitat geben, Herr Schütz, in der "Zeit" schrieb Hanno Rauterberg: "Wenn die Stadt ein Körper ist, dann liegt Peking derzeit auf der Intensivstation. Der alte Leib siecht dahin, das Gewebe ist faul, selbst die Luft geht ihr aus, überall nur noch Smog. Und überall sind Großchirurgen am Werk. Eine größere Stadtoperation hat es wohl nie gegeben. Keine andere Mega-Metropole hat sich je so schnell, so radikal verwandelt wie diese." Herr Schütz, Sie wohnen in Peking, wie erleben Sie diesen unglaublichen Wandel im Alltag?

Schütz: Also ich kann dem Zitat von Herrn Rauterberg grundsätzlich nur zustimmen. Es ist heute, welch Wunder, der erste Tag, an dem wir schönes Wetter haben. Heute ist ja der 8.8., in einem Jahr beginnen die Olympischen Spiele. Bis gestern war es grau und fast unerträglich. Das liegt, glaube ich, allerdings weniger an den Baustellen, die Sie erwähnt haben oder die Herr Rauterberg erwähnt hat, sondern weitaus stärker an den Autos. Wir haben also über drei Millionen Autos in Peking, und täglich kommen etwa 1000 hinzu. Man hat sich für heute etwas überlegt, ich habe das der Zeitung entnommen, nämlich dass alle Beamten der Stadt bitte öffentliche Verkehrsmittel benutzen sollen, sodass also an dem besonderen Tag ein Jahr vor den Spielen das Wetter etwas schöner ist als sonst.

König: Wie würden Sie als Architekt den Wandel beschreiben, den Peking gerade erlebt?

Schütz: Die Gegensätze zwischen historischer Stadt, der Stadt des Mao-Kommunismus, also eine relativ graue, kommunistische Stadt, und einer hypermodernen Stadt werden immer deutlicher. Die Stadt entwickelt sich in einem wahnsinnigen Tempo, und man bewegt sich zwischen Hypermodernität und einer ja fast mittelalterlich anmutenden Stadt hin und her. Das macht das Spannende von Peking momentan aus.

König: Wie wichtig ist, dass das, was gebaut wird, chinesisch aussieht, also will sagen, wie wichtig ist das Erbe chinesischer Baukultur und die kulturelle Identität, die dran hängt?

Schütz: Ja, da fragen Sie sicherlich den Richtigen. Sie hatten ja eingangs erwähnt, dass ich für den Entwurf und für die Planung des Nationalmuseums zusammen mit Meinhard von Gerkan verantwortlich bin. Bei diesem Projekt stellt sich die Frage natürlich in einem besonderen verschärften Maße. Die Chinesen suchen tatsächlich nach einer baulichen Identität, nach einer Fortführung ihrer Bautradition, was gar nicht so einfach ist, weil sich grundsätzlich natürlich die Maßstäbe völlig verschoben haben. Ich kann nicht einen eingeschossigen Tempel oder ein kleines Hofhaus, das waren die beherrschenden Typologien der Stadt Peking bis vor 100 Jahren, nun in eine Größenordnung übertragen, die 16, 20 oder 30 Geschosse groß ist. Wenn man das tut als Architekt, handelt man naiv, und das Ergebnis sieht eben entsprechend aus. Das heißt also, man kann formal eigentlich wenig übernehmen. Und trotzdem ist es so, das man, wenn man länger in China lebt, bestimmte Eigenschaften der chinesischen Architektur fast selbstverständlich übernimmt. Ich nenne zwei Beispiele: Das eine ist die Ausrichtung aller Gebäude nach Süden. Die chinesischen Gebäude schauen tatsächlich mit ihrem Gesicht nach Süden und kehren dem Norden den Rücken zu. Das Zweite ist zum Beispiel die Vermeidung von scharfkantigen Ecken. Wenn wir in Europa oder in Deutschland Dächer bauen, dann sind die meist messerscharf, und wir empfinden das als besonders elegant. In China gilt das als aggressiv und sozusagen deshalb nicht machbar. Das sind so zwei Beispiele, die man tatsächlich übernimmt. Das heißt, man übernimmt Eigenschaften, aber formal diese Architektur in der traditionellen Bauweise fortzuführen, das halte ich für fast nicht möglich.

König: Herr Schütz, dieses chinesische Nationalmuseum liegt am Platz des Himmlischen Friedens, das ist ein heikler, außergesprochen symbolträchtiger Ort. Über das Problematische, eine Repräsentationsarchitektur zu schaffen für eine als, sagen wir, diktatorisch geltendes Regime, darüber haben wir hier im Programm schon ausführlich gesprochen, auch mit Meinhard von Gerkan. Wie hat sich diese Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden entwickelt? Welche Einflussnahme hat es gegeben, vielleicht auch welche Zugeständnisse von den Behörden, den Funktionären? Wie ist der Stand der Dinge?

Schütz: Man muss im Fall des Nationalmuseums zwei Entwürfe tatsächlich unterscheiden. Wir haben in einem internationalen, sehr hochrangig besetzten Wettbewerb vor zweieinhalb Jahren das Projekt gewonnen mit einem sehr ambitionierten und sehr innovativen Entwurf. Wir haben auch ein Jahr an diesem Wettbewerbsentwurf geplant, bis wir mit chinesischen Expertenrunden konfrontiert wurden, die eine stärkere Anlehnung unseres Gebäudes oder der Erweiterung des bestehenden Museums – es handelt sich also nicht nur um einen Neubau, sondern um eine Erweiterung eines bestehenden Baus, um eine stärkere Anlehnung sozusagen – an den bestehenden Bau wünschten.

König: Unsere Zeitungen hier sind heute auf den Titelseiten voll von einem Thema: Menschenrechtler schlagen Alarm, China habe seine olympischen Versprechungen in Hinsicht auf die Bürgerrechte nicht eingehalten. Gestern haben 40 chinesische Intellektuelle und Bürgerrechtler sich zum ersten Mal dazu geäußert, haben Amnestie für politische Gefangene, haben Pressefreiheit, haben freie Gewerkschaften gefordert. Das sind sehr grundlegende Forderungen. Würden Sie sagen, Sie, der Sie in Peking sind, dass es so eine Stimmung gibt, die grundlegende Veränderungen ankündigt, Stimmung für einen Wandel, einen Wechsel?

Schütz: Davon erlebe ich eigentlich tatsächlich wenig. Es gibt sicherlich eine immer größere Öffnung des Landes Richtung Westen. Man ist als westlicher Architekt hier sehr herzlich willkommen. Aber dass es tatsächlich eine Öffnung in Richtung Menschenrechte, Demokratie gibt, das kann ich eigentlich nicht beobachten. Ich bin jetzt seit fünf Jahren in Peking und stelle in dieser Hinsicht, zumindest im direkten Umgang mit meinen chinesischen Kollegen – wir haben so ein Büro mit 40 Angestellten, davon sind 20 Chinesen – stelle ich eigentlich in persönlichen Gesprächen keinen großen Wandel fest. Das muss ich ganz klar sagen.

König: Aber der Druck, der von außen da ist und immer stärker wird – heute wurde gemeldet, Politiker in den USA machen sich Gedanken über einen möglichen Boykott Olympias in Peking – dieser Druck muss doch irgendwie Wirkung zeigen, vielleicht nicht gleich in Regierungskreisen, aber bei den Menschen, mit denen Sie täglich zu tun haben. Die müssen ja irgendwas dazu sagen.

Schütz: Also die Menschen hier äußern sich eigentlich wirklich sehr, sehr wenig über politische Inhalte. Ich kann Ihnen einfach nur meinen Eindruck wiedergeben, den ich tagtäglich hier habe. Jeder ist mit sich selbst und vor allen Dingen mit seiner Arbeit sehr stark beschäftigt. Über Politik wird ausgesprochen wenig diskutiert. Man hat aber auch nicht das Gefühl, dass die Leute einen Maulkorb haben und dass sie deshalb sich nicht über Politik äußern. Es ist einfach kein Thema. Selbst wenn man es anspricht, kommen die Chinesen sehr schnell wieder auf andere Themen, die ihnen lieber sind, besprochen zu werden.

König: Kommen wir zum Schluss noch mal aufs Bauen. Gehen denn die Bauarbeiten planbar voran, werden Absprachen und Zusagen von Lieferanten zum Beispiel eingehalten, Baumaterialien, Arbeitskräfte. Ich stelle mir Bauen in China schon auch aufregend vor.

Schütz: Bauen in China ist deshalb aufregend, weil es in Größenordnungen vonstatten geht, die man sich bei uns eigentlich nicht vorstellen kann. Wenn hier ein Hochhaus gebaut wird, dann sind sicherlich 500 bis 2000 Arbeiter auf der Baustelle, die wie Ameisen sozusagen diesen Bau in kürzester Zeit hochziehen. Das ist mit dem schleppenden Tempo unserer Baustellen absolut nicht zu vergleichen. Durch das viele Bauen und durch die vielen Gebäude, die hier entstehen, hat sich das Bauen auch sehr stark professionalisiert. Genehmigungsprozesse sind einfacher als bei uns. Nicht, dass hier irgendein Schlendrian herrscht, nein, sie sind einfach professioneller aufgestellt und schaffen in kürzester Zeit mehr, als wir das bei uns erleben.

König: Das heißt, Sie sind ganz zufrieden mit dem Fortgang der Dinge?

Schütz: Was das Bauen angeht, bin ich sehr zufrieden, ja.

König: Und womit nicht?

Schütz: Beispielsweise mit der Luftverschmutzung, das hatte ich ja eingangs gesagt. Es ist tatsächlich ein riesiges Problem hier in Peking. Und ich glaube, das wird auch das größte Problem sein, was die Pekinger Behörden bis zum nächsten Jahr in den Griff zu bekommen haben. Der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, also des öffentlichen Verkehrsnetzes, sprich U-Bahn, geht meiner Ansicht nach sehr, sehr schleppend voran. Das heißt also, die gesamte Konzentration des Verkehrs liegt auf der Straße, liegt im Automobil, und das belastet die Stadt in einem ungeheuren Maße.

König: Wobei man sich doch eigentlich gar nicht vorstellen kann, dass das innerhalb eines Jahres behoben werden könnte.

Schütz: Ich habe neulich einen Artikel in einer Zeitung gelesen. Man hat vor einem Jahr einen Versuch gestartet, dass man für einen halben Tag, glaube ich, den Autoverkehr auf die Hälfte reduziert hat. Das hat tatsächlich eine unglaubliche und schlagartige Wirkung gezeigt. Sie müssen sich vorstellen, dass es hier in Peking kaum noch Schwerindustrie gibt, das heißt, die Luftverpester sind tatsächlich die Autos. Und das zeigt schlagartig Wirkung, wenn Autos eben nicht mehr auf der Straße sind. Ich nehme an, dass man das zu den Olympischen Spielen genauso wie heute macht, dass man den Beamten und vielleicht noch einigen anderen das Autofahren schlicht verbietet und damit die Umweltwerte – und das ist erstaunlich – in kürzester Zeit herunterschrauben kann.

König: Heute in einem Jahr sollen die Olympischen Sommerspiele von Peking eröffnet werden. Über den Bauboom in Peking sprachen wir mit Stephan Schütz, Büroleiter des Architekturbüros GMP – Gerkan, Marg und Partner. Büroleiter in Peking und Berlin, letzte Frage, Herr Schütz, wie machen Sie das, wann schlafen Sie?

Schütz: Meistens im Flugzeug.

König: Gutes Gelingen für alles und vielen Dank.