Sara Gallardo: "Eisejuaz"

Ein Elender, wahnsinnig und heilig zugleich

Flußlandschaft in Argentinien
Flußlandschaft in Argentinien © picture-alliance / dpa / Jürgen Darmstädter / Wagenbach Verlag
Von Katharina Döbler · 13.07.2017
"Eisejuaz", ein Roman der Argentinierin Sara Gallardo, erscheint nach 50 Jahren erstmals auf Deutsch. Er erzählt aus dem dramatischen Leben eines Indigenen vom Volk der Matacos. Mittels seiner Sprache lehrt uns das Werk völlig neue Perspektiven.
Mit fast 50 Jahren Verspätung erscheint nun ein argentinischer Klassiker auf Deutsch: "Eisejuaz", ein Roman der Argentinierin Sara Gallardo, die von 1931 bis 1988 lebte.
Das Buch erschien 1971, vier Jahre nach dem Weltbestseller "Hundert Jahre Einsamkeit", im selben Verlag. Auch "Eisejuaz" wurde mit dem schillernden Etikett "Magischer Realismus" versehen, und doch ist hier eine andere Art der Magie und der Wirklichkeit am Werk, als wir sie von García Márquez und seinen Jüngern kennen: Es ist die Lebenswelt der Indigenen im Norden Argentiniens. Wer dieses Buch gelesen hat, wird von da an die Welt mit anderen Augen sehen: So sehr taucht man ein in eine ganz andere Wahrnehmung.
Erzähler und Hauptfigur ist Eisejuaz vom Volk der Matacos, der von den Missionaren den Namen Lisandro Vega bekommen hat. Spanisch ist seine Zweitsprache, die er nicht fehlerfrei beherrscht, und so ist dieses Buch in einem ganz und gar ungewöhnlichen Sprachduktus verfasst, durchwebt von der Ausdrucksweise seiner indigenen Muttersprache, getragen von deren Rhythmus und Denken.

Viele Wendungen klingen unbeholfen oder unwissend

Die Funktion von Namen und Bezeichnungen beispielsweise, die immer wieder neu geschaffen und Verhältnissen entsprechend geändert werden, spielt in diesem Sprachfluss eine wesentliche Rolle. Viele Wendungen klingen unbeholfen oder unwissend, andere sind reine Poesie - und vermitteln zumindest eine Ahnung von der indigenen Kultur, der sie entstammt.
Ein Buch auf diese Weise zu schreiben, war für die anerkannte Autorin Gallardo ein großes Wagnis: Ihre Leser waren die gebildeten Weißen der Städte, die mit den Indigenen nichts zu tun und nichts am Hut hatten. Breite Anerkennung hat es ihr auch nicht eingetragen – lange Zeit war "Eisejuaz" ein Kultbuch der Wenigen. Es ins Deutsche zu übersetzen, war eine fast unlösbare Aufgabe, die Peter Kultzen dennoch mit Bravour gemeistert hat.
Eisejuaz, ein Mann von ungewöhnlicher Körperkraft und –größe, war "geboren um Chef zu sein", aber er wurde zum Aufseher der Mission – bis mit dem qualvollen Tod seiner Frau sein erfolgreiches christliches Leben mit eigenem Haus und sogar einem Fahrrad schlagartig endet.

Eisejuaz verliert alles, trinkt, wütet, schuftet

Er verliert alles. Er trinkt und schuftet und wütet und ringt um Erkenntnis. Die Kämpfe mit seinen inneren Dämonen, die Missachtung, die er wie alle seiner Leute tagtäglich erfährt, die Abhängigkeit, die Armut, die Sehnsucht nach dem früheren Leben im Wald, zu dem es kein Zurück mehr gibt: All das manifestiert sich in seinem eindrücklichen Bewusstseinsstrom, in einer nie gelesenen Weise: Dinge, die wir als Umweltzerstörung, Kolonialismus, Zivilisationsstufe und so weiter bezeichnen, klingen hier anders, ganz anders.
Eisejuaz, der Elende, den manche für wahnsinnig und andere für einen heiligen Mann halten, erhält und erfüllt einen höheren Auftrag, indem er einen hilflosen, heruntergekommenen und widerwärtigen Weißen pflegt, durchfüttert und versorgt.

Auf der Grundlage einer wahren Geschichte

Einen Eisejuaz, alias Lisandro Vega, hat es tatsächlich gegeben. Sara Gallardo hat ihn bei ihren Reisen als Reporterin im Chaco kennengelernt und sich seine Geschichte erzählen lassen. Der Roman allerdings hat mit dieser Geschichte nur teilweise zu tun – aber die Wahrheit hat, so schrieb Lacan und wissen alle Leser, immer die Struktur der Fiktion.

Sara Gallardo: "Eisejuaz"
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Wagenbach Quartbuch, Berlin 2017
176 Seiten, 20,00 Euro

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