"Safe Places" von Falk Richter

Tanz auf den Ruinen Europas

Inszenierung SAFE PLACES
Am Schauspiel Frankfurt feiert die Produktion "Safe Places" - Premiere. Regie/Choreographie: Falk Richter und Anouk van Dijk, Jan Breustedt. © Birgit Hupfeld
Von Elske Brault |
In seinem aktuellen Projekt "Safe Places" geht Falk Richter gemeinsam mit der Choreografin Anouk van Dijk am Schauspiel Frankfurt der Frage nach, wie sich die gegenwärtigen politischen Zustände auf das Privatleben auswirken. Die Botschaft: Steht ein für Demokratie und Europa.
Wenn auf einer deutschen Bühne deutsche Befindlichkeit verhandelt wird, dann ist das typisch deutsche Bühnenbild dazu: ein grüner Hügel und ein deutscher Wald, im Bühnenbild von Katrin Hoffmann verkörpert von einigen sehr naturgetreu aussehenden Birken. Vor denen ist eine lange Reihe quadratischer Tische aufgereiht, und wenn die Tänzer und Schauspieler mit Aplomb zu wummernden Beats (Musik: Malte Beckenbach) auf die Bühne laufen, hektisch umherrennen und über die Tische tanzen, dann kippen sie die Tischplatten immer mal wieder in eine wacklige Schräglage: Es ist einiges schief im Staate Deutschland, und für seine Bewohner gar nicht so einfach, die Balance zu halten.
Die zwei Männer und zwei Frauen des Schauspielensembles nehmen denn auch sofort eine Debatte auf, wie sie nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln so oder so ähnlich in den sozialen Netzwerken stattfand: Die Männer meinen, da seien organisierte Banden am Werk gewesen, die Ereignisse hätten also mit der Flucht nach Europa wenig zu tun, die Frauen fürchten, das in jahrzehntelangen Emanzipationskämpfen erworbene Gefühl von Freiheit und Sicherheit, auch nachts allein auf der Straße, angesichts massiver Einwanderung aus patriarchaler geprägten Kulturen zu verlieren.

Bewegung und Gegenbewegung

Anfangs trennen die Tanzeinlagen die Diskussionsrunden. Wobei Anouk van Dijks "Countertechnik", die Methode, fließende Bewegungen im Lauf zu stoppen und in die Gegenrichtung zu wenden, Bewegung und Gegenbewegung in sekundenschnellem Wechsel einander folgen zu lassen, bestens passt zu Falk Richters Diskursen mit ihrem schnellen Wechsel von Argument und Gegenargument. Besonders Shay Partush versteht es, sich mit Charme und Eleganz den eigenen Kopf zu verrücken, als richte er die Blickrichtung einer Gliederpuppe. Sein Gegenstück ist, auf Schauspielerseite, Constanze Becker: Diese Frau kann offenbar tatsächlich das Telefonbuch so aufsagen, dass wir ihr fasziniert lauschen, und so haucht sie auch den trockenen Europa-Thesen von Falk Richter Leben ein. (der seinerseits vieles Robert Menasses Schrift "Der europäische Landbote" entlehnt hat).
Doch richtig abheben kann der Abend erst, als auch die Tänzer (auf englisch, die deutsche Übersetzung auf die Rückwand projiziert) das Wort erheben und von ihrer persönlichen Unsicherheit erzählen: Timea Kinga Maday aus Budapest erklärt, sie wolle nicht ständig auf die Politik der ungarischen Regierung angesprochen werden, sie ziehe sich da zurück hinter einen Schutzwall aus Unwissenheit. Und Yen-Fang Ju erzählt von ihrer Unsicherheit in der englischen Sprache: Sie sei niemals sicher, ob sie wirklich ausgedrückt habe, was sie meine. Europäer fänden ihre Muttersprache Mandarin sehr kompliziert und erwarteten von jedem Chinesen, dass er oder sie englisch spreche. Ob sich einer vorstellen könne, dass ihr dies so schwer falle wie uns das Mandarin?

Donnernder Applaus und Bravo-Rufe

Zum Schluss haben Nico Holonics und Paula Hans noch einen Auftritt à la Jan Böhmermann und schmettern einen satirischen Schlager, dessen Text die Vielfalt der Lebensstile in Deutschland, von vegan bis Currywurst, von traditionellem Familienbild bis Regenbogen-Kommune, in komischer Zuspitzung auf den Punkt bringt. Die Botschaft ist klar: Vertragt euch! Steht gemeinsam ein für die Demokratie und für Europa! Und dafür gibt es vom Frankfurter Publikum donnernden Applaus und minuten lange Bravo-Rufe.
Womit sich das Publikum für Minuten in seiner absoluten Geschlossenheit der Gesinnung gar nicht mehr so sehr unterscheidet von den zuvor denunzierten AfD-Anhängern. Auch das kann Theater in Deutschland im Jahr 2016 offenbar sein: Ein sicherer Ort, an dem die Zuschauer sich der Richtigkeit der eigenen moralischen Werte vergewissern können und danach gestärkt im rechten Glauben nach Hause gehen. Früher machte man das in der Kirche.


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