Russland

Sotschi als Möglichkeit der Annäherung

Von Erik von Grawert-May |
In Putins Neujahrsansprache gab es Passagen, die die Homophobie im Land indirekt würdigten. Das sollte Europa kritisieren - doch ein Boykott der Winterspiele in Sotschi ist der falsche Weg der Kritik. Die Olympischen Spiele sollten nicht politisiert werden, meint der Ethiker Erik von Grawert-May - und das könnte auch Deutschland nützen.
Wem die Neujahrsansprache Wladimir Putins noch in den Ohren klingt, der kann sich nicht genug wundern über den fast westlichen Klang seiner Rede. Er beklagte den Umfang der Bürokratie, warb für eine breite Diskussion und setzte sich dafür ein, dass die Zivilgesellschaft die Verwaltung kontrolliert.
Wie von Zivilgesellschaft sprach er ebenso von Bürgerrechtsbewegung, deren künftige Unterstützung er ankündigte, obwohl er die außerparlamentarische Opposition gerade noch nach Kräften bekämpft hatte. Davon und von der Repression der Band Pussy Riot kein Wort.
Reden ist das eine, Realität das andere. Wahrscheinlich war auch die Neujahrsbotschaft bereits auf die bevorstehenden Winterspiele in Sotschi hin entworfen – als märchenhafte Umrahmung. Und doch passte alles, was der Präsident verkündete, zu gut zusammen, um nur einer Olympiade zu dienen.
Westlichen Zuschnitt hatte auch sein Eintreten für Russland als konservative Kraft mit dem Anspruch auf geistige und moralische Führung. Im Kampf um die Köpfe wolle er nicht mehr die liberalen Kräfte des Westens überzeugen, sondern sich auf jene Kreise konzentrieren, die ähnlich traditionelle Werte verfolgten: Familie, Religion und Sittlichkeit.
Russland erscheint uns fremd
Das war zugleich eine indirekte Würdigung der Homophobie, bei der sich Putin ohnehin von der Mehrheit der Russen verstanden weiß. Und um diesen Wertekanon zu krönen, zitierte er gleich noch Nikolai Berdjajew. In seinen Anfängen Marxist, entwickelte sich der Religionsphilosoph später zu einem christlich-orthodoxen Existenzialisten, mit einer Auffassung von geistiger Freiheit, die an schlesische Mystik erinnert.
Wer von den westlichen Politikern führt noch einen Freiheitsphilosophen im Munde, um seine politische Konzeption zu untermauern? Die Christdemokraten hierzulande sind zu besseren Sozialdemokraten mutiert, da wäre vielleicht Platz für einen Sozialphilosophen. Aber für einen christlichen?
Russland und die Russen mögen uns heute fremd erscheinen, doch wenn wir sie aus der Nähe betrachten, ist es so, als kämen sie uns aus unserer eigenen Vergangenheit entgegen. Vielleicht aus der Nachkriegszeit. Nach 1945 war das Bedürfnis noch deutlich zu spüren, Politik zu re-christianisieren. Das hat sich später dann bald abgeschliffen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mag sich in Russland ein ähnliches Bedürfnis gemeldet haben, um das kommunistische Regime vergessen zu machen. Wladimir Putin profitiert von dieser Situation. Während er den Westen an dessen eigene Wertetradition erinnert, führt er ihn in gewisser Weise vor und stützt sich dabei auf starke homophobe Strömungen auch in unseren Breiten.
Ungewohnt scharfe Kritik
Wie können wir politisch darauf reagieren? Ist es richtig, was beispielsweise Michael Vesper tut? Der grüne Politiker und Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes lehnte es ab, sich in Sotschi für Menschenrechte einzusetzen, sich demonstrativ mit Homosexuellen zu treffen, weil Russland vor allem eine Großmacht sei, mit der wir eine strategische Partnerschaft brauchten.
Da bewegt er sich nahezu auf einer Linie mit dem neuen deutschen Außenminister. Der übte indessen ungewohnt scharfe Kritik an dem Verhalten Putins gegenüber der Ukraine – und das unisono mit anderen Politikern Europas. Strategische Partnerschaft mit Russland ist in der Tat nur in europäischem Maßstab möglich. Ein Land ist dafür zu schwach, und sei es ein wirtschaftlich führendes wie die Bundesrepublik.
Der neue Ton lässt hoffen. Er muss sich dabei gar nicht gegen die Person Putin richten. Indem man ihn beim Wort seiner konservativen Werte nimmt, kann man sich ihm elegant als Partner zur Seite stellen. Sotschi macht’s möglich, so wie es Michael Vesper vorschlägt, Putins Spiele nicht zu verderben, sie nicht demonstrativ zu politisieren, sondern das Gastgeberland in seiner Art zu respektieren.
Nein, nicht opportunistisch, sondern selbstbewusst und durchaus in der Absicht, die russische Zivilgesellschaft auf lange Sicht zu stärken.
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011) und "Theatrum Belli" (2013). www.grawert-may.de
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