Roe gegen Texas

Von Nicolas Hansen · 22.01.2008
Am 22. Januar 1973 fällte der Oberste Gerichtshof der USA eines der umstrittensten Urteile seiner Geschichte. Es erklärte alle Gesetze von Einzelstaaten für verfassungswidrig, die das Recht der Frau auf Entscheidung über eine Abtreibung einschränkten. Bis heute sind Schwangerschaftsabbrüche in den Vereinigten Staaten heftig umstritten.
"Der ehrenwerte Vorsitzende und die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten! Das Gericht beginnt jetzt seine Sitzung. Gott schütze die Vereinigten Staaten und dieses ehrenwerte Gericht!"

Der Saal des Obersten Gerichtshofes ist am 22. Januar 1973 bis auf den letzten Platz besetzt. Draußen vor dem Gebäude haben sich Demonstranten versammelt. Sie erwarten die Entscheidung im Fall Roe gegen Wade, in der das Gericht darüber befindet, ob das Abtreibungsverbot in Amerika verfassungswidrig ist. Drinnen im Gerichtssaal: Etwas erhöht vor einem samtroten Vorhang sitzen die neun Obersten Richter der Vereinigten Staaten. In der Mitte, Chief Justice Warren E. Burger:

"Erster Fall: die Nummer 7018, Roe gegen Wade. Mrs. Weddington, Sie können beginnen, wenn Sie soweit sind."

"Euer Ehren, geschätztes Gericht. Wir stehen heute hier, um die Aufhebung der Abtreibungsverordnung des Staates Texas zu ersuchen und diese für verfassungswidrig erklären zu lassen. Die Antragstellerin Jane Roe ist eine unverheiratete, schwangere, junge Frau, der auf Grund der Verordnung in Texas eine Abtreibung verweigert wurde."

Jane Roe, die Klägerin, heißt eigentlich Norma McCorvey. Abtreibung ist bis heute in den USA eine heftig umstrittene Frage. Und so wurde auch im Fall McCorvey die Debatte von Anfang an emotional geführt, und auf beiden Seiten gab es militante Vertreter, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckten. Zum Schutz ihrer Persönlichkeit bekam die Klägerin ein Pseudonym: "Jane Roe".

Corvey stammt aus Texas und gab 1970 an, durch eine Vergewaltigung schwanger geworden zu sein. In Texas stand Abtreibung unter Strafe. McCorvey klagte als Jane Roe durch mehrere Instanzen bis vor den Obersten Gerichtshof in Washington. Sie hatte mittlerweile ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Doch es ging ums Prinzip.

"In diesem Fall geht es um die Frage nach dem Recht auf Privatsphäre."

Autor: Sarah Weddington, Anwältin von Jane Roe, musste nachweisen, dass das texanische Gesetz gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstieß. Sie argumentierte, der Staat habe kein Recht, in die Entscheidungsfreiheit ihrer Mandantin über ihren eigenen Körper einzugreifen. Die jedem Bürger im 14. Verfassungszusatz garantierten Rechte könnten nicht an anderer Stelle wieder einschränkt werden. Dadurch würde das Prinzip der Rechtssicherheit verletzt.

Die Vertreter des Staates Texas auf der anderen Seite betonten das Interesse des ungeborenen Lebens. Das Gericht entschied mit einer Mehrheit von 7:2 für Jane Roe und gegen den Staat Texas. Es erklärte alle Gesetze von Einzelstaaten für verfassungswidrig, die das Recht der Frau in diesem Punkt einschränkten. Damit fällte es eine der politisch weitreichendsten Entscheidungen seiner Geschichte und zugleich eine der umstrittensten.

2007: Eine Demonstration vor einer Abtreibungsklinik in Rutgers, New Jersey. Auf der Straße vor dem Gebäude protestieren Gegner des Schwangerschaftsabbruchs. Seit der Entscheidung im Fall Roe gegen Wade 1973 sind die Amerikaner in diesem Punkt gespalten. Besonders bei Wahlen ist der Standpunkt eines Kandidaten in der Abtreibungsfrage von entscheidender Bedeutung. Das gilt bis heute. Auf der Internetplattform "You Tube" fragt ein junger Mann die Kandidaten, ob sie als Präsident ein Gesetz unterzeichnen würden, das die Abtreibung wieder verbieten würde. Auf CNN antwortete der Republikaner Mitt Romney im November:

"Sehr gerne würde ich so ein Gesetz unterzeichnen, aber soweit sind wir in Amerika noch nicht. Aber wenn wir in Amerika soweit wären - großartig."

Seitdem Präsident George W. Bush zwei konservative Richter an den Obersten Gerichtshof berufen hat, sind die Mehrheitsverhältnisse am Gericht nicht mehr so eindeutig wie 1973. Heute könnte eine Entscheidung auch zu Gunsten des Abtreibungsverbots ausgehen.