"Rheingold" in Düsseldorf

Ein veritables Wagner-Wunder

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Sylvia Hamvasi als Freia in Dietrich Hilsdorfs "Rheingold"-Inszenierung in Düsseldorf © Hans Jörg Michel
Von Ulrike Gondorf · 23.06.2017
Vorzügliche Darsteller und ein Regisseur, der sich "erfrischend überhaupt nicht" um die Erwartungen an diesen "Mount Everest" des Musiktheaters schert: Unsere Kritikerin Ulrike Gondorf hat in Düsseldorf eine gelungene Inszenierung von Wagners "Rheingold" erlebt.
Ein roter Vorhang, eine nostalgische Varietébühne, das Portal besetzt mit bunten Glühbirnchen. Ein Mann im roten Frack tritt auf, lässt ein paar Flammen von den Spitzen seiner Finger springen. Was wird hier gegeben? "Rheingold" von Richard Wagner.
Der Eröffnungscoup ist dem Regisseur Dietrich Hilsdorf gelungen. Nach Jahrzehnten im Metier geht er zum ersten Mal den "Ring des Nibelungen" an, an der wagneraffinen Deutschen Oper am Rhein. Und schert sich erfrischend überhaupt nicht um all die Erwartungen, die mit diesem Mount Everest des Musiktheaters verbunden sind. Deutsch? Politisch? Raunend mythologisch? Kritisch und theorielastig? Hilsdorfs Antwort ist so verblüffend wie vielschichtig: Theater.

Rahmen für eine gesellschaftliche Momentaufnahme

Auf der Bühne von Dieter Richter öffnet sich hinter dem roten Theatervorhang ein Saal in einer nüchternen, schweren Variante von Jugendstilarchitektur, hinten ein riesiges Fenster, auf der Seite eine Treppe wie in einer Industriehalle. Dort spielen alle Szenen: die Rheintöchter in einer Art Tingeltangel mit Damen in leichtgeschürzten Röcken und ebensolcher Moral, die Wohnung der Götter, die unterirdische Schmiede Alberichs.
Es ist kein realistischer Schauplatz, sondern eine Art Rahmen für eine gesellschaftliche Momentaufnahme: das Bürgertum um 1900, mit seinen Vorder- und Rückseiten. Und es ist eine Geisterbahn, die Hilsdorf und Richter mit Kindertheaterlust in Bewegung setzen: Die Loren in Alberichs Bergwerk brechen krachend durch die Wandvertäfelungen, und wenn sich der Nibelung in einen Riesenwurm verwandelt, passiert eine Ewigkeit nichts und dann schaufelt sich eine Riesenkralle durch die Decke.
Hilsdorfs "Rheingold"-Inszenierung ist eine Übersetzung, eine Aufführung, die weder eine Realität schaffen will noch assoziativ-interpretierende Bilder, sondern Spielsituationen, in denen all die Fragen nach Macht und Ohnmacht, Ausbeutung, Abhängigkeit, Manipulation und Betrug punktgenau verhandelt werden können. Sie drückt sich nicht um die unvermeidlich kapitalismuskritische Aussage des Stücks, aber sie argumentiert strikt theatralisch. Und so kann auch, vom Drahtzieher Loge (Norbert Ernst) mit zynischer Brillanz ins Werk gesetzt, Komödie gespielt werden, das alte Stück von den betrogenen Betrügern.

Vorzügliche Darsteller mit viel Detailfreude

Die Ehekrise im göttlichen Haushalt, die Arroganz der Herrschaften, die Eifersucht Frickas und die Haltlosigkeit Wotans, alles das profilieren die sämtlich vorzüglichen Darsteller mit einer Aufmerksamkeit und Detailfreude, die viel zu Tage fördert, was einem noch nie aufgefallen ist. Kündigt sich da etwa schon das zukünftige Elternpaar der Walküre Brünnhild an, wenn Wotan und Erda ihre Hände gar nicht mehr voneinander lösen können? Hilsdorf entlässt einen mit vielen losen Enden und offenen Fragen in die Pause bis zur nächsten Folge – die "Walküre" wird im Januar Premiere an der Rheinoper haben.
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Renée Morloc als Fricka und Simon Neal als Wotan in Dietrich Hilsdorfs "Rheingold"-Inszenierung in Düsseldorf© Hans Jörg Michel
Nicht alle Wagnerfreunde im Düsseldorfer Opernhaus mochten sich auf die Sicht dieser Inszenierung einlassen, es gab durchaus Proteste im Schlussapplaus. Einhellig und überschwänglich wurden die musikalischen Leistungen gefeiert. Die Rheinoper kann ein Ensemble präsentieren, das in jedem internationalen Standard bestehen kann. Die meisten Sängerinnen und Sänger sind Ensemblemitglieder des Hauses, so der überragende Wotan Simon Neal, vokal imposant und dabei bis in jede Silbe durchdacht und souverän. Mit seinem ebenbürtigen Gegenspieler Michael Kraus als Alberich lieferte er sich ein Duell, dass Thriller-Qualitäten hatte.
Axel Kober, der GMD des Hauses und die Düsseldorfer Symphoniker erreichten mit dem "Rheingold" wohl den bisherigen Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit. Kober brachte das Wagner-Wunder fertig, den ganzen Reichtum, die dynamischen Spannungen und Steigerungen dieser Partitur zu realisieren, ohne jemals die Bühne akustisch in Bedrängnis zu bringen. Lautstärke verwandelte sich in Energie und Intensität an diesem Abend, und die instrumentalen Details konnten ebenso leuchten wie die Stimmen. Man darf gespannt sein, wie die Geschichte weitergeht an der Deutschen Oper am Rhein. Zum Glück gibt es noch drei Abende.
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