Restriktive Gesellschaft

Verbote, Verbote, Verbote

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Verbotsschild vor dem Dom zu St. Jakob, Innsbruck, Tirol, Österreich, Europa | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Verbote können nicht immer die Lösung sein, meint unser Kolumnist Timo Rieg. © picture-alliance / imageBroker / Gerhard Zwerger-Schoner
Ein Kommentar von Timo Rieg · 26.08.2019
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Verbieten verboten! So hieß es mal in den autoritätskritischen 70er-Jahren. Das hat sich geändert. Nun vergeht kein Tag, an dem nicht etliche Verbote verhandelt werden. Vorsicht vor allzu vielen Beschränkungen ist da angebracht, meint Publizist Timo Rieg.
Verbotsforderungen sind der Populismus des kleinen Politikers. Sie sind preisgünstig und talentfrei produzierbar, finden aber immer dankbare Abnehmer, und wenn es nur die Medien sind, die begeistert zuspitzen: Grundschulverbot für Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen, Kopftuchverbot gegen die Unterdrückung, Plastiktütenverbot für den Meeresschutz.

Jede Verbotsforderung bekommt Zustimmung

Die Arbeit unserer Parlamente besteht hauptsächlich im Ersinnen neuer Verbote – oder sagen wir allgemeiner: Vorschriften, die Handlungsfreiheit einschränken. Über diese ständige Verbotszunahme klagen zwar fast alle, doch die Bürger sind selbst schnell mit neuen Verbotsforderungen zur Hand, wenn ihnen etwas nicht passt; die Online-Petitionsplattformen sind voll damit, vom Verbot von Plastikspielzeug im Fast-Food-Menü bis zum Verbot der Eisbären in einem russischen Zirkus. Und jede Verbotsforderung bekommt Zustimmung, oft zehntausendfach.

Mehrheit macht ein Verbot nicht demokratisch

Doch selbst wenn Millionen Bürger ein Verbot fordern oder es über eine Volksabstimmung erzwingen könnten – eine Mehrheit macht Verbote noch nicht demokratisch. Sonst könnten jederzeit wechselnde Mehrheiten die jeweiligen Minderheiten tyrannisieren.
Demokratie ist keine Herrschaft der Mehrheit, sondern Volksherrschaft, und das kann nur bedeuten: Alle sollen ihr Leben so frei wie möglich gestalten können, eben selbst- statt fremdbeherrscht. Die Grenze liegt dort, wo durch das eigene Handeln die Freiheit anderer beschnitten würde. Es geht ganz trivial um Rücksichtnahme. So verstanden beschließen wir demokratisch keine Verbote, wir begrenzen Egoismus.
Zwei Beispiele für die Ausgestaltungen individueller Freiheit, deren Beschränkung laut gefordert wird: Silvesterfeuerwerk und städtischer Autoverkehr. Böller und Raketen machen höllischen Krach, verängstigen Mensch und Getier, belastet die Atemluft mit Feinstaub und landen als abgebrannter Müll in der Landschaft. Das nervt viele, die sich nicht am Feuerwerk der anderen erfreuen. Sie rufen: verbieten!
Allerdings ist es bereits an 364 Tagen verboten, seinen pyrotechnischen Gelüsten nachzugehen – eben weil es viele nervt. Nur wenige Stunden pro Jahr ist privates Feuerwerk erlaubt, beim größten interkulturellen Fest. Es ist egal, was jeder einzelne davon hält, ob ich Raketen Geldverschwendung finde oder ob mich weniger abgesprengte Finger glücklich machen würden. Ein generelles Feuerwerksverbot könnte es demokratisch nur geben, wenn Silvester in der traditionellen Form einem Teil der Bevölkerung objektiv unzumutbar wäre. Danach sieht es aber wahrlich nicht aus.

Freie Entfaltung aller Menschen

Auch Autos machen höllischen Krach, sie dominieren die Lärmkulisse aller Metropolen. Autos verängstigen Mensch und Tier, belasten die Atemluft und produzieren Müll auf der ganzen Welt. Der innerstädtische Autoverkehr trägt nichts zum Gemeinwohl bei. Stattdessen beschränkt er die Freiheit aller, die nicht Auto fahren, er tötet und verletzt Unbeteiligte, er beansprucht gigantisch viel Platz.
Vieles spricht dafür, dass nach gründlicher Prüfung und demokratischer Debatte der motorisierte Individualverkehr zumindest aus den Großstädten verschwinden müsste. Dabei geht es nicht darum, das Autofahren zu verbieten. Es geht darum, das Leben in der Stadt zu ermöglichen, die freie Entfaltung aller Menschen.

Es geht nicht um Verbote, sondern um Freiheit

Sollte jemand eine Idee haben, wie das mit Autos geht, wird er damit Milliardär werden. Ohne dieses "Ei des Kolumbus" aber wird es schon in Kürze eine demokratische Selbstverständlichkeit sein, dem Egoismus der Autofahrer Einhalt zu gebieten. Unter dem Strich wird es damit weit weniger Verbote geben. Denn ohne PKW braucht es auf den Straßen kein einziges Verbotszeichen mehr – wenn sich der unbedingt nötige Liefer- und Arbeitsverkehr nach den Fußgängern richten muss statt umgekehrt. Und einmal im Jahr dürfen alle, die wollen, ihre Städte in Lärm und Feinstaub hüllen. Denn der Demokratie geht es nicht um Verbote, sondern um Freiheit.

Timo Rieg ist Buchautor und Journalist. Seine zuletzt erschienen Bücher sind "Demokratie für Deutschland" und der Tucholsky-Remake "Deutschland, Deutschland über alles".



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