Republik per Volksabstimmung

Von Ruth Jung · 02.06.2006
Der Weg Italiens in die Republik war steinig. Lange taktierten nach dem Zweiten Weltkrieg die widerstreitenden Parteien. Als vor 60 Jahren das Volk gefragt wurde, siegte die Republik nur äußerst knapp über die Monarchie.
"Wenn ich als Kind die Gespräche der Großen zu Hause mit anhörte, hatte ich immer den Eindruck, dass in Italien alles schief ging","

erinnert sich der 1923 geborene Schriftsteller Italo Calvino in den "Autobiographischen Schriften". Wie viele junge Männer seiner Generation schloss sich Calvino 1943 den Partisanen an, um aktiv gegen den Faschismus zu kämpfen. Italien war nach der Landung der Alliierten auf Sizilien im Juli 1943 gespalten: Süditalien unterstand einer monarchistischen Regierung und wurde kontrolliert von den westlichen Alliierten, Mittel- und Norditalien war besetzt von Nazideutschland und regiert vom faschistischen Marionettenregime der Republik von Salò, während die Resistenza den bewaffneten Widerstand ausweitete. Einen Kampf um die Zukunft nannte es der Widerstandskämpfer Vittorio Foa, der als einer der moralischen Väter der italienischen Republik gilt:

""Die künftige Demokratie konnte nicht von außen ihre Legitimation erhalten, sondern musste sich selbst legitimieren. Der Widerstand in der Resistenza war also von Anfang an die Wiederbehauptung einer verlorenen nationalen Identität. Wir mussten den Faschismus in unserer Mitte, unter uns Italienern, aber auch in uns selbst bekämpfen."

Der notwendige innere Kampf um die Demokratie aber wurde erschwert durch Manöver unterschiedlichster Akteure im Streit um die politische Macht. An der Niederschlagung des Faschismus hatten die in Nord- und Mittelitalien kämpfenden Partisanen maßgeblich Anteil; entsprechend war das Comitato de la Liberazione nazionale an der großen Koalition beteiligt, die 1946 das Land regierte. Innerhalb des Befreiungskomitees spielte die Kommunistische Partei eine zentrale Rolle: Sie hatte den Widerstand organisiert. Ihr Vorsitzender, Palmiro Togliatti, sagte im Juni 1944:

"Man muss immer daran denken, dass der Aufstand, den wir wollen, nicht den Zweck sozialer oder politischer Transformationen im sozialistischen Sinne hat, sondern den Zweck der nationalen Befreiung und der Zerstörung des Faschismus. Alle anderen Probleme werden vom Volk gelöst, morgen, wenn einmal ganz Italien befreit ist, durch eine Volksbefragung und die Wahl einer konstituierenden Versammlung."

Eine vages Versprechen, das Togliattis Taktieren um einen historischen Kompromiss ankündigte. 1946 war er Justizminister der großen Koalition, von einer Lösung der Probleme war man weit entfernt. Alte Faschisten saßen in neuen Ämtern, die neugegründete christdemokratische Partei propagierte unterstützt vom Vatikan ein Referendum über die zukünftige Staatsform, und die Kommunistische Partei hielt sich an die aus Moskau kommende Order, ihren Einflussbereich zu stärken. Der Kalte Krieg hatte begonnen.

Zwar war im April 1944 zwischen den Alliierten und der Provisorischen Regierung vereinbart worden, dass eine verfassungsgebende Versammlung über die zukünftige Staatsform entscheiden sollte. Auf Betreiben der Christdemokraten wurde der Wahltermin immer wieder verschoben; bei einer Volksbefragung, so das Kalkül, würde die Monarchie den Sieg davon tragen.

Tatsächlich war das Votum denkbar knapp: Am 2. Juni 1946 waren 12.717.928 Wähler für die Republik gegen 10.769.284 für die Monarchie. Gleichzeitig fanden die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung statt - zum ersten Mal hatten auch Frauen das Stimmrecht.

"Wenn es je eine Jugend gab, die ihre Väter auf die Anklagebank setzen konnte, dann waren wir es. Allerdings handelte es sich nicht um einen totalen Bruch, wir mussten unter den Ideen unserer Väter diejenigen herausfinden, an die wir für einen Neuanfang knüpfen konnten","

resümiert Italo Calvino das Dilemma der Nachkriegsjahre. Das Ergebnis des Referendums vom 2. Juni 1946 spiegelte die Angst vor dem "Sprung ins Dunkel", wie die christdemokratische Partei die Entscheidung für die Erste Italienische Republik nannte. Fast die Hälfte der wahlberechtigten Italiener hatte das Königtum als vermeintlichen Garanten für Sicherheit und nationale Einheit gewählt – ausgerechnet das Haus Savoyen, das 1922 Mussolini den Weg frei gemacht hatte.