René Prêtre: "In der Mitte schlägt das Herz“

Kampf um kleine Leben

Neurologen öffnen das Cranium an einem OP-Modell. Davor ist links das Buchcover montiert.
In der Ehrfurcht vor dem eigenen Genie wirkt René Prêtre gelegentlich unfreiwillig komisch, meint unser Rezensent Volkart Wildermuth. © Rowohlt / imago / Westend61 / Collage: Deutschlandradio
Von Volkart Wildermuth · 17.05.2017
Sollte man ein ungeborenes, schwer krankes Kind operieren? Der Herzchirurg René Prêtre berichtet fast schon lyrisch und sehr detailliert aus dem Operationssaal. Sein Buch "In der Mitte schlägt das Herz" ist nicht immer leichte Kost.
Das Herz steht für die meisten Menschen sinnbildlich für Leben und Liebe. Für René Prêtre aber ist das Herz ein Muskel - komplex, aber zu verstehen und vor allem zu reparieren. René Prêtre ist Herzchirurg. Der Sohn eines Landwirts studierte in Genf und arbeitete später in den USA, in England, Frankreich, Mosambik und Kambodscha. Er ist ein Weltenbummler in Sachen Herzchirurgie - und ein Meister seines Faches: René Prêtre gilt als einer der führenden Herzchirurgen weltweit. Und jetzt hat dieser "Schweizer des Jahres 2009" ein Buch geschrieben. "In der Mitte schlägt das Herz" heißt es und René Prêtre erzählt darin mitreißend und anschaulich von sich und seinem Leben – und nimmt seine Leserinnen und Leser dahin, wo er die meiste Zeit seines Lebens steht: in den Operationssaal.
Ein Stich in den Bauch, überall ist Blut, es geht um Sekunden - René Prêtre lernt sein Handwerk in einer New Yorker Notaufnahme und sein erster Patient ist schwer verletzt. Der Arzt muss sich auf seine Erfahrung verlassen und zugleich auf das Unvorhergesehene reagieren. Vor allem braucht er sein Team, allein kann keiner täglich dem Tod entgegentreten. Der Schweizer beschreibt dieses Zusammenspiel als eingespielte Choreografie, die das gemeinsame Handeln orchestriert. Der verbindende Rhythmus sorge dafür, dass sich Stich an Stich sauber aneinanderreiht: "Denn was schön und ausgewogen ist, funktioniert lange und gut". Am Ende seines ersten Einsatzes stehen Jubel und Stolz: der junge Mann überlebt.

Persönliche Berichte von Heldentaten und vom Scheitern

Packend ist jeder dieser Operationsberichte. Denn egal, ob es um Hightech-Medizin geht, um einen Eingriff bei Stromausfall oder um die Rettung eines Neugeborenen, der heute 60-Jährige erzählt nicht nur von seinen Heldentaten, sondern auch vom eigenen Scheitern und der Notwendigkeit trotzdem weiterzumachen. Dabei reflektiert er immer auch die Möglichkeiten und Grenzen seines Berufes, spricht über die ethischen Probleme des medizinisch Machbaren. Da erzählt René Prêtre wie er in Afrika ein Kind persönlich kennenlernt, es nachträglich auf den OP-Plan setzt und das er so heilen konnte. Aber er verschweigt auch nicht, dass dafür ein anderes Kind von der Liste gestrichen wurde und vermutlich starb.
Leicht liest sich das nicht. Wie auch die Geschichten über das für und wider einer Operation eines ungeborenen, schwer kranken Kindes. Der Eingriff würde sein Leben retten, aber es wäre dann schwer geistig und körperlich behindert. Soll man da überhaupt operieren oder nicht? Was ist für das Ungeborene besser? Darf man sich das überhaupt fragen? René Prêtre rät Eltern, die vor einer solch unvorstellbar schweren Entscheidung stehen, sich nicht mit Familie und Freunden zu besprechen. Denn sie alle, so René Prêtre, neigten zu starken Überzeugungen, weil sie selbst von den Folgen nicht betroffen seien.
Gerade an solchen Stellen werden nicht alle Leserinnen und Leser dem Autor und seiner Argumentation folgen wollen. Zumal René Prêtre, der seine eigene Meinung sehr selbstbewusst vertritt, bei der Ehrfurcht vor dem eigenen Genie gelegentlich unfreiwillig komisch wirkt. Dennoch: Ihm lesend über die Schulter zu blicken ist spannend und ausgesprochen lehrreich.

René Prêtre: In der Mitte schlägt das Herz. Von der großen Verantwortung für ein kleines Leben
Aus dem Französischen von Maren Partzsch, Regine Schmidt und Anja Malich
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017
352 Seiten, 19,95 Euro

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