Regisseur Pablo Trapero über "El Clan"

Gräueltaten einer kranken Gesellschaft

Vater Arquimedes Puccio (Guillermo Francella, hinten) und Sohn Alejandro Puccio (Peter Lanzani) in einer Szene des Films "El Clan" ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den genannten Film und nur bei Urheber-Nennung Foto: PROKINO Filmverleih/dpa
Vater Arquimedes Puccio (Guillermo Francella, hinten) und Sohn Alejandro Puccio (Peter Lanzani) in einer Szene des Films "El Clan" © PROKINO Filmverleih / dpa
Moderation: Susanne Burg · 05.03.2016
Mit Kidnapping ein Vermögen gemacht: Pablo Trapero erzählt in seinem Film "El Clan" die Geschichte einer argentinischen Familie gegen Ende der Militärdiktatur. Die grausigen Taten der Puccios waren das Symptom einer Krankheit gewisser Gesellschaftsschichten, sagt der Regisseur.
Susanne Burg: In Venedig hat Pablo Trapero im letzten Jahr den Silbernen Löwen für die beste Regie bekommen, jetzt läuft "El Clan" endlich bei uns im Kino: die Geschichte der Familie Puccio, die in den 1980er Jahren in Argentinien durch eine Reihe spektakulärer Entführungsfälle bekannt wurde. Jahrelang versteckte das Familienoberhaupt Arquímedes in seinem Keller Geiseln, um von reichen Bekannten Geld zu erpressen. Unterstützt von seiner Familie und nur infrage gestellt von Sohn Alex.
(Filmausschnitt)
Ein Ausschnitt aus dem Spielfilm "El Clan". Ich habe den Regisseur Pablo Trapero zum Interview getroffen und wollte erst mal von ihm wissen, ob er sich eigentlich noch an den Tag 1985 erinnern konnte, als der Puccio-Clan verhaftet wurde, denn er war da gerade mal Teenager.

"Was genau geschah, davon wussten wir nichts"

Pablo Trapero: An den genauen Tag kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sehr wohl an die Zeit und sehr wohl an die Schlagzeilen der damaligen Zeit, die in etwa besagten, eine Familie kidnappt zu Hause ihre Freunde. Und da es sich auch um relativ angesehene Familie handelt, ist das etwas, was man nicht vergessen kann. Erst 2007 hat man dann wirklich erfahren, was innerhalb des Hauses geschehen war, obwohl ja die Geschichte insgesamt schon viel länger zurückliegt, nämlich 30 Jahre. Aber wir hatten lange Zeit nur Informationen, wer entführt worden war. Aber wie das genau geschah und was sich in dem Haus abgespielt hat, davon wussten wir eigentlich nichts.
Der argentinische Regisseur Pablo Trapero beim 40. Toronto International Film Festival, 2015 
Der argentinische Regisseur Pablo Trapero beim 40. Toronto International Film Festival, 2015 © picture alliance / dpa / Warren Toda
Burg: Rodolfo Palacios hat eine Biografie geschrieben über den Clan und hinterher gesagt, die Geschichte bleibt voller Geheimnisse. Wir wissen noch immer nicht wirklich, was in dem Haus passiert ist. Wie haben Sie sich für Ihren Film angenähert, was dort passiert sein könnte?

Fiktion, die auf recherchierten Fakten basiert

Trapero: Also dieses Buch, was Sie gerade erwähnt haben von Rodolfo Palacio, das ist ja erst wenige Wochen vor dem Kinostart in Argentinien erschienen. Das Interessante ist natürlich, dass wir versucht haben, unsere eigenen Recherchen zu machen. Wir haben mit Freunden geredet zum Beispiel von Alejandro, das war der Sohn, der mit involviert war in die Kidnappings. Und er war ja ein sehr, sehr bekannter Rugbyspieler, also haben wir mit seinen Teamkollegen gesprochen, mit seinem Trainer gesprochen, wir haben mit den Nachbarn dieser Familie Puccio gesprochen, mit dem Richter, der zwei dieser Fälle bearbeitet hat. Und der Rest ist dann natürlich Fiktion. Es ist so, dass diese Geschichte stattgefunden hat, es gibt Fakten, auf die wir uns berufen können, es gibt auch Briefe, Zeugenaussagen, aber wir wissen natürlich nicht, was im Haus genau geschehen ist, was sie sich genau gesagt haben. Da ist natürlich sehr viel Fiktion mit dabei, aber eine Fiktion, die durchaus auf recherchierten Fakten basiert.
Burg: Der Clan ist ja sehr brutal vorgegangen, hat Menschen entführt und Lösegeld verlangt, sie hinterher dann auch noch getötet. Im Film fällt ein paar Mal der Begriff der Verschwundenen, ein Begriff, der in Argentinien eng verbunden ist mit den Verschleppungen während der Militärdiktatur. Sie erklären das nicht. Wie unterschiedlich kommt es bei dem argentinischen und bei einem nicht argentinischen Publikum an, wie viel wollten Sie erklären, wie viel aber auch nicht?

Unter dem Einfluss des historischen Kontexts

Trapero: Natürlich ist es anders, wie der Film in Argentinien aufgenommen wird und dann international, und dennoch war die Herausforderung eine ähnliche, weil es ist so: Meine Generation, die in den 80er Jahren aufgewachsen ist, hat das noch ganz anders wahrgenommen als zum Beispiel die Generation meiner Kinder. Die sind schon in der Demokratie geboren worden. Alles, was sie über diese Zeit wissen, stammt irgendwie aus Büchern. Insofern ging es uns darum, auch für das argentinische Publikum diese Geschichte auch für die noch einmal zu erzählen, die nicht wirklich damit aufgewachsen sind. Und da war die Herausforderung eine ähnliche wie beim internationalen Publikum. Und wichtig ist einfach, dass man den Kontext versteht, in dem das passiert, den historischen Kontext. Und alles, was Sie da wissen müssen, ist letztendlich: Argentinien befand sich damals in einem Zustand, wo die Diktatur abgedankt hat und wo es langsam den Übergang zur Demokratie gab, und dieser historische Kontext hat einen Einfluss gehabt auf diese Familie Puccio, die wir im Film zeigen. Und die steht für etwas, die ist Symptom für etwas, in diesem Fall Symptom auch für eine gewisse Krankheit, die es in gewissen Familien, in gewissen Gesellschaftsschichten dann eben gab.
Burg: Und sie wird angeführt von Arquímedes, der wirkt erst mal sehr gütig und freundlich, ist aber total brutal in einer erschütternd kalten Art und Weise. Sie sagten eben, Sie wollten zeigen, wie sehr der Kontext hineinwirkt in die Familie, gleichzeitig schaut die Polizei auch weg. Wie sehr trägt das genau zu dieser Art und Weise bei, auch diese Selbstgerechtigkeit von Arquímedes?

Gedeckt vom Geheimdienst

Trapero: Also Arquímedes, diese Figur, der steht für jemanden, der eben im Untergrund operiert hat und gewissen Todesschwadronen beigetreten ist. Das waren kleine Einheiten, die entführt haben, die Leute auch ermordet haben und undercover gearbeitet haben. Und das begann eigentlich schon in den 70er Jahren, zu Beginn der 70er Jahre, bevor die Militärdiktatur die Macht übernahm. Und dann, in der Zeit der Militärdiktatur konnte er einfach viel offener agieren. Und dann kehrt die Demokratie nach Argentinien zurück, und Arquímedes verlegt seine Arbeit wieder mehr in den Untergrund. Offiziell hat er keine Verbindung zu irgendwelchen Stellen, aber klar ist, dass gewisse Mitglieder des Geheimdienstes ihn decken. Aber es kommt dann eben auch zu einem Punkt, wo Arquímedes sozusagen auf eigene Rechnung arbeitet, auf eigene Rechnung kidnappt und mit dem erbeuteten Geld sozusagen sein Business, sein Geschäft weiterführt.
Burg: Das ist ja ein sehr ausgeklügeltes System. Arquímedes schafft es ja auch, dass seine Söhne mitmachen und die Mutter alles mitträgt, alles angeblich für die Familie. Glaubt er das selbst, oder sind es nur infame Mittel, die Familie mit zu instrumentalisieren?

Täter und Opfer in einer Person

Trapero: Also das ist eine interessante Situation, in der sich diese Familie befindet, und im Herzen des Films, im Herzen dieser Geschichte, die wir erzählen, steht ja die Beziehung zwischen dem Vater Arquímedes und seinem Sohn Alejandro. Und Alejandro war damals 24 Jahre alt, der war ein sehr bekannter Rugbyspieler. Er war sehr populär, er wurde geliebt, und warum hat er dann mitgemacht? Warum blieb er bei dem Vater und seinen kriminellen Aktivitäten? Man kann das auf zwei Dinge sehen: Man könnte interpretieren, er sei ein Opfer seines Vaters gewesen, ein Opfer der Machenschaften dieses patriarchalischen Vaters. Man kann aber es natürlich auch so sehen, dass er das Geld natürlich genommen hat und das Geld auch gerne genommen hat. Er wusste auch, woher dieses Geld stammte, also er hatte da auch gewisse Ambitionen, mitzumachen. Und er war alles andere als unschuldig, das wird ja auch am Ende des Films noch mal ganz klar thematisiert, als man ihm das auch vorwirft, dass er genau wusste, was er da tat. Und es gibt ja einen jüngeren Bruder dieses Clans, der nicht mitgemacht hat, der eben weggelaufen ist, der geflüchtet ist. Ud das beweist, dass es ja eine Möglichkeit gab, das Richtige zu tun. Insofern ist Alejandro einerseits ein Opfer, aber gleichzeitig auch ein Täter, er ist beides zugleich.
Burg: Dieses Stillschweigen der Familie ist manchmal nur schwer auszuhalten, zumal Arquímedes auch immer tyrannischer auftritt. Wie unangenehm und ungemütlich wollten Sie es auch für die Zuschauer werden lassen?

Gebannt von den Grausamkeiten

Trapero: Ja, da entstehen sehr seltsame Reaktionen. Natürlich haben wir auch geglaubt, das wäre ein Film, den man sich nicht leicht anschauen könnte, aber dann haben wir festgestellt, dass in Argentinien, aber auch in Venedig beim Festival und überall, wo der Film gezeigt worden ist bisher, dass die Leute ganz nah bei diesen Figuren bleiben und sehr gespannt sind und gerade an der Figur von Arquímedes, diesem Patriarchen des Clans, der alles ist – er ist böse, er ist grausam, er ist brutal – und trotzdem schaut man bis zu einem gewissen Punkt fasziniert hin. Das erinnert mich daran, wie wir als Kinder Horrorfilme geschaut haben. Wir haben uns die Hände vor die Augen gehalten, aber dann haben wir die Finger ein bisschen gespreizt und ein bisschen durch die Finger durchgeschaut, was da so passiert. Und so ähnlich gilt das hier auch, also diese Mischung aus Angst und Faszination. Man muss das eben alles zusammen sehen, dass da verschiedene Elemente zusammenkommen, wenn man sich den Film anschaut.
Burg: Ja, das Unglaubliche ist ja auch, dass im Grunde genommen die starken Szenen alle im Haus spielen, man hat hinterher nicht das Gefühl, dass jemals die Kamera das Haus verlassen hat. Alles konzentriert sich auf die Dynamik zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Wie groß war auch die Herausforderung dabei, dann so verschiedene Dynamiken in den Film hineinzubringen?
Trapero: Also was wir erreichen wollten mit dem Film, ist, dass man als Zuschauer den Alltag dieser Familie Puccio teilt, dass man nicht über sie urteilt – das tut man in jedem Fall sowieso. Wir wollten, dass dieses Leben, was sie da führen, dieses Alltagsleben, dass diese Dynamik viel stärker ist als die Dynamik der Entführungen. Diese Brutalität und der Alltag, wie sie so nebeneinander einhergehen, der Banalität und dann auch wieder in dem Schrecken, das war uns wichtig. Und wir zeigen das ja aus der Perspektive der Familienmitglieder, aus der Perspektive von Arquímedes, aus der Perspektive von Alejandro oder aus der Perspektive der Mutter.
Burg: Der Film lief in Argentinien unglaublich gut. Abgesehen davon, dass es ein wirklich guter Film ist, gibt es auch ein gesteigertes Interesse daran, sich mit diesem Teil der Geschichte auseinanderzusetzen?

Die Intensität des Falls fasziniert

Trapero: Also ich glaube, da kommen mehrere Dinge zusammen. Einerseits geht es natürlich um diese Periode, um diese Epoche, in der der Film spielt, aber es geht auch um diese Geschichte dieser Puccio-Familie, dieser Entführungen, die doch sehr stark in den Medien auch thematisiert worden sind zu unterschiedlichen Epochen. Und die Intensität des Falls ist natürlich auch etwas, was das Publikum in einem gewissen Maße auch fasziniert.
Burg: Pablo Trapero, der Regisseur des Films "Der Clan", der jetzt im Kino läuft. Vielen Dank!
Trapero: Thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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