Reformationsjubiläum

Lutherjahr - jetzt reicht es!

Playmobil-Figur von Martin Luther zum Reformationsjahr 2017
Playmobil-Figur von Martin Luther zum Reformationsjahr 2017 vor der Thesentür an der Schlosskirche in Wittenberg © picture alliance / Universität Jena
Von Paul Stänner · 24.07.2017
Luther wird mindestens seit Jahresbeginn auf allen Kanälen gefeiert. Dabei wurde auch klar: Hasskommentare, grassierendes Übergewicht und Psychoanalyse gehen auf den Reformator zurück, meint Autor Paul Stänner - nicht ganz ernsthaft. Er hat bereits vor dem Höhepunkt am 31. Oktober genug.
Im Theater gibt es Luther, im Tourismus gibt es Luther, dutzendweise wurden Luther-Stuben und Luther-Sterbestuben aufpoliert, Gedenkstätten, wo immer der Mann mal gegangen war. Die Deutsche Bahn hat ihr Verspätungsnetz um eine Sonderlinie nach Wittenberg erweitert, der so genannten "Mutter der Reformation". Oder man fährt nach Torgau, der "Amme der Reformation". Yadegar Assisis Rundbau in Wittenberg ist dann wohl das "Vogelnest der Reformation". Luther als Hollywood-Held und als Playmobil-Männchen! Das Lutherjahr ist ein dickes Geschäft und es fällt letztlich auf den Reformator zurück.
Im Anfang war alles anders: Luther ruinierte einen gut florierenden Wirtschaftszeig, als er das Geschäft mit dem Sündenablass zum Erliegen brachte. Ein Drittel ging nach Rom, ein Drittel an den Landesherren und ein Drittel an den mittelständischen Ablassprediger. So war es vor dem Luther-Kahlschlag. Danach herrschte eine theologisch induzierte Wirtschaftsflaute.
Luthers Schweizer Geistesbruder Johannes Calvin musste ihn korrigieren und erklärte das Raffen von Reichtümern für gottgewünscht und gottgefällig. Calvin übertrieb und so wütete die Geldgier schlimmer als zu Ablasszeiten. Luthers Schuld.

Erfinder der Hetzschrift mitsamt giftiger Karikatur

Angeblich verdanken wir Luther und seiner Bibelübersetzung die deutsche Sprache. Die kraftvolle, bildreiche, zupackende deutsche Sprache. Die auch in seine private Alltagskultur einging: "Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?", soll der Reformator sich bei Tischgenossen erkundigt haben. Man möchte die Antwort gar nicht hören, denn wir kennen die Folgen: Jeder, dem nichts Besseres als "Scheiße!" einfällt, beruft sich auf Luthers Bibelübersetzung und kündigt an, dass er nun etwas "auf gut Deutsch" sagen wolle. Aber "Scheiße!" ist kein gutes Deutsch! Hätte nicht Luther mit seinem biblischen Kraftdeutsch angefangen, müsste der Wüstling lateinisch fluchen, etwa: "excrementum!"; oder griechisch: "skatá!", was deutlich zivilisierter klingt.
Aber Luther hat's versaut.
Neben seiner Reformation hat der Dr. Martin auch die modernen Massenmedien erfunden. Während die katholische Konkurrenz wie üblich die Zeit verschlief und weiterhin in unverständlichem Latein von der Kanzel predigte, baute Luther in Wittenberg eine Druckerei nach der anderen auf. Seine Schriften wurden in alle deutsche Städte verbreitet. Luther erfand nicht nur die Massenkommunikation, er erfand auch die Hetzschrift mitsamt giftiger Karikaturen. Die Lutherbiografin Lyndal Roper resümiert, Luther habe den "Buchdruck verheerend (!) genutzt" - mehr muss man nicht sagen.

Luther ist an allem schuld

Wenn der Bundestag gerade eben ein Gesetz verabschieden musste, um Hasspredigten in den Massenmedien zu unterdrücken, dann ist das der aktuelle Höhepunkt einer Entwicklung, die mit Luther begonnen hat.
Was muss man noch erwähnen: Luthers Panikattacken vor Tod und Teufel und Gott selbst - was wäre die Psychoanalyse für ein mickriges Geschäft, könnte sie sich nicht auf den großen Reformator berufen.
Oder: Der pauspäckige Luther forderte seine Anhänger auf, mit Freunden zu essen und zu trinken, um der Melancholie vorzubeugen. Wenn heute ein Drittel der Menschheit als übergewichtig gilt: Auf wen geht das wohl zurück?
Luther ist an allem schuld. Das Lutherjahr hat es erwiesen.
Und jetzt - reicht es eigentlich.

Der Autor und Journalist Paul Stänner ist in Ahlen in Westfalen geboren, hat in Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte studiert und eine Ausbildung zum Journalisten bei RIAS und SFB (heute: Deutschlandradio Kultur und rbb) absolviert. Eines seiner letzten Bücher war "Ich bin hinter dir. Katholische Internatsgeschichten".

Paul Stänner
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