Rechter Rand

Von Bert-Oliver Manig · 06.11.2006
Die jüngsten Wahlerfolge der NPD in einigen Bundesländern sind kein Novum. Schon in den 60er Jahren wurden Rechtsextreme in die Landtage gewählt. Die Erfolgswelle der NPD nahm bei der Landtagswahl in Hessen vor 40 Jahren ihren Anfang.
Landtagswahlen in Hessen waren in den 50er und 60er Jahren eine recht langweilige Angelegenheit: Regelmäßig errang die SPD die absolute Mehrheit der Mandate, CDU und FDP waren chancenlos. Die Wahl vom 6. November 1966 war in dieser Hinsicht keine Ausnahme, und doch war ein Ergebnis spektakulär: Die erst zwei Jahre zuvor gegründete NPD errang 7,9 Prozent der Stimmen und entsandte acht Abgeordnete in den Wiesbadener Landtag. Die Hessenwahl war der Auftakt zu einer Erfolgsserie der Rechtsradikalen, die in den folgenden zwei Jahren in sieben Landesparlamente einziehen sollten.

Offensichtlich füllte die NPD eine politische Marktlücke. Die FDP, die sich in Hessen wie in einigen anderen Bundesländern lange Zeit mit einem strammen Rechtskurs erfolgreich um die Integration alter Nationalsozialisten bemüht hatte, suchte inzwischen einen Platz links von der Union und bot sich der SPD in Bonn als Koalitionspartner an. Und der Vertriebenenpartei BHE gelang es nicht mehr, jene Wähler zu integrieren, die aus Protest gegen die einsetzende Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa eine politische Alternative suchten. Nutznießer dieser Entwicklungen war die NPD. Ihr Vorsitzender Fritz Thielen reklamierte für seine Partei die Aufgabe,

"nationale Politik zu treiben, das heißt: die Rechte und damit auch die Möglichkeiten des deutschen Volkes endlich wahrzunehmen."

Einen Verzicht auf die deutschen Ostgebiete lehnte die NPD ebenso ab wie Wiedergutmachungszahlungen an Israel. Besonders verbissen bekämpfte sie die sich Mitte der 60er Jahre verstärkende Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Die NPD forderte dagegen:

"Deutschland braucht um seiner Zukunft willen ein wahres Geschichtsbild. (…) Wir wehren uns dagegen, dass der Unterlegene zum Schuldigen gestempelt wird."

Solche Parolen, die die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg in Zweifel zogen und den Nationalsozialismus verharmlosten, verfingen nicht nur bei unbelehrbaren Nazis. Die NPD stellte sich als verfassungstreue, konservative Kraft dar. Die Partei gab autoritären Ressentiments gegen die offene Gesellschaft eine Stimme: Die etablierten Parteien und ihre angeblich faulen Kompromisse waren ebenso Zielscheibe ihrer Propaganda wie die "Linkspresse" oder "gammelnde" Jugendliche.

Insbesondere die Unionsparteien verloren an die neue Konkurrenz am rechten Rand Stimmen. Der damalige Außenminister Gerhard Schröder erklärte zwei Wochen nach der hessischen Landtagswahl im CDU-Präsidium:

"Wenn eine ernstzunehmende Rechtsbewegung entstünde, würde dies die CDU auf einen hoffnungslosen zweiten Platz hinter der SPD verweisen."

Der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß forderte von den Unionsparteien, "gewisse nationale Akzente" zu setzen, um die NPD überflüssig zu machen. Im Einklang damit warnte der baden-württembergische Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger davor, durch ein allzu kritisches Geschichtsbild die Jugend "nationalistischen Rattenfängern" in die Arme zu treiben:

"Wenn wir nicht ernsthaft, wir Älteren uns bemühen, unseren jungen Leuten zu einem neuen nationalen Selbstverständnis zu verhelfen, wenn sie vor dem Trümmerhaufen, der ihnen ständig gezeigt wird, stehen, dabei noch vor diesen verhängnisvollen Versuchen, nicht nur die unselige Zeit nach 1933, wo wir nur das Haupt verhüllen können, sondern auch die Zeit vorher als eine Zeit verbrecherischen deutschen politischen Handelns darstellen, wobei es doch nur eine Zeit war, wo auch in Deutschland Fehler gemacht wurden, wie in anderen Ländern auch, dann ist das ein Verbrechen an der jungen Generation."

Die Wahlerfolge der NPD stärkten den rechten Flügel der Union. In Hessen übernahm 1967 der konservative Alfred Dregger den Vorsitz des bis dahin innerparteilich eher links stehenden Landesverbands. Der Rechtsruck der Unionsparteien trug zur Verhärtung ihrer außenpolitischen Positionen und damit mittelfristig zu ihrem Machtverlust in Bonn bei.

Auch wenn die NPD 1969 den Einzug in den Bundestag knapp verpasste und in den folgenden Jahren aus den Landtagen verschwand, war die rechte Welle zwischen 1966 und 1968 mehr als eine Episode. Seither wird das Werben um "nationalkonservative" Wähler von den Unionsparteien mit dem Dogma begründet, dass es rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe.