Rasen, drängeln, pöbeln

Die Wut auf deutschen Straßen

04:17 Minuten
Das „Gesicht” eines modernen Autos scheint durch Blätter eines Baumes.
Neue Automodelle bekommen Proportionen wie Bodybuilder unter Anabolika, meint der Journalist Uwe Bork. © Unsplash / Maheshkumar Painam
Ein Kommentar von Uwe Bork · 12.02.2021
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Die Straße ist ein Ort, an dem Autofahrer ihren Frust rauslassen. Die Aggressivität sei besorgniserregend, bilanzieren Autoversicherer. Das Design neuer Modelle komme einem solchen Verhalten entgegen, meint der Journalist und Autor Uwe Bork.
Nein, nein, keine Angst, ich will Ihnen den Spaß am Autofahren gar nicht verderben. Wie denn auch, gehörten doch über die Jahrzehnte hinweg zu meinem Fuhrpark so unterschiedliche Autos wie eine wankende Ente, ein kleines, amalfi-/zitronengelbes Coupé und ein schwedischer Turbo, der mich bis in Zweihunderter-Regionen röhrte.
Nein, das Autofahren hat für mich schon Reiz, auch wenn ich weder leugnen kann noch will, dass unser Individualverkehr unsere Umwelt nachhaltig belastet. Sogar die nur scheinbar klimaneutralen Elektroautos werden beim Stand der Technik wohl keine Wende bringen.

Autofahren als "fahrbare Kriegserklärung"

Doch lassen wir das hier einmal dahingestellt, reden wir statt vom Weltklima lieber vom Klima auf unseren Straßen. Schon wenige Minuten auf einer Autobahnbrücke oder an einer Großstadtampel genügen für den Eindruck, wir pilotierten keine Autos, sondern "fahrbare Kriegserklärungen", wie es jüngst der Verkehrsclub für Deutschland zuspitzte.
Mehr als jeder vierte Autofahrer – ja, leider sind wir Männer es, die diese Werte in die Höhe treiben –, mehr als jeder vierte Autofahrer also fährt beispielsweise zu dicht auf seinen Vordermann auf, um endlich freie Bahn zu bekommen. Genauso viele Automobilisten treten oft und gern aufs Gas, wenn sie sich ungerechtfertigt überholt fühlen, und für immerhin zwölf Prozent aller Fahrer gehört Drängeln sowieso zu ihrem Fahrstil.

Aggressive Fahrer in kraftvollen Karossen

Will man Psychologen glauben, ballen sich diese forschen Fahrer besonders bei bestimmten Marken. Wer dazu neigt, die Straße als seinen persönlichen Besitz zu betrachten und überdies Verkehrsregeln als Einschränkung seiner individuellen Freiheit ansieht, der sitzt eher nicht in einem schwächlichen Kleinwagen oder in einem Billigauto aus Südosteuropa.
Mit mehr Wahrscheinlichkeit lenkt er eine der kraftvollen Karossen aus Bayern oder Baden-Württemberg, deren Chauffeure sich nicht zuletzt durch die Wahl eines solchen Wagens gern von der Masse in der Mittelklasse abheben. Nach herausragenden Zügen ihrer Persönlichkeit befragt, bezeichneten sie sich in einer Untersuchung als leistungsmotiviert, selbstbewusst und durchsetzungsstark: Eigenschaften, die dem schnellen Fahren sicher ebenso förderlich sind wie der schnellen Karriere.

Autodesign für egomane Verkehrsrowdys

Kein Wunder, dass auch das Autodesign die Werte einer egomanen Ellenbogengesellschaft aufgreift. Autos bekommen Proportionen wie ein Bodybuilder unter Anabolika: ein schmaler Aufbau über einem breiten Unterbau, das verschafft Achtung selbst im Stau. Ein überdimensional aufgerissener Kühlerschlund zwischen mit zum bösen Blick geschlitzten Scheinwerfern. Schon muss der Begriff Überholprestige nicht weiter erklärt werden.
Da haben Autos dann "eine ausgeprägte Sharknose" – sprich: ein Haifischmaul. Sie setzen "sich entschlossen und elegant über bestehende Konventionen hinweg", sie sind "edgy" oder gleich, wie es der Prospekt behauptet, "ein rebellischer Einzelgänger", der natürlich auf alle Regeln pfeift. Wahrscheinlich nicht anders als sein Chauffeur.
Damit repräsentiert er allerdings leider genau das, was wir im Straßenverkehr am wenigsten brauchen. Wenn Sie mich fragen: Ein Automobildesign, das miese Monstren durch die Dreißigerzone jagt und die Fahrzeugfront zur fiesen Fratze deformiert, taugt allenfalls noch für Auslaufmodelle.
Sonst müssten wir ihm vielleicht doch zustimmen, jenem Gottfried Seume, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Fuß von Leipzig bis nach Sizilien wanderte, und der seine Abneigung gegen Kutschen und Karossen unmissverständlich begründete: "Sowie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt."

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Uni Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik, Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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