Radical Softness

Her mit den Gefühlen!

Eine lachende Frau
Die eigenen Emotionen zulassen, das möchte die Radical-Softness-Bewegung. © imago / Matt Herring
Von Pia Rauschenberger · 20.07.2017
In der Öffentlichkeit oder am Arbeitsplatz ungehemmt lachen, schreien oder weinen, einfach mal Gefühle zeigen: Anhänger der Radical-Softness-Bewegung möchten, dass Gefühle und psychische Krankheiten enttabuisiert werden. Und Radical Softness scheint anschlussfähig zu werden.

Was ist Radical Softness?

Das Emotionale soll nicht länger dem Rationalen untergeordnet werden, fordert die Radical-Softness-Bewegung. Menschen mit psychischen Problemen sollen nicht länger stigmatisiert werden. Und es soll möglich sein, auch die Gefühle zu zeigen, die sich außerhalb der Norm befinden. Negative Gefühle.
"Radical Softness bedeutet, deine Emotionalität und Verletzlichkeit auf eine Weise auszudrücken, die sich für dich richtig anfühlt, und dich dabei von niemand einschränken zu lassen."
So erklärt es Elliott Tender, der einen YouTube-Kanal betreibt, auf dem er über Themen wie Depression, Verletzlichkeit und eben über Radical Softness spricht.
Das Konzept stammt von der US-amerikanischen Kunstschaffenden Lora Mathis, die eine Fotoreihe zu dem Thema veröffentlich hat. Ein Bild zeigt drei Messer und Schmuck auf einem rosa Tuch. Dazwischen der Spruch: Radical Softness is a Weapon.
Nach Lora Mathis haben das Thema andere Künstlerinnen und Künstler aufgegriffen und in Zines, Bildern oder Musik verarbeitet. Zum Beispiel die Pop-Punk-Band Diet Cig.
Im deutschsprachigen Raum bezieht sich die Singer-Songwriterin Ilgen-Nur mit ihrer EP und dem gleichnamigen Lied No Emotions auf Radical Softness.

Aber warum überhaupt radikal?

"Ich denke, wenn wir es wirklich so ganz weit denken und uns vorstellen, wir würden in einer Gesellschaft leben, wo ich jederzeit sagen kann: Hey, mich überwältigen gerade die Gefühle. Oder ich fang in der U-Bahn an zu weinen oder ich erzähl einfach meiner Chefin, ja ich kann jetzt einfach nächste Woche nicht kommen, weil es mir viel zu schlecht geht. Dann hätten wir schon eine ganz andere Gesellschaft", sagt Kalle Hümpfner, der zusammen mit einem Kollektiv Workshops zum Thema Radical Softness gibt.

Wie ist die Radical-Softness-Bewegung entstanden?

Die Idee der Radical Softness Bewegung knüpft inhaltlich an die Antipsychiatrie-Bewegung aus den 1970er-Jahren an - und an die Emo-Szene: Politik und Pop. Gleichzeitig werden queer-feministische Perspektiven einbezogen.
"Es gibt eine lange Geschichte davon, dass Personen, die als Frauen eingeordnet wurden, als krankhaft abgestempelt wurden, weil sie als zu empfindlich oder hysterisch oder ähnliches bezeichnet wurden. Deswegen sehe ich Radical Softness schon in so einer Geschichte von: Hey, wir eignen uns das einfach wieder an."
Prinzipiell sind die Ideen der Bewegung weniger neu und vielleicht sogar weniger radikal als es auf den ersten Blick wirkt. Durch Zines, Fotos, Musik und YouTube-Channels wirkt Radical Softness aber viel anschlussfähiger als das sozialistische Patientenkollektiv von damals. Weniger Politik, dafür mehr Pop. Und manchmal sogar ein bisschen Punk. (lk)
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