Potentiale in den Hinterhöfen der Stadt

23.03.2013
Der Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung IBA Hamburg, Uli Hellweg, geht davon aus, dass die IBA städtebauliche Strategien für soziale und ökologische Probleme der Innenstädte zeigen kann. Außerdem ständen städtebauliche Projekte im Fokus der IBA, die sich auf den Bestand beziehen und auf dessen Entwicklung.
Nana Brink: Seit 1901 gibt es Internationale Bauausstellungen in Deutschland. Die erste war übrigens in Darmstadt, und die achte wird morgen eröffnet, und zwar in Hamburg. Es liegt in der Natur einer Internationalen Bauausstellung, kurz IBA genannt, dass sie sich meist mit einer Region oder Stadt beschäftigt, die nicht mehr Schritt halten kann mit der Zeit oder die ein wenig im Abseits steht, also ging die IBA in der Vergangenheit in die Lausitzer Tagebaulandschaften oder auch in die schrumpfenden Städte in Sachsen-Anhalt. Jetzt also Hamburg, und zwar mit Fokus auf dem Stadtteil Wilhelmsburg, ein sozialer und wirtschaftlicher Brennpunkt, viele sagen: das Stiefkind der Hansestadt. Und am Telefon ist jetzt Uli Hellwig, Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung in Hamburg, selbst Stadtplaner. Schönen guten Morgen, Herr Hellwig!

Uli Hellweg: Schönen guten Morgen!

Brink: Mal ganz ketzerisch gefragt: Wofür braucht man heute eine IBA für Wilhelmsburg? Kann man die Probleme der Stadt oder dieses Stadtteils nicht auch ganz normalen, städtischen Programmen lösen?

Hellweg: Die große Chance einer IBA ist ja, dass man einen Stadtteil ganzheitlich angehen kann. Man kann unbürokratisch intervenieren, es gibt einen Zeitraum, in dem die finanziellen, politischen, administrativen Kräfte auf einen Ort konzentriert werden, und das ist eben sehr ungewöhnlich.

Brink: Aber damit es ja nicht eine Ansammlung von willkürlichen Projekten und Investoren wird – was ist denn die Fragestellung der IBA, jetzt ganz konkret in Hamburg?

Hellweg: Jede IBA bezieht sich immer auf den Ort, an dem sie stattfindet, und das ist im Grunde auch das Geheimnis einer IBA: Man löst die Probleme vor Ort. Das ist ja keine Messe, sondern man guckt: Was sind die sozialen Probleme, was sind die ökologischen Probleme, die städtebaulichen Probleme? Und die sind eben in Wilhelmsburg sehr speziell. Wir haben zum Beispiel ein großes soziales Problem, dadurch, dass viele Menschen nach der Flut 1962 weggezogen sind. Das ist auch gleich schon die Verbindung zu dem ökologischen und energetischen Problem, nämlich dem Klimawandel. Die Hamburger IBA findet ja auf den Hamburger Elbinseln statt, also der größten Flußinsel Europas. Und dann greifen auch bestimmte städtebauliche Probleme rein wie zum Beispiel große Verkehrsbelastungen auf drei großen Verkehrsachsen, Hafennutzung und so weiter. Und diese Melange kann man am besten durch ein Instrument wie die IBA lösen.

Brink: Jetzt greifen wir doch mal, damit das ein bisschen plastisch wird, ein paar beispielhafte Projekte heraus, an denen man zeigen kann, welcher Geist – den Sie ja gerade beschrieben haben – hinter der IBA steckt. Was liegt Ihnen denn da besonders am Herzen?

Hellweg: Ja, ich habe da kein Lieblingskind, muss ich sagen, sondern alle unsere Projekte sind wirklich extrem wichtig für die Elbinseln. Also in den bestimmten Bereichen sind es vielleicht Projekte wie zum Beispiel der Energiebunker, wo wir eben zeigen, dass man mit lokalen Mitteln schon sehr stark zum energetischen Stadtumbau beitragen muss.

Brink: Was ist denn ein Energiebunker? Entschuldigung. War das ein richtiger Bunker?

Hellweg: Ja, das ist ein alter Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der wurde 1947 gesprengt oder teilweise gesprengt, im Inneren gesprengt, und seitdem war das ein einziger innerer Schutthaufen. Die Hülle außen war noch intakt. Den haben wir leergeräumt und haben dort einen 2000 Kubikmeter großen Warmwasserspeicher eingebaut, der regenerativ gespeist wird, sodass wir dort zum Beispiel auch ein Speicherproblem lösen, was ja ein großes Thema ist im energetischen Stadtumbau. Aber der Energiebunker oder der Energieberg – wir haben ja eine ganze Reihe von Projekten dieser Art –, die haben eigentlich ein zentrales Ziel, nämlich, die lokalen Ressourcen, die wir in unseren Städten haben, mal wahrzunehmen und zu nutzen, weil alle Menschen starren immer auf die großen Offshore-Anlagen und auf die Desertec-Stromlieferanten, und die großen Überland-Leitungsprobleme bestimmen die Diskussion. In Wahrheit haben wir die Energien vor unserer Haustür, wir müssen sie nur suchen und finden und nutzen.

Brink: Das ist jetzt eine ökologische Seite der IBA. Die IBA hat sich aber auch eine schwere Aufgabe vorgenommen, nämlich, das Image von sozial schwachen Stadtteilen – genau wie Wilhelmsburg oder Veddel – aufzupolieren, ohne die Bewohner zu verdrängen. Kann das gelingen?

Hellweg: Die Bewohner wollen wir auf keinen Fall verdrängen, weil es wäre ja auch unsinnig, dann würde man das Problem ja im Grunde nur verschieben. Und deswegen haben wir städtebauliche Strategien entwickelt, die zum einen sich auf den Bestand beziehen, dort sagen wir, wohnen heißt bleiben – und wir haben ja auch mit 800 Wohnungen gezeigt, dass man Wohnungen so modernisieren kann, dass die Leute sich das hinterher bezahlen können, und über Beteiligungsprozesse auch sichergestellt, dass die Wohnungen eben so umgebaut wurden, wie sie es brauchten, oder dass zusätzliche Infrastrukturen eingerichtet wurden –, aber diese Metrozonen, wie wir das nennen, also diese Stadtumbaugebiete so in der inneren Peripherie der Städte oder, man könnte es auch salopp sagen, die Hinterhöfe der Stadt, die schwierigen, haben eben auch große Potenziale, dort eben Menschen auch wieder hinzubringen, wenn es eben nicht länger Hinterhöfe sind, sondern wenn man die Bildungseinrichtungen verbessert, wenn man die Freiräume verbessert, wenn man Parks baut. Und das ist das, was wir hier in Wilhelmsburg und auf der Hamburger Schlossinsel machen.

Brink: Das ist aber anscheinend bisher nicht geräuschlos gegangen, denn morgen immerhin hat sich auch eine Demo angekündigt, 500 Leute wollen protestieren, und viele befürchten, dass sie da dann auch verdrängt werden. Das ist eine große Kritik in der Vergangenheit gewesen.

Hellweg: Ja, das ist eine Angst, die nehmen wir auch durchaus ernst. Aber wir sagen: Man muss uns auch an unseren Taten messen. Und gerade, wenn man sieht, dass wir zum Beispiel Seniorenwohnungen, Pflegeheime für muslimische Migrantinnen und Migranten bauen, wenn man sieht, dass wir spezielle Bildungseinrichtungen wie das Sprach- und Bewegungszentrum bauen, was gerade die Spracherziehung von migrantischen Kindern verbessert, dann, glaube ich, ist es schwierig, diese Argumentation zu führen. Und vor allen Dingen ist es deswegen schwierig, weil wenn man mit jeder Maßnahme, die man in einem benachteiligten Stadtteil ... Gentrifizierung auslösen würde, dann würde ja die Konsequenz heißen, dass man dort gar nichts macht, und das heißt, man führt den direkten Weg in die soziale Spaltung der Stadt.

Brink: In allen deutschen Großstädten gibt es ja dieses große Problem bezahlbarer Wohnraum. Ist das denn wirklich dann auch ein Thema bei Ihnen?

Hellweg: Das ist ein großes Thema, deswegen findet die IBA ja auch in Wilhelmsburg statt, weil wir hier eben tatsächlich auch noch Flächen haben – auf Leercontainerlagern, auf ehemaligen Güterbahnhöfen –, wo man eben zusätzlichen Wohnungsbau schaffen kann. Das heißt, im Gegensatz zum Prenzlauer Berg oder zu München-Haidhausen oder zur Schanze oder was auch immer bedeutet hier ja Wohnen in der Stadt nicht, dass man in den Altbau reingehen muss, sondern wir bauen eben sehr innovative Smarthäuser, auch preiswerte Häuser durchaus, wo eben die Menschen dann in den Neubau hineinziehen können, ohne dass sie die Menschen aus den Altbauten heraus verdrängen.

Brink: Kritiker spotten, dass nach siebenjähriger Planungsphase und rund einer Milliarde Euro an staatlichen und privaten Geldern über die Hälfte der Projekte zur heutigen Eröffnung nicht fertig sind. Warum ist das so?

Hellweg: Ach, das sehe ich ganz gelassen. Also bezogen auf Großprojekte wie die IBA machen wir eine absolute Punktlandung, wenn wir jetzt nicht noch den kältesten März seit 100 Jahren hätten, würde wahrscheinlich überhaupt keiner drüber sprechen. Und wir können uns ja auch durchaus mal vergleichen mit anderen Großprojekten, die Jahre brauchen, bis sie fertig werden, wenn es denn überhaupt ...

Brink: Sie haben ja auch sieben Jahre Zeit gehabt.

Hellweg: Ja, gut, die Vorbereitungszeit hatte ja ein bestimmtes Enddatum, und dieses Enddatum überschreiten wir vielleicht mit zwei, drei Wochen jetzt, witterungsbedingt. Also das, glaube ich, kann man sehr gelassen sehen.

Brink: Uli Hellwig, Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung in Hamburg. Schönen Dank für das Gespräch!

Hellweg: Haben Sie herzlichen Dank! Tschüss!

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