Politologe: Demokratie erfordert Opfer-Bereitschaft

James W. Davis im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 08.09.2009
Der amerikanische Politologe James W. Davis hat angeregt, einen "Nationalfriedhof für deutsche Helden" einzurichten. Damit sollen all jene geehrt werden, "die bereit waren, für die Grundwerte der deutschen Demokratie Opfer zu bringen". Ein Land, das solche Opfer verlange, müsse diese auch öffentlich würdigen.
Liane Von Billerbeck: Woran denken Sie, wenn Sie das Wort "Helden" hören? An die Antike, an Siegfried? Oder denken Sie an Soldaten der Bundeswehr, die im Auftrag der Republik in Afghanistan getötet wurden?

Heute wird in Berlin das Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock eingeweiht. Und Deutschland diskutiert nach dem Angriff auf Tankwagen mit vielen wahrscheinlich auch zivilen Toten in Afghanistan heftig wie lange nicht darüber, ob man eher diesen Nicht-Krieg beenden sollte, bevor noch mehr Menschen sterben und auch Männer als Helden den Heldentod fallen.

Gestern sagte der Historiker Herfried Münkler in unserem Programm:

""Die postheroische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie zu dem Gedanken des Opfers keine starke Beziehung hat, und dass sie das Opfer nicht als einen herausragenden Wert kennzeichnet. In diesem Sinne sind wir alle Angehörige der postheroischen Gesellschaft"."

Der amerikanische Politikwissenschaftler James W. Davis will sich damit nicht abfinden und hat in einem Zeitungsessay angeregt, einen "Nationalfriedhof für deutsche Helden" zu schaffen. Professor Davis ist Direktor des Instituts für Politikwissenschaften an der Universität St. Gallen und jetzt telefonisch zugeschaltet. Ich grüße Sie!

James W. Davis: Grüß Gott!

Von Billerbeck: Was ist für Sie ein deutscher Held?

Davis: Ein Held ist jemand, der letztendlich für die Werte und Interessen seines Landes ein Opfer bringt. Und in der Tat erleben wir es - leider muss man sagen - aber monatlich, dass deutsche Soldaten für ihr Land, für die Werte des Grundgesetzes sterben, und sie sind aus meiner Sicht Helden, Helden ihres Landes.

Von Billerbeck: Dass eine Demokratie Vorbilder braucht, ist vermutlich unumstritten. Braucht sie auch Helden?

Davis: Ja leider, leider braucht sie Helden, weil diese Grundwerte und die Interessen, wofür wir stehen, sie erfordern eine Bereitschaft, immer wieder Opfer zu bringen - sei es aufgrund der Schicksale oder sei es aufgrund politischer Geschehen. Und ein Land, das dann ein Opfer oder eine Bereitschaft zu opfern verlangt, muss dann auch, denke ich mir, diese Opfer würdigen.

Von Billerbeck: Also, wir brauchen Heldenverehrung?

Davis: Es ist nicht Verehrung, es ist einfach die Anerkennung, dass es Leute gab, die bereit waren, für das Gemeinwohl zu sterben letztendlich. Und das ist keine Heldenverehrung, sondern eine Verehrung der Werte, für die diese Menschen bereit waren, ihr Leben zu opfern.

Von Billerbeck: Sie haben in einem Zeitungsessay angeregt, einen "Nationalfriedhof für deutsche Helden" zu schaffen, und haben das unter anderem auch biografisch begründet. Ihr Vater war Offizier, Flieger, militärisch hoch dekoriert und wurde nach seinem Tod auf dem amerikanischen Nationalfriedhof in Arlington beigesetzt. Warum war das so wichtig für Ihre Familie?

Davis: Ja, es war wichtig, glaube ich, weil auch für unsere Familie war natürlich der Einsatz, mehrfache Kriegseinsatz meines Vaters ein Opfer, und man findet, glaube ich, irgendwo Closure - wie sagt man das auf Deutsch? Also man wird einfach beruhigt irgendwo, wenn man weiß, dass das, was unser Vater gemacht hat, auch geschätzt wird, nicht nur von seiner Familie, aber von seiner Gesellschaft. Und letztendlich die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen und die Leistungen, die im Ausland gebracht werden als Soldat, aber auch als Polizist oder als Diplomat, das sind Leistungen, die einen öffentlichen Charakter haben. Und mir ist es wichtig, dass dieser öffentliche Charakter gewürdigt wird. Das sind nicht Privatakte, die diese Menschen leisten, sondern sie sind öffentlich und sie haben dann natürlich eine öffentliche Würdigung verdient.

Von Billerbeck: Nun gibt es ja von heute an ein Denkmal, ein Ehrenmal für die getöteten Bundeswehrsoldaten in der Nähe des Bendlerblocks in Berlin, nicht nur für jene, die bei Auslandseinsätzen wie in Afghanistan oder Somalia ums Leben kamen. Das Ehrenmal ist ein geschützter Raum, dennoch sehr filigran und lichtdurchflutet, und es hat auch genau deshalb Kritik auf sich gezogen, weil es so ist und so den körperlichen Tod von Soldaten irgendwie ausblendet. Was halten Sie denn von diesem Ehrenmal, genügt Ihnen das nicht?

Davis: Eben nicht, und aus den Gründen, die Sie erwähnt haben. Für mich ist es doch wichtig, dass Angehörige irgendwo gehen können, um zu trauern, um festzustellen, dass da ein Mensch wirklich war, der für diese Werte gestorben ist. Und ohne jetzt ein Denkmal oder Ehrenmal kritisieren zu wollen, denke ich mir, hat ein Friedhof einen ganz anderen Charakter.

Von Billerbeck: Meinen Sie, dass die Familien deutscher Soldaten, die beispielsweise bei dem hierzulande ja sehr umstrittenen Einsatz - um nicht das Wort Krieg, das ja immer geläufiger wird eigentlich - in Afghanistan ums Leben kamen, dass diese Angehörigen das auch wollen, dass ihre Soldaten, ihre Kinder, ihre Söhne, ihre Männer auf einem Nationalfriedhof bestattet werden?

Davis: Das kann ich natürlich nicht beantworten. Ich kann nur sagen, dass ihre Angehörigen für ihr Land gestorben sind und dass sie es verdient haben, vom Land geehrt zu werden und dass nicht nur die Familien eben dieser Leute gedenken sollen, sondern die Gesellschaft als solche. Und das, finde ich, ist leichter zu machen und vielleicht auch - ja, ist leider zu machen, wenn man einen Ort hat, wo so was stattfindet, und nicht quer durch das Land ziehen muss, um überall diese Opfer auszusuchen.

Von Billerbeck: Nun haben wir ja in deutschen Dörfern und Städten sehr viele Kriegerdenkmäler und -friedhöfe, die erinnern an die Gefallenen der Kriege von 1864, 1870/71. Es gibt die grauen Kreuze des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge für die Gefallenen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, wir haben die Soldatenfriedhöfe für die alliierten Soldaten. Sie haben nun einen Nationalfriedhof angeregt, wie soll der aussehen?

Davis: Das wäre natürlich eine Frage für die Deutschen selbst. Wir haben in Amerika, die Kanadier haben auch in Montreal so was, wir haben alle unsere eigenen Friedhöfe, die man selbst gestalten muss. Das ist eine Frage, für die Deutschen. Aber ich denke, genauso wie wir gestern 60 Jahre Bundestag gedenken konnten, können wir auch mal überlegen, wie wir national in Deutschland der Opfer der Demokratie gedenken sollen. Und wie gesagt, es ist nicht nur eine Sache von Soldaten, das ist eine Sache von all denjenigen, die bereit waren, für die Grundwerte der Demokratie, der deutschen Demokratie, die in beispielhafter Art und Weise entstanden ist, aus der Vergangenheit, aus der Nazivergangenheit, bereit waren, eben für diese Demokratie Opfer zu bringen. Und die haben es verdient.

Von Billerbeck: Aber gerade die Nazivergangenheit ist ja eine Ursache dafür, dass die deutsche Öffentlichkeit so ein Unbehagen mit Krieger- und Heldenverehrung hat. Meinen Sie nicht, dass wir mit Blick auf diese Geschichte doch auf Heldenverehrung verzichten sollten, oder gibt es einen Grund, diese Helden öffentlich zu ehren?

Davis: Ja, ich glaube, man darf eben nicht auf Helden verzichten, weil eben dieser Versuch, uns von der Vergangenheit zu verabschieden, führt dann natürlich zu märchenhaften Erklärungen, die wir jetzt erleben. Warum sind wir in Afghanistan? Wir sind dort, nicht um irgendwelche Werte zu verteidigen, sondern für andere Zwecke.

Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, dass eine Demokratie einfach aus dem Nichts entsteht. Sie entsteht durch harte Arbeit, sie wird verteidigt, und ich meine nicht nur verteidigt im militärischen Sinne, sondern auch im politischen Sinne, auch im Sinne der Aufrechterhaltung der Grundwerte. Sie wird verteidigt, indem Individuen öffentlich in der Öffentlichkeit eine Leistung erbringen, die manchmal eine kostspielige Leistung ist. Und dies ist für mich eine Notwendigkeit, um eben die Demokratie aufrechtzuerhalten.

Von Billerbeck: Herr Professor Davis, geht es eigentlich in dieser Ablehnung der Heldenverehrung in der deutschen oder durch die deutsche Öffentlichkeit darum, oder spielt darin eigentlich eine andere Frage eine Rolle, nämlich die Ablehnung einer Außen- und Sicherheitspolitik, die sich gerade bei den Auslandseinsätzen in vielerlei Hinsicht auf ungeklärtem Terrain bewegt, also rechtlich, politisch und auch ethisch?

Davis: Ich sehe die Kausalität anders. Für mich ist eben die Ablehnung dieser Außenpolitik eine Folge von der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und nicht andersrum. Wir lehnen eben eine solche Außenpolitik ab, weil wir uns eben nicht mehr mit der Vergangenheit zu tun haben werden. Aber die Vergangenheit ist eben die Vergangenheit in diesem Fall, und eine Demokratie erfordert auch eine gewisse Bereitschaft, Opfer zu bringen. Und das erleben wir tagtäglich.