Politisches Vietnam am Hindukusch

Von Matthias Rumpf · 14.04.2008
Es galt als "Sowjetisches Vietnam" und trug zum Zusammenbruch der UdSSR bei: die Intervention der Roten Armee in Afghanistan. Gut acht Jahre, von 1979 bis 1988, standen die sowjetischen Streitkräfte am Hindukusch, ehe sie abzogen - geschlagen von einem Partisanenheer, das sich der Supermacht entgegenstellte. Vor 20 Jahren wurde in Genf der Abzug der Roten Armee aus Afghanistan besiegelt.
27. Dezember 1979 kurz nach 19 Uhr. In der afghanischen Hauptstadt Kabul setzt eine Kommandoeinheit des sowjetischen Geheimdienstes KGB zum Sturm auf den Präsidentenpalast an. Auch das muslimische Bataillon des sowjetischen Militärgeheimdienstes ist mit dabei. Um die Palastwachen zu überrumpeln tragen die Soldaten afghanische Uniformen.
"Die haben uns nur an den Mutterflüchen erkannt, die unsere Jungs pausenlos vor sich hinbrüllten. Das war so eine Art Verteidigungsreflex bei denen. Aha, sollte das heißen, hier ist ein eigener Mann."

Michael Romanov leitete damals die KGB-Einheit Alpha, die auch die Hauptaufgabe des Unternehmens übernimmt: den in Moskau in Ungnade gefallenen afghanischen Präsidenten Hafisullah Amin zu liquidieren - kollektiv zu erschießen, wie es in der KGB-Sprache der Tage heißt. Kurz darauf überqueren Soldaten der Roten Armee die Grenze zu Afghanistan und besetzen das Land. Im Westen ist man entsetzt und rätselt über die Ziele Moskaus. War dies der erste Schritt zu den strategischen Ölreserven am Persischen Golf oder suchte die Sowjetunion einen eisfreien Meereszugang für ihre Flotte? US-Präsident Jimmy Carter wenige Tage nach der Invasion.

"Das was Breschnew mir antwortete war völlig unzureichend. Er gab vor, Moskau sei um Hilfe gerufen worden, um Afghanistan vor einer Bedrohung durch ein drittes Land zu schützen. Das war offenkundig falsch, denn Präsident Amin, der die Sowjets angeblich gerufen hat, wurde nach dem sowjetischen Coup ermordet."

Wie später bekannt wurde, wollte Moskau jedoch vor allem das kommunistische Regime in Kabul stabilisieren und so Unruhen in den muslimischen Sowjetrepubliken vorbeugen. Unumstritten war die Aktion auch im Moskauer Politbüro nicht. Während das Militär sie befürwortete, hatte sie KGB-Chef und Breschnew-Nachfolger Juri Andropow strikt abgelehnt. Er fürchtete den Imageschaden im Westen, der mit dem Boykott der Olympischen Spiele im darauf folgenden Jahr unübersehbar wurde. Doch auch das KGB hatte nicht mit dem afghanischen Widerstand gerechnet.

""Ja, natürlich können wir einen Guerilla-Krieg führen. Wir können eine Menge anderer Dinge tun, die wir hier nicht erwähnen können. Aber Sie werden es eines Tages in den Nachrichten hören, dass die Russen große Schwierigkeiten bekommen werden, Afghanistan zu unterwerfen","

prophezeite ein Sprecher der afghanischen Mujaheddin bereits einige Tage nach dem Einmarsch. Und tatsächlich zogen die sonst so zerstrittenen afghanischen Völker die Rote Armee in einen zähen Partisanenkrieg und das mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung aus den USA. Militärische Erfolge erzielten sie allerdings erst, als Washington im Herbst 1986 über Pakistan moderne Stinger-Raketen lieferte. Die Flugabwehrwaffen waren leicht zu bedienen und wurden zur tödlichen Gefahr für sowjetische Helikopter, die bis dahin das Kampfgeschehen dominierten.

""Soweit ich weiß, hat unser Land dieser Krieg jährlich sechs Milliarden Rubel gekostet, aber das Schlimmste waren natürlich die Opfer, die Menschen. Praktisch 14.000 sind gestorben, aber Zehntausende, vielleicht Hunderttausende wurden Krüppel. Und ich spreche nicht von dem psychologischen Faktor. Und außerdem, es wurde klar, dass der Partisanenkrieg, in diesem Fall Volkskrieg, nicht zu gewinnen ist","

sagt heute Karen Karagesjan, damals Afghanistanexperte im Moskauer Zentralkomitee. Im Kreml sollte diese Einsicht erst unter dem neuen Generalsekretär Michail Gorbatschow greifen. Sein Ende fand das militärische Abenteuer mit den Genfer Abkommen, die unter der Schirmherrschaft der UNO verhandelt und am 14. April 1988 von Afghanistan, Pakistan, den USA und der UdSSR unterzeichnet wurden. Sie regelten den Abzug der Roten Armee, die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan sowie die Rückkehr von Flüchtlingen und verpflichteten alle Parteien auf die Wahrung der nationalen Souveränität.

Zehn Monate später überschritt der letzte Soldat der Roten Armee die afghanische Grenze. Neben den 15.000 toten sowjetischen Soldaten hinterließ der Krieg etwa eine Million afghanische Opfer und 5,5 Millionen Flüchtlinge - rund ein Drittel der gesamten Bevölkerung des Landes.