Politisches Tabuthema als Thriller

11.04.2007
Die Kollaboration der französischen Behörden mit den Nazis während des 2. Weltkrieges behandelt der Roman von Tatiana de Rosnay. Auf einer zweiten Handelsebene in der Gegenwart stößt eine Journalistin bei der Recherche des Themas auf die schuldhafte Verstrickung der Familie ihres Mannes. Das Buch war in Frankreich ein Bestseller.
Die Schriftstellerin und Journalistin Tatiana de Rosnay ist eine wahre Kosmopolitin: Sie ist Französin, schreibt auf Englisch und ihre Großmutter war von 1925 bis 1949 Direktorin des Leningrader Puschkin Theaters.

In Deutschland ist Tatiana de Rosnay vollkommen unbekannt, obwohl sie bisher immerhin acht Romane veröffentlicht hat. Als erster wurde jetzt ihr neuester ins Deutsche übersetzt. "Sarahs Schlüssel" heißt er.

Im Zentrum des Romans steht die Kollaboration der französischen Behörden mit den Nazis während des 2. Weltkrieges. Die französische Polizei wurde zum willigen und übereifrigen Helfer der Deportation von Juden und deren Ermordung, - was lange ein Tabu-Thema in Frankreich war.

Der Roman beginnt am 16. Juli 1942. An diesem Tag durchkämmt die französische Polizei ganz Paris nach Juden. Die dramatische Handlung nimmt ihren Ausgangspunkt in einer Pariser Wohnung, eine Familie wird deportiert. Wir lernen die eine der beiden Hauptfiguren des Romans kennen, Sarah, die 10-jährige Tochter der Familie. Sie hat die Idee, ihren kleinen 4-jährigen Bruder Michel in einem verborgenen Wandschrank zu verstecken. Und um ganz sicher zu sein, schließt sie den Bruder ein und steckt den Schlüssel in die Tasche, in der Annahme, nicht in ein KZ, sondern bald wieder nach Hause zu kommen.

Dann wird Kapitel für Kapitel minutiös der Leidensweg des Mädchens in ein französisches KZ beschrieben, während der Leser mit seinen Gedanken bei dem Schicksal des Vierjährigen in dem Wandschrank bleibt. Das hat Stephen-King-Dimensionen.

Ein zweiter Handlungsstrang beginnt im Jahr 2002. Die Ich-Erzählerin des Romans, - eine amerikanische Journalistin mit einem Pariser Architekten verheiratet -, wird von ihrem Chefredakteur in Paris auf die Geschichte der Deportation angesetzt. Und langsam stellt sich heraus, dass die französische Familie ihres Mannes zu den Profiteuren der Juden-Deportation des 16. Juli 1942 gehört hat und engstens mit dem Schicksal von Sarahs Familie verbunden ist.

Das Buch vereint Elemente des historischen Romans, des Recherche-Romans, und, wie immer bei Tatiana de Rosnay, Elemente des psychologischen Romans, - denn die Ich-Erzählerin ist zum Zeitpunkt der Recherche schwanger, während ihr Ehemann sie zwingen will, das Kind abzutreiben. Es entsteht eine Parallele zu 1942, zu einer Entscheidung über Leben und Tod.

"Sarahs Schlüssel" zeichnet sich durch einen enormen Sog aus.
Die Strukturebene ist absolut konsequent durchgehalten, die beiden Handlungsstränge wechseln zwischen 1942 und 2002. Spricht die 10-jährige Sarah, explodiert ein atemloses Stakkato von Hauptsätzen, spricht die Journalistin, dann tut sie das meist kühl reflektierend, dann allerdings auch wieder emotional extrem extrovertiert und persönlich.

Der Leser darf einen schriftstellerisch höchst professionell umgesetzten Roman mit sehr vielen sprachlichen Höhepunkten erwarten, die Beschreibung des Gestanks in dem Kinder-KZ zum Beispiel erinnert in ihrer Intensität an "Das Parfüm" von Patrick Süßkind.

"Sarahs Schlüssel" hat sich in Frankreich mittlerweile weit über 60.000 Mal verkauft. Und schon vor der Veröffentlichung in Frankreich haben sich Verlage in 15 Ländern die Rechte an dem Roman gesichert.

"Sarahs Schlüssel" ist ein Thriller, politisch wie psychologisch, und es ist mit Sicherheit nur eine Frage der Zeit, bis wir "Sarahs Schlüssel" auch auf der Kinoleinwand zu sehen bekommen werden. Dieser Stoff wird auch international seinen Weg machen.

Rezensiert von Lutz Bunk

Tatiana de Rosnay: "Sarahs Schlüssel"
Bloomsbury Berlin Verlag 2007, 350 Seiten, 19.90 €
Aus dem Englischen übersetzt von Angelika Kaps