Politische Berichterstattung

Journalismus als Spektakel

04:25 Minuten
Illustration einiger Mikrofone, darüber Sprechblasen: Yes! Wow! No!
Die seriösen Zeitungen scheinen sich bei ihrer Politikberichterstattung immer mehr die Regenbogenpresse zum Vorbild zu nehmen, kritisiert Bodo Morshäuser. © imago / Panthermedia
Ein Einwurf von Bodo Morshäuser · 18.12.2019
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Kampfbegriffe, Personifizierung und Dramatik: In der politischen Berichterstattung gehe es nicht mehr um Inhalte, kritisiert der Schriftsteller Bodo Morshäuser. Politik als Drama und Schicksalsstory zu vermitteln, sei gefährlich.
In der SPD tobe ein "Kulturkampf", die Lager beider Final-Teams operierten mit bösen Unterstellungen und schmutzigen Tricks, schrieb der "Spiegel". "Querulanten" und "Klassenkämpfer" verteilten "Tritte in die Kniekehle", schrieben andere. Die neuen Vorsitzenden seien "farblos", "unerfahren", "Kreisliga", "Personal aus der dritten Reihe" und "gefährlich". Ich las die Überschrift "Mit Karacho in den Abgrund" oder, in der FAZ: "Die SPD schafft sich ab".
Etablierte Medien haben nicht erst seit der Wahl der neuen SPD-Spitze ein Gesicht gezeigt, vor dem man sich langsam fürchten kann. Ich las Schlachtenbeschreibungen, Geschichten über Kränkungen und versteinerte Mienen, zerstörte Hoffnungen und fiese Absichten.
Aber ich habe wenig über politische Inhalte gelesen und sehr weniges, was über Schlag- und Reizwörter hinausging. Nichts über den Zusammenhang von Künstlicher Intelligenz und solidarischem Grundeinkommen. Nichts über den Zusammenhang von Steueroasen, Staatshaushalten und Investitionen. Nichts, was eine inhaltliche Debatte spiegeln würde. Stattdessen scheinen Teile der einflussreichsten Printmedien einen Wettlauf mit der Regenbogenpresse aufzunehmen, indem sie Politik als Geschichte privater Schicksalsschläge erzählen.

Hans-Georg Maaßen als "rechter Posterboy"?

Warum tun sie das? Warum rasten sie förmlich aus, sobald die große Koalition zu zerbrechen droht? Treibt sie vielleicht die Angst, ihre eigenen Netzwerke könnten wertlos werden und damit sie selbst?
Am Rand eines dieser Artikel fiel die Formulierung auf, Hans-Georg Maaßen sei ein "rechter Poster-Boy". Klingt irgendwie niedlich, aber man merkt, da passt irgendwas nicht. Auch beim jüngsten Parteitag der AfD traten übrigens Flügel gegeneinander an. Halb so Rechte verloren reihenweise gegen äußerst Rechte. Davon wurde ähnlich inhaltsfrei berichtet wie vom Parteitag der SPD. Es gab weniger Untergangsphantasien. Mit der AfD kommt man wohl besser klar.
Wenn sich maßgebliche Berichterstatter und Kommentatoren darauf einigen, Politik ohne politische Inhalte zu beschreiben, dann sind sie ein Teil des Problems, vielleicht sogar das zentrale Problem.
Und wenn einer der politischsten Sätze aus jüngster Zeit lautet, nicht mehr die SPD, sondern die AfD sei jetzt die Partei der Arbeiter, dann wird es gefährlich.

Desinformation durch Inhaltsleere

Anstatt Rechtsradikale als Poster-Boys zu verniedlichen, könnte man recherchieren, was auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zukommen würde, wenn die AfD die Richtlinien der Politik bestimmen würde. Man könnte die Pläne dieser Partei öffentlich machen und aus ihrem Grundsatzprogramm zitieren:
Alle Gelder für Klimaschutzprogramme: streichen. Tempo-30-Zonen in Städten: abschaffen. Erbschaftssteuer: abschaffen. Öffentlich-rechtlichen Rundfunk: abschaffen. Man könnte auch sagen, wovon diese Partei schweigt. Seit Jahren verhindern interne Flügelkämpfe, dass sie ein Rentenkonzept vorlegt. Kein Wort zu kommenden Veränderungen am Arbeitsmarkt. Schon deshalb kann dies niemals die Partei der Arbeitenden sein. Und nichts über Probleme, die international gelöst werden müssen: kein Wort zu global operierenden Unternehmen, die sich nationalen Steuergesetzen entziehen. Der Horizont der AfD endet stramm an der deutschen Grenze.
Das ist nicht die Partei der Posterboys, und die SPD besteht nicht aus Klassenkämpfern. Journalistische Leitmedien sollten sich vom Politkitsch verabschieden und Politik wieder mit politischer Berichterstattung würdigen. Angesichts beider Parteitage mag die SPD als selbstzerstörerische Klassenkämpferpartei dargestellt worden sein, die die Internationale singt, aber dass die völkisch orientierte und an deutschen Arbeitnehmerinteressen völlig desinteressierte AfD wenige Tage zuvor in den weichsten Tönen davonkommt, das macht diese Art von Propaganda, die den Anspruch hat, Journalismus zu sein, langsam gefährlich.

Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Er hat etliche Romane, Gedichte und Erzählungen veröffentlicht, beispielsweise: "Und die Sonne scheint" (Hanani-Verlag) und "In seinen Armen das Kind" (Suhrkamp). Zudem beschäftigt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus.

© Charlotte Wander
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