Politiker per App buchen

Heidelbergs OB kennt keine Berührungsängste

Oberbürgermeister Würzner und Schüler auf dem Pump-Track.
Der Heidelberger Oberbürgermeister Würzner und Schüler auf dem Pump-Track. © Deutschlandradio / Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 25.07.2017
Das ist bürgernah: In Heidelberg können die Einwohner den Terminkalender ihres Oberbürgermeisters mitbestimmen. Über eine Webseite oder eine App können die Bürger Projekte vorschlagen und darüber abstimmen lassen - mit dieser Idee hat der OB sogar Aufmerksamkeit aus den USA bekommen.
Lipp: "Okay. Herzlich Willkommen in der IGH Rad-AG. Ich begrüße ganz recht herzlich unseren Oberbürgermeister Professor Doktor Würzner."
Eines muss man Harry Lipp lassen, dem Leiter der Rad-AG der Internationalen Gesamtschule Heidelberg, kurz IGH: Höflich ist er. Freitag, kurz nach eins. Drückend heiß ist es. Der guten Laune in der Fahrradwerkstatt von Heidelbergs größter Schule tut das keinen Abbruch. Es kommt ja auch nicht alle Tage vor, dass so hoher Besuch vorbeischaut.
Junge: "Der is eigentlich voll gechillt, ja."
Konstatiert Sam, einer der Schüler der Rad AG. Verstohlen schaut er zum OB rüber. Hatte er sich anders vorgestellt – so einen Politiker. Irgendwie formeller. Seit einem Jahrzehnt leitet Eckart Würzner die Geschicke der Neckarmetropole. 2014 wurde der Parteilose wieder gewählt: Mit über 88 Prozent. Ein Vollblutpolitiker, offen und experimentierfreudig. Auch, was seinen Terminkalender angeht. Seit 2015 können die Heidelberger über #HolDenOberbürgermeister im Netz Projekte vorschlagen und darüber abstimmen. Wer die meisten Stimmen hat, bekommt Besuch vom OB. So wie Harry Lipp und seine Schützlinge heute.
Lipp: "Ich hab natürlich Werbung gemacht – auch mit Schuldurchsagen, obwohl ich die überhaupt nicht gerne mache. Um Schüler zu mobilisieren. Und auch Eltern und Freunde. Wir haben da richtig Gas gegeben. Da kamen in relativ kurzer Zeit, glaub ich, knapp 190 Votings zu Stande."

Der OB tritt auch in die Pedale

Lipp, ein durchtrainierter Typ, der mit seinem Mountainbike schon die Alpen durchquert hat, stapft mit dem OB los: Raus aus dem Schulgelände – zum Pump Track.
Mit einem Affenzahn rasen die Schüler über den Pump-Track, einer Art Achterbahn für Räder. Stehend. Dadurch werden nicht nur die Muskeln trainiert, doziert Lipp, sondern auch die Geschicklichkeit. Würzner hört interessiert zu. Und schreitet zur Tat.
Würzner: "Gut. Fahr ich dann mal schnell. Und dann gehen wir zurück."
Lipp: "Ja, OK. Fahren sie ohne Helm?"
Würzner: "Näh!"
Es läuft ganz gut für Harry Lipp. Dass der OB in die Pedale treten würde: Darauf hatte er insgeheim spekuliert. Vielleicht legt Würzner ja ein gutes Wort ein für sein Anliegen, einen zweiten Pump-Track zu bauen: Auf dem Schulhof, damit die Schüler auch in der Pause oder im Sportunterricht ihre Runden drehen können – und nicht erst nach Schulende.
Würzner: "Es geht nicht darum, Geschenke zu machen; politische Geschenke zu machen. Sondern den offenen Diskurs auch mit der Bevölkerung zu suchen."

Faible für Porzellan-Elefanten

Erläutert Eckart Würzner, wieder zurück im Heidelberger Rathaus, einem wuchtigen Bau mit knarzenden Dielen und endlosen Gängen. Sein Amtszimmer kündet von ausgeprägtem Ordnungssinn - und einem Faible für Porzellan-Elefanten als Glücksbringer auf dem Schreibtisch. Mehr als 25 Projekte hat der 55-jährige in knapp drei Jahren besucht – und sich bei der Gelegenheit mit Hundebesitzern unterhalten, die mit ihren Vierbeinern weiter am Neckar Gassi gehen wollen – und dem Cannabis Social Club. Die Gruppe will Cannabis für den Eigenbedarf anbauen.
Plakate von #HolDenOberbürgermeister
Plakate von #HolDenOberbürgermeister © Deutschlandradio / Michael Frantzen
Würzner: "Ist das jetzt für eine Stadt wichtig oder nicht? Es ist wichtig, wenn sich Teile der Bevölkerung damit auseinandersetzen wollen, dass wir das auch machen. Von daher: Das is auch nen ganz klares politisches Statement. Sich mit dieser Art unmittelbar auch mit der Bevölkerung direkt im Diskurs zu treffen und auch sich dem Diskurs zu stellen. Und ich glaub, das ist auch, was es so interessant macht – für viele. Doch zu erfahren: Mensch, der ist ja erst mal unvoreingenommen. Man erwartet ja auch nicht gleich, dass ich gleich mit Geld komme und sage: Ja, das können wir sofort machen. Aber das man überhaupt gehört wird: Das spielt ne enorme Rolle."
Huber: "Die zündende Idee war sicher einfach, dass Thema Bürgerbeteiligung nen bisschen moderner zu gestalten."
Ergänzt Nicole Huber, Referatsleiterin des Oberbürgermeisters und - wenn man so will - geistige Mutter der ganzen Aktion.
Huber: "Nicht nur immer in irgendwelchen Runden hier im Rathaus, mit den gleichen Menschen, die sich dafür interessieren, sondern einfach insbesondere auch junge Leute unter 25 dazu begeistern, sich hier in der Stadt am Geschehen zu beteiligen."

Palo Alto will das Modell kopieren

Letztens war Huber in Palo Alto, Heidelbergs Partnerstadt, um ihr Projekt vorzustellen. Ein niederschwelliges Mitmach-Angebot made in Germany: Ihre Gesprächspartner in der inoffiziellen Hauptstadt des Silicon Valleys kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Das blieb nicht ohne Folgen: Palo Alto will das Heidelberger Modell kopieren.
Huber: "Das ist für uns auch nen Stück weit nen Barometer und son Tool einfach um zu sehen: Wo brennt’s gerade? Wo haben die Leute auch wirklich neue Ideen. Weil: Es ist ja wirklich so: Wir können ja auch nicht an alles denken. Es gibt ein Thema, was sich wirklich sehr gut entwickelt hat, da hat einer gewonnen, der hat eine Initiative, die nennt sich: Open-Data. So hieß auch das Projekt. Der hat auch sehr viele Stimmen gesammelt. Diese ganzen frei verfügbaren Daten; dass wir sie auch verfügbar machen. Und was hat sich daraus entwickelt?! Mittlerweile arbeitet der junge Mann bei uns."
Rack tippt auf Computer, sagt: "Kann man auch auf Englisch gehen. Wir sind ja sehr international hier."
Ab und zu schaut sich Oliver Rack, der junge Mann, von dem gerade die Rede war, im Netz an, welche Projekte sich gerade für einen Besuch des Oberbürgermeisters bewerben – auf der deutschsprachigen Website oder der englischen unter #Getthemayor. Diesmal ist auch wieder eine Netz-Initiative dabei, doch sie hat nur wenige Stimmen. Bei ihm war das noch anders. Knapp hundert Stimmen bekam sein Regional Cluster Open Data beim Voting vor zwei Jahren. Offene Daten, frei verfügbar: Für den Nerd eines der Zukunftsthemen.
Rack: "Man kann bei den heutigen Ansprüchen an Komplexitäten, von Lösungen aller Art, ob’s jetzt digitale sind, aber auch analoge Lösungen, gar nicht mehr erwarten, dass das aus einer Kompetenz heraus kommt. Sondern dass es eben ne Vernetzung geben kann. Das kann’s nur geben, wenn sich die jeweiligen Sektoren öffnen zueinander und zusammenarbeiten."

Alte Kasernenräume werden genutzt

Racks Büro ist ein paar Türen von dem des Oberbürgermeisters entfernt. Hätte er sich auch nicht träumen lassen: Dass er einmal im Rathaus arbeiten würde – als Experte für Digitales und Offene Daten. Schwarz gekleidet schaut er vom Computer hoch. Richtig reingehängt hat er sich damals. Für sein Open Data Initiative. Andere überzeugt. Es war ihm eine Lehre.
Rack: "Dass Demokratie eben kein Selbstbedienungsladen ist. Wo man einfach hingeht: Man hat ne Idee, wo man meint: Das müssten die Entscheider jetzt sofort gut finden und sofort als relevant einordnen. Sondern dass es wirklich auch darum geht, dass Mehrheiten, kritische Massen, erzeugt werden müssen. Man muss dafür sorgen, dass es auch wirklich ne Relevanz hat; dass es auch eben ne ordentliche Reichweite bekommt."
Eine ordentliche Reichweite hatten auch sie hier:
Dennis: "Man darf, glaube ich, wenn man in son Projekt zieht, nicht besonders Lärm-empfindlich sein. Die Wohnungen sind so oder so hellhörig. Das gehört zum gemeinschaftlichen Wohnen auch dazu; dass man das eben auch nen bisschen sucht und vor allem auch aushält, wenn’s mal ungewöhnlich laut wird."
Donnerstagvormittag, die Südstadt von Heidelberg. Das Mark Twain Village. Beziehungsweise das, was vom Dorf noch übrig geblieben ist, seitdem die US-Armee abgezogen ist. Überall wird gebuddelt, renoviert, umgebaut. Auch zu Hause bei Dennis Dietz von der Hagebutze.
Dennis: "Hagebutze – das ist nen gemeinschaftliches Wohnprojekt. Das angeschlossen is an nen Deutschlandweiten Verbund von Wohnprojekten, der sich Miethäuser-Syndikat nennt."
Der junge Theologe ist einer der ersten, der schon in das fünfstöckige Gebäude eingezogen ist. Hat ganz gut geklappt – der Umzug. Trotz Baustelle. Dennis Wohnung liegt im zweiten Stock: Ein großes, lichtdurchflutetes Wohnzimmer; Küche, mehrere Schlafzimmer: An Platz mangelt es dem Familienvater nicht. An Austausch auch nicht. In der umgebauten Kaserne entstehen gemeinsame Arbeits- und Proberäume. Alles selbstverwaltet, erläutert Dennis Mitstreiter Paul Pfeifer.
Paul: "Der gesellschafts-politische Anspruch ist auf jeden Fall der des Schaffens von mietgünstigem Wohnraum. Und diesen gesellschafts-politischen Anspruch haben wir auch eigentlich alle unsere Entscheidungen bezüglich der Sanierung und auch nen Großteil der Gestaltung dieses Projektes untergeordnet. Also wir haben in der Sanierungsphase wirklich geschaut, dass wir so günstig wie möglich sanieren. Es ist schon so, dass alles realisiert werden kann, was zu nen gutem Wohnen dazu gehört, aber das eben zum Beispiel erst mal keine Balkone angebaut wurden. Dass man bei jeglicher Gestaltung schaut: Gibt’s da nicht vielleicht auch kreative, gute Lösungen, wie man was günstig machen kann? Zum Beispiel haben wir uns dafür entschieden nur einen Stromzähler für die ganzen sechzig Bewohnenden zu haben."

In Heidelberg sind Wohnungen Mangelware

Das drückt die Kosten: Drei Millionen Euro haben Kauf und Umbau gekostet. Kreditfinanziert. Fünf Jahre haben Paul und die anderen nach einer passenden Bleibe besucht – lange vergeblich. Ähnlich wie in München oder Berlin sind Wohnungen in Heidelberg Mangelware und dementsprechend teuer. Umso größer die Freude, als ihnen die Stadt das Wohngebäude in der ehemaligen US-Kaserne verkaufte. Mit zu verdanken haben sie das dem OB; seinem Besuch vor zwei Jahren im Rahmen von #HolDenOberbürgermeister.
Dennis: "Es ist natürlich ne Aktion, von der sowohl die Projekte als auch der Bürgermeister ne gewisse PR haben. Is die Frage, ob das verwerflich is. In jedem Fall schafft es Kontakte zwischen Institutionen der Stadt und Projekten und schafft dafür auch ne Öffentlichkeit. Kann man vielleicht auch nen Marketing-Gag darin sehen, is ja auch wirklich groß aufgezogen worden. Für uns persönlich war’s auf jeden Fall nen Gewinn."
Würzner: "So! Kommt mal aller hier nen bisschen her."
Noch einmal zurück zur IGH, der Gesamtschule. Es ist kurz vor zwei – und damit Zeit: Für ein Fazit des Oberbürgermeisters.
Würzner: "Muss ich ehrlich sagen: Chapeau. Fantastisch. Freu mich immer, wenn’s son aktives Kollegium gibt, was Ideen nach vorne bringt. Und was sich auch wirklich damit auseinander setzt, was man mal auf dem Schulhof verändern kann."
Ein zufriedener OB – das ist schon mal die halbe Miete. Harry Lipp, der Leiter der Rad AG, lächelt. Jetzt muss nur noch sein Rektor, Werner Giese, mitspielen. Damit es etwas wird mit dem Pump Track auf dem Schulgelände. 60.000 Euro würde das kosten. Eckart Würzner hat auch schon eine Idee. Extramittel – nein, meint er, die werde es nicht geben. Aber vielleicht könnte das Geld ja aus dem bestehenden Topf abgezweigt werden, den die Stadt der Schule für Renovierungsarbeiten bereitstellt. Langsam dreht sich der OB zum Rektor. Müsste doch möglich sein - oder?!
Giese: "Wir müssen nen Kompromiss schließen. Richtig. Genau das. So is es immer.
Würzner: "Okay. Also, habt ihr das gehört?"
Schüler: "Jaaaaaaa!"
Würzner: "Der Rektor hat gesagt, er könnte sich das vorstellen. Dass er seine Pläne noch mal ändert."
Giese: "Ich kann mir das vorstellen."
Mehr zum Thema