Politik bei Familiennachzug-Sprachtest "nicht in Zugzwang"

Bilkay Öney im Gespräch mit Ute Welty · 06.08.2011
Die Integrationsministerin von Baden-Württemberg, Bilkay Öney (SPD), sieht bei den Sprachtests für Familiennachzügler keinen Bedarf einer gesetzlichen Nachbesserung. Die Stellungnahme der EU-Kommission sei rechtlich nicht bindend, sagte sie mit Blick auf einen Fall in den Niederlanden, der keinen Präzedenzfall geschaffen habe.
Ute Welty: Deutschland und die Europäische Union, das ist eine ebenso lange wie schwierige Verbindung. Die deutschen Glücksspielregelungen verstoßen gegen EU-Recht genau wie die deutsche Vorratsdatenspeicherung oder Teile der Riester-Rente. Erheblicher Nachbesserungsbedarf könnte wohl auch bestehen, wenn es darum geht, dass Ausländer Familienmitglieder nach Deutschland holen.

Das klingt nach jeder Menge juristischem Ärger, auf den sich auch Bilkay Öney einstellen muss, Integrationsministerin von Baden-Württemberg. Guten Morgen!

Bilkay Öney: Guten Morgen!

Welty: Sehen Sie die Lage ähnlich problematisch wie die eben zitierten Experten der Europäischen Union

Öney: Na ja, es gab diesen Einwand, seit es diesen Sprachtest gibt. Aber da gibt es inzwischen auch Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts und die sehen die Neuregelung zu den Sprachkenntnissen beim Ehegattennachzug als verfassungsmäßig an. Insofern gibt es verschiedene Auffassungen. Und das Problem besteht auch darin: Es gibt eine Stellungnahme der EU-Kommission, aber es gibt keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Insofern sind die deutschen Gerichte oder die deutsche Politik jetzt auch nicht in Zugzwang.

Welty: Aber zwischen all diesen Juristen müssen Sie sich ja auch eine persönliche Meinung gebildet haben?

Öney: Ja, es stimmt, ich war ein bisschen kritisch und skeptisch, als dieser Sprachtest vor der Einreise eingeführt wurde. Weil Sie wissen: Wir haben das Zuwanderungsgesetz, das ist im Jahr 2005 in Kraft getreten, und mit dem Zuwanderungsgesetz gibt es auch die Verbindlichkeit, an sogenannten Immigrationskursen teilzunehmen. Insofern war es nicht verständlich, warum der Gesetzgeber im Jahr 2007 gesagt hat, so, jetzt müssen die aber schon vor der Einreise, die Ehegatten müssen vor der Einreise Deutsch lernen. Ich glaube, das ist ein hilfloser Versuch, die Heiratsmigration zu begrenzen. Man hat ...

Welty: ... inwieweit hilflos?

Öney: Insoweit hilflos, weil die Heiratsmigration am Anfang, nach dieser gesetzlichen Regelung stagnierte und auch zurückgegangen ist, also ihr Ziel erreicht hat, aber sich dann wieder stabilisiert hat. Ich kann Ihnen jetzt leider keine Zahl nennen, tatsächlich gibt es Berichte vom Goethe-Institut aus der Türkei, die eben berichten, dass Frauen den Test absichtlich nicht bestanden haben, um eben nicht zur Familie nach Deutschland oder wo auch immer einreisen zu müssen.

Das gibt es, aber der Familiennachzug oder die Familienzusammenführung wird ja nicht deutlich erschwert, sondern wenn diese Menschen nachweisen können, dass sie einfache Sprachkenntnisse haben, dann können sie auch zum Ehegatten nachziehen.

Welty: Das niederländische Beispiel spricht aber eine andere Sprache.

Öney: Ja, aber dann hätte der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung fällen müssen. Es gibt nur eine Stellungnahme und diese Stellungnahme ist rechtlich nicht bindend.

Welty: Tatsache ist aber, dass diese afghanische Frau inzwischen bei ihrer Familie ist in den Niederlanden, dass die Niederländer sozusagen vorauseilenden Gehorsam gezeigt haben.

Öney: In dem Fall der Afghanin war das, glaube ich, so, dass sie eine Analphabetin war, wenn ich das richtig verstanden habe. Insofern ist das, glaube ich, auch eine Ausnahmeregelung.

Welty: Das heißt, Sie rechnen damit, dass es sich um einen Einzelfall handelt, der in Deutschland und im übrigen Europa nicht Schule machen wird?

Öney: Zumindest hat dieser Fall in den Niederlanden keinen Präzedenzfall geschaffen, weil es eben keine Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof gegeben hat. Wenn es jetzt andere Klagen gäbe oder geben würde, in denen der Europäische Gerichtshof zu einer anderen Entscheidung käme oder dann eine Entscheidung vorläge, dann gäbe es tatsächlich einen Präzedenzfall, und auch dann wären wir in Deutschland gezwungen, eine andere Rechtsprechung herbeizuführen.

Welty: Inwieweit würden Sie sich dann auf diese Rechtsprechung einstellen, was könnte da an gesetzlichen Veränderungen passieren?

Öney: Also, es ist jetzt ein bisschen Stochern im Nebel. Also, in Deutschland gab es ja auch Klagen, aber die wurden eben vom Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Wenn der Europäische Gerichtshof oder die Europäischen Menschenrechtskonvention zum dem Ergebnis kommen, dass diese Sprachkenntnisse die Familienzusammenführung behindern, tatsächlich behindern, dann müssten wir in Deutschland auch diesen Sprachtest vor der Einreise abschaffen. Und das wäre dann eine Veränderung im Aufenthaltsgesetz, das ist der § 30, Ehegattennachzug.

Welty: Wie passt das zusammen mit einem Satz, den Sie immer ganz oben stehen hatten auf Ihrer Agenda: Politik muss dafür sorgen, dass Immigranten keine Steine in den Weg gelegt werden?

Öney: Na ja, es sieht so aus, als ob es Steine sind und tatsächlich hat man diesen Sprachtest ja eingeführt, weil man die Heiratsmigration behindern wollte. Aber ich sagte bereits, das ist ein hilfloser Versuch gewesen, weil, es gibt ja weiterhin Heiratsmigration, es gibt ja weiterhin Menschen, die nach Deutschland kommen wegen einer Eheschließung. Insofern ist das jetzt zwar eine kleine Gemeinheit, die der Gesetzgeber vorgenommen hat, aber die meisten Menschen bestehen auch diesen Sprachtest und können einreisen.

Welty: Und Sie können mit dieser kleinen Gemeinheit leben?

Öney: Solange ich jetzt keine andere rechtliche Handhabe habe und solange mich die Gerichte nicht zwingen, müssen wir damit umgehen. Es gibt Stellungnahmen beziehungsweise Anträge, die Grünen im Bundestag haben einen Antrag eingebracht, die wollen den Sprachtest vor der Einreise gerne abschaffen. In der SPD gibt es andere Auffassungen, also, das ist umstritten, auch da gibt es Leute, die sagen, der Sprachtest vor der Einreise sollte abgeschafft werden. Es gibt aber auch andere, die sagen, der Sprachtest sollte bestehen bleiben, weil eben die Sprache auch der Schlüssel für Integration ist.

Und bisher habe ich keine großen Beschwerden von ausländischen Vereinen gehabt. Ich bin damals auch auf die Straße gegangen 2007, als dieses Gesetz eingeführt wurde, aber ich merkte auch, dass wir ziemlich alleine auf der Straße waren. Damals habe ich noch ganz ketzerisch in Richtung türkischer Medien gesagt, passt mal auf, ich gehe hier für euch auf die Straße, ich muss ja keinen Türken heiraten, ich hätte mir ein bisschen mehr politische Beteiligung von euch gewünscht. Also, da muss auch der Druck von unten kommen.

Welty: Noch mal die Frage: Sie können mit dieser kleinen Gemeinheit leben?

Öney: Ich kann damit leben, ja.

Welty: Bilkay Öney, Integrationsministerin von Baden-Württemberg im Interview der "Ortszeit", danke dafür!

Öney: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Sie könne mit dem Sprachtest vor dem Familiennachzug leben, sagte Öney.© AP Archiv
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