Pointenreiche Überraschungen von umwerfender Komik

01.11.2007
Der große Filmregisseur Woody Allen, dem wir so unvergessliche Herrlichkeiten wie "Manhattan" und "Der Stadtneurotiker", wie "Zelig" und "Hannah und ihre Schwestern" verdanken, er war immer auch ein Schreibender, man könnte sogar sagen: ein Schriftsteller.
Tatsache ist, dass der 1935 in Brooklyn Geborene bereits mit 15 seine ersten Gags verfasste. 1960 startet er seine Karriere als Stand-up-Comedian, der sich die Texte selber schrieb. Und nur wenige Jahre später, noch vor dem Durchbruch als Filmregisseur, begann er, für den "New Yorker" Kurzgeschichten zu liefern, eine mal mehr, mal weniger regelmäßig vollzogene Tätigkeit, bei der er bis heute geblieben ist.

Jetzt ist es wieder so weit: Mit einer Sammlung von 18 Erzählungen, die sämtlich in den letzten Jahren seit der Jahrtausendwende entstanden sind, tritt Woody Allen erneut als Autor vor sein Publikum.

Der Band ist etwas irreführenderweise mit "Pure Anarchie" überschrieben, obwohl keine der Erzählungen so heißt und das Thema Anarchie auch eigentlich keine Rolle spielt. Trotzdem dürfte der Titel in des Autors Sinne sein, heißt doch auch die amerikanische Originalausgabe "Mere Anarchy". Vielleicht hat Woody Allen mit dem Begriff Anarchie das turbulente Geschehen, die oft bis ins Absurde hinaufgeschraubte Phantastik, ja sogar einen gewissen, von ihm offenbar nicht zu unterdrückenden Hang zu Kalauerei und Blödsinn bezeichnen wollen, denn das alles kennzeichnet diese Texte.

Jedenfalls geht es in sämtlichen der 18 Stücke hoch her. Da werden die haarsträubendsten Dinge wie Levitation und Entmaterialisierung mit der größten Selbstverständlichkeit betrieben. Da wird entführt und belogen und betrogen. Da zahlen irgendwelche Durchgeknallte horrende Summen für Lebensmittel wie weiße Trüffel, während andere wahnwitzige Diätvorschriften entwerfen oder hanebüchene Musical-Szenarios skizzieren.

Und immer ist das Erzähltempo rasant. Immer ist eine Fülle von Witzen und Gags in die meist nicht mehr als 20 Seiten umfassenden Geschichten eingebaut. Und immer ist es der unverwechselbare Woody-Allen-Ton, der einem entgegenschallt, dieser gehetzte, gewitzte Ton des Stehaufmännchens New Yorker Prägung am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Allerdings wäre Woody Allen nicht der, als den man ihn kennt, wenn nicht hinter dem überbordenden Einfallsreichtum, hinter der oft wirklich umwerfenden Komik ein Abgrund an Melancholie sich auftäte. Schaut man näher hin, so handeln im Grunde alle Erzählungen, die hier versammelt sind, von einem bestimmten Typus Mensch, der an den Verhältnissen, wie sie heute im hochtourigen Kapitalismus geschaffen werden, scheitert. Dieser Typus ist der "tragische Intellektuelle", wie sich der Autor, nicht ohne Spott und Ironie, mehrfach diesen Typus zu bezeichnen erlaubt, einen Typus, dem Woody Allen selber nicht ganz unähnlich sehen dürfte.

Daher ist es auch kein Zufall, wenn viele der sogenannten Helden in diesen Erzählungen erfolglose Schauspieler, Regisseure, Literaturwissenschaftler oder Schriftsteller sind. Sie schweben meist ein wenig in den Wolken, stolpern naiv und gutgläubig durch den Irrsinn unserer Zeit, auf die sie sich nicht so recht einen Vers machen können, weshalb sie in das heilloseste Durcheinander geraten, das man sich vorstellen kann.

Doch da der Autor seinen Figuren keine lange Entwicklung angedeihen lässt, da die Erzählungen meist nur aus einer Situation bestehen, die mit viel Sinn für Unvorhergesehenes, für pointenreiche Überraschungen ausgemalt ist, gehen die Geschichten meist gut aus und die Schlinge lockert sich, die das Schicksal um all die Loser und Hallodris geschlungen zu haben schien. Man kann sich also als Leser ganz an dem großen Wortwitz dieser Texte erfreuen. Man wird sich durch einen gut gebauten Jux unterhalten fühlen - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Rezensiert von Tilman Krause

Woody Allen: "Pure Anarchie"
Übersetzt von Malte Krutzsch
Kein & Aber Verlag 2007
191 Seiten, 17.90 Euro