Platznot in Sofia

Von Dirk Auer und Simone Böcker · 12.05.2012
Bulgarische Muslime zeigen ein reges Interesse an ihrer Religion. Das stößt aber auf Ressentiments bei Nicht-Muslimen, was sich vor allem in der Politik zeigt: Ein Moscheebau, der sich verzögert, eine Durchsuchung wegen Terrorverdacht oder Schlägereien mit Rechtsradikalen.
Es ist Freitag im Zentrum von Sofia: Der Muezzin ruft zum Abendgebet. Einige Hundert Menschen haben sich vor der Banja Baschi Moschee versammelt, geduldig warten sie am Eingang auf einen Platz im Inneren. Auch Murat Pingov, der Mufti der Region Sofia, ist gekommen, ein schmaler Mann mit dunkelblondem Haar und einer randlosen Brille:

"Das ist die einzige Moschee in Sofia, in sie passen 700 bis 800 Menschen. Es kommen aber manchmal bis zu 1000 Muslime, und die können wir einfach nicht drinnen unterbringen. Deswegen beten viele draußen auf dem Bürgersteig, wir können sie nicht wegschicken. Es ist für uns nicht sehr angenehm zum Beispiel im Winter bei minus zehn Grad zu beten. Oder im Regen. Wir brauchen deshalb dringend eine zweite Moschee."

In der Moschee bahnt sich Pingov seinen Weg durch die bemalte Kuppelhalle in einen der hinteren Büroräume. Den Bau eines zweiten Gotteshauses in Sofia beantragt die muslimische Gemeinde bereits seit Jahren, ebenso einen muslimischen Friedhof. Doch bislang erfolglos:

"Im Rathaus gibt man uns einfach keine Antwort. Eine zweite Moschee in Sofia - das ist ein sehr heikles Thema, das jeder Bürgermeister gerne an den nächsten weitergibt. Jeder versucht, die Angelegenheit so lange wie möglich hinauszuzögern, auch wenn der Bedarf klar auf der Hand liegt. Ich denke, sie haben einfach Angst, Wählerstimmen zu verlieren. Weil es diese Furcht gibt, dass Bulgarien sich islamisiert."

Entsprechende Ängste werden vor allem von nationalistischen und rechtsextremen Kräften ausgenutzt. Immer wieder rufen sie zu Protesten gegen die betenden Menschen auf den Bürgersteigen auf. Vor einem Jahr kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen: Anhänger der rechtsextremen Partei Ataka hatten beim Freitagsgebet gegen die Lautsprecher vor der Moschee protestiert. Es folgten Handgreiflichkeiten, dann flogen Steine, und es gab Verletzte:

"Die Ereignisse am 20. Mai vergangenen Jahres waren für uns ein Wendepunkt. Sie haben einen großen Riss zwischen Christen und Muslimen hinterlassen. Unsere Rechte wurden verletzt, aber es gab keinerlei juristische Folgen. Deswegen fangen die Muslime an, sich in ihrem eigenen Land ausgestoßen zu fühlen. Auch wir sind bulgarische Bürger, auch wir zahlen Steuern. Aber wenn einmal etwas für uns getan werden soll, dann kümmert sich niemand darum. Ja, wir fühlen uns benachteiligt."

Im alltäglichen Zusammenleben gibt es hingegen keine Probleme, betont Murat Pingov. Das ist vor allem der Fall in den ländlichen Regionen, in denen die meisten bulgarischen Muslime leben: In der Donauebene im Nordosten des Landes und im südlichen Rhodopengebirge. Doch auch hier werden Muslime schnell zu Opfern der Stimmungsmache von Medien und Politik: Die Islamisierung ganzer Regionen drohe, immer mehr Moscheen in den Dörfern würden unter dem Einfluss islamistischer Organisationen aus dem Ausland stehen, kann man immer wieder in bulgarischen Zeitungen lesen. Dabei gibt es wenig Anhaltspunkte dafür: Im Sommer 2010 wurden in zahlreichen Moscheen und Privathäusern Razzien durchgeführt - ohne Ergebnis.

Um ins Visier der staatlichen Ermittler zu geraten, reicht es oft schon aus, in Saudi Arabien studiert zu haben - wie der junge Imam Mohammed Kamber im Dorf Lashnitsa, im Südwesten Bulgariens. Er sitzt im Innenhof der Dorfmoschee. Gleich beginnt der Koranunterricht für Kinder. Kamber erinnert sich genau an die Razzia vor zwei Jahren:

"Das Interessanteste war, dass die Polizei schon am selben Morgen gegenüber den Medien erklärte, dass sie hier eine Terrorzelle gefunden habe - noch bevor sie die Literatur und die beschlagnahmten Gegenstände ausgewertet hatten! Das heißt, sie hatten ihr Urteil eigentlich schon gefällt, bevor sie überhaupt mein Haus betreten haben."

Nach und nach füllt sich der Hof mit Kindern. Auch einige Erwachsene kommen, denn vor dem Unterricht findet das normale Mittagsgebet statt. Manche Gläubige sind nur auf Heimatbesuch hier - viele junge Menschen gehen wie Mohammed Kamber zum Islamstudium ins Ausland. Der Grund ist einfach, sagt der Imam: In Bulgarien wird eine derartige Ausbildung nicht angeboten. Und, so fügt er hinzu: Seit die Religion nicht mehr verboten ist wie zu Zeiten des Kommunismus, wächst das Interesse am Islam:

"50 Jahre lange wusste man nichts über Religion, und so suchen die Menschen jetzt nach Möglichkeiten, etwas darüber zu erfahren. Und wenn wir ihnen das nun erklären - islamisieren wir sie dann? Nein, wir klären sie auf. Es gibt viele junge Menschen in der Moschee, sie wollen etwas über den Islam erfahren, und das ängstigt die Behörden."

Heute sind etwa 20 Kinder gekommen. Die Mädchen tragen die für die Region typischen Pluderhosen und bunte Kopftücher. Sie versammeln sich im Gebetsraum und beginnen, nacheinander Verse zu rezitieren.

Auch Veli Razman schaut heute vorbei. Der junge Mann will selbst einmal Imam werden und studiert deswegen islamische Theologie in Jordanien. Die chaotische Wendezeit in Bulgarien hat Veli als Kind miterlebt. Den völligen Zusammenbruch, die darauf folgende Anarchie und Orientierungslosigkeit. Und wie allein in seinem Dorf 30 Männer am Alkohol zu Grunde gingen. Die eigentliche Wende fand für ihn deshalb erst Ende der 1990er-Jahre statt: als die Menschen begannen, die Religion neu zu entdecken:
"Viele junge Menschen kamen in die Moschee, sie gaben den Alkohol auf, sie gaben das Glücksspiel auf und fingen an zu arbeiten und sich um ihre Familie zu kümmern. Und jetzt gibt es hier im Dorf Entwicklung: Kinder werden geboren, die Leute arbeiten. Es gibt hier kein Diebstahl, keine Drogensucht. Weil der Islam die geistigen Werte der Menschen bewahrt."

Die Stunde ist zu Ende, ein paar Jungen und Mädchen bleiben noch ein bisschen draußen im Hof stehen. Leshnitsa ist ein rein muslimisches Dorf, doch gebe es mit dem christlichen Nachbardorf gute Beziehungen, sagt Kamber. Für ihn ein Beweis für die gelebte Toleranz im Land.

"Tatsache ist doch, dass es hier seit 20 Jahren überhaupt keine Probleme gibt zwischen Muslimen und Christen. Das ist der Beweis, dass wir, anders als es immer dargestellt wird, den Menschen Toleranz beibringen. Nur vor den Wahlen, da gibt es immer Spannungen. Denn immer, wenn ein Politiker "radikaler Islam" sagt, horchen alle auf. Und dann steigen die Umfragewerte für ihn. Auf dem Rücken der normalen Leute."
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