Plastikflaschen und Klimawandel

Ozeane vor dem Kollaps

Plastikmüll im Pazifik in der Hanauma-Bucht vor Hawaii.
Nicht nur der Plastik-Müll, vor allem der Klimawandel macht den Meeren zu schaffen. © AP / NOAA
Von Anja Krieger · 07.02.2019
Überall wird auf die Gefahren durch Plastik-Müll in den Ozeanen hingewiesen. Gerät der Klimawandel darüber aus dem Blick, auch weil dieser nicht so greif- und sichtbar ist? Oder hängen beide Umweltkrisen enger miteinander zusammen, als wir denken?
"Plastik bestimmt unseren Alltag. 300 Millionen Tonnen Plastik werden pro Jahr weltweit produziert, nur 14 Prozent davon recycelt. Vieles davon landet wie manche Plastiktüte, hier – in den Meeren. Wie gefährlich ist Plastikmüll?"
"Forscher haben erstmals nachgewiesen, dass Menschen Mikroplastik unter anderem über die Nahrung aufnehmen und wieder ausscheiden."
"Aufgeben ist keine Option, sagt der 24-jährige Niederländer Boyan Slat und hält an seiner Idee fest: Er will Großreinemachen im Meer."
"Mit großer Mehrheit stimmte das Europa-Parlament nun für Regelungen, um den Einwegplastikmüll zu reduzieren."

Alle reden über Plastik, niemand über den Klimawandel

Seit vielen Jahren berichte ich über das Problem mit dem Plastikmüll. Doch noch nie gab es so viele Artikel und Beiträge in den Medien. Mittlerweile hört und liest man überall vom Plastik, vor allem dem Müll im Meer.
Doch einige Meeresforscher können die hohe Aufmerksamkeit für das Thema nicht mehr nachvollziehen. Manche Wissenschaftler sprechen sogar schon von einem Medienhype. "Plastik im Meer ist ein Problem – doch bei weitem nicht das größte", schreibt auch Nikolaus Gelpke. Der Gründer und Herausgeber von "Mare" widmet sich mit seiner Zeitschrift und seinem Verlag dem Lebensraum Meer.
"Ich stelle zunehmend fest, dass das Thema Plastikmüll in den Medien sehr stark vertreten ist, und zwar viel stärker, als ein viel wichtigeres Problem für die Ozeane, nämlich die Klimaerwärmung und der CO2-Ausstoß – und da nimmt Plastikmüll in den Medien eine so überbordend starke Stellung in den Medien ein, dass die wichtigeren Probleme wie eben CO2 oder auch Erwärmung der Meere quasi in den Hintergrund gerät, was natürlich nicht gut ist."

Der pH-Wert und die Temperatur der Meere haben sich über Jahrmillionen eingependelt. Das ganze Ökosystem ist auf diesen Zustand eingestellt. Es ist ein fein austarierter Prozess mit ganz kleinen Stellschrauben. Schon geringste Veränderungen können massive Auswirkungen haben – und die bringt der Klimawandel mit sich. Die Treibhausgase, die wir Menschen produzieren, halten Wärmestrahlen in der Atmosphäre fest. Einen Großteil davon absorbieren die Ozeane. Neben der Wärme nehmen die Weltmeere auch rund ein Drittel des ausgestoßenen Kohlendioxids auf. Beides hat gravierende Folgen für das Leben im Wasser:
"Sie müssen sich das bei der Temperatur vorstellen, wenn ein Mensch von 37 auf 38 Grad eine höhere Temperatur besitzt, dann geht er von einem Normalzustand in den Zustand von Fieber. In den Meeren ist das ähnlich. Wenn Sie da einen Temperaturunterschied von einem Grad haben, dann stirbt ganz vieles im Meer oder es verändert sich das Ökosystem komplett."
Ein Eisbär klettert in der Arktis von Eis zu Eis.
Die Ozeane erwärmen sich: Ganze Ökosysteme brechen zusammen.© dpa/Florian Ledoux/ HotSpot Media

Eine "Flüchtlingskrise der Meerestiere"

Manche Fische, Tintenfische und Hummer ergreifen schon jetzt die Flucht. Sie siedeln in kühlere Regionen der Meere um, hin zu den Polen und tiefer ins Wasser. Die Fischer finden sie nicht mehr, wo sie mal waren. Die Nachrichtenagentur Reuters nennt das eine "Flüchtlingskrise der Meerestiere von epischem Ausmaß".
Der Klimawandel bringt den Ökosystemen der Ozeane aber nicht nur wärmeres, sondern auch saureres Wasser. Wind und Wellen mischen das CO2 aus der Luft mit dem Wasser, und das startet eine komplexe Folge chemischer Reaktionen. Es entsteht Kohlensäure, wie die, die wir aus Sprudelwasser oder Limonade kennen. Für das Meer bedeutet das, das der pH-Wert sinkt und das Meerwasser saurer wird, als es vorher war. Das wird immer mehr zum Problem für Organismen, die ihre Körper und Strukturen aus Kalk bauen, wie kleine Algen, Korallen, Muscheln und Schnecken – Tiere an der Basis der Nahrungskette.
"Es gibt eine unfassbar große Anzahl von Tieren und auch Pflanzen, die eben kalkbildend sind in den Meeren, und wenn Sie den pH-Wert verändern, dann verändern Sie eben diese Kalkskelette, das heißt, es lösen sich auch die Kalkskelette auf – und das führt zu einer kompletten Veränderung des ökologischen Gleichgewichts in den Meeren und hat auch schon dazu geführt, der Prozess ist auch schon da und nicht mehr umkehrbar – und das ist natürlich viel schlimmer, als wenn jetzt Vögel an Plastikmüll verenden, was auch scheußlich ist – aber, eine Veränderung komplett des Ökosystems ist natürlich das Vernichtendste, was passieren kann."

Sprechen wir also zu viel über Plastikmüll und zu wenig über das Klima? Nikolaus Gelpke sieht das so und nimmt auch die Medien in die Verantwortung. Plastikmüll, das ist etwas, was wir verstehen können, was uns angeht, also auch etwas, worauf wir klicken. Schildkröten mit Strohhalmen in der Nase, Wale mit Tüten im Bauch und Albatros-Küken, die mitten im Pazifik Unmengen Plastik fressen. Solche Bilder bringen Klicks, und die sind im Zeitalter des Online-Journalismus immer wichtiger geworden. Gelpke ist sich sicher, dass auch deshalb so viel über Plastik berichtet wird und so wenig über die sperrigen und komplizierten Prozesse der Versauerung und Erwärmung, deren Folge schwerer zu bebildern sind.
Das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz haben 2017 eine Studie zum Naturbewusstsein durchgeführt. Fast 80 Prozent der Befragten nannten Plastikmüll als sehr großes Problem für die Ozeane. Den Kunststoff in den Weltmeeren halten die Deutschen sogar für das bedrohlichste Umweltrisiko insgesamt, wie eine Studie des Umweltbundesamts von 2016 zeigt. Dort erreichte der Klimawandel nur Platz 4.
Das Foto zeigt Mitarbeiter der Regierung, die einen der Strände in der Dominikanischen Republik vom Müll befreien.
Unliebsames Treibgut: Die Strände in der Dominikanischen Republik werden vom Müll befreit.© AFP / Erika Santelices
"In der Meeresforschung allgemein muss man sagen, dass man natürlich immer noch relativ wenig weiß – ob das beim Klimawandel ist oder beim Plastikmüll, Es gibt in beiden Bereichen massiven Bedarf an Forschung. Beim Plastik, gerade beim Mikroplastik hat man erst begonnen zu verstehen. Noch ist man ja am Sammeln, also das, was Biologen vor 100 Jahren gemacht haben, Pflanzen und Tiere sammeln und angucken, was haben wir überhaupt? Also Bestandsaufnahme – das ist das, was beim Plastikmüll momentan eigentlich eher passiert. Die Folgen fürs Ökosystem beim Plastik sind noch gar nicht absehbar. Ich halte nichtsdestotrotz die Folgen des Plastikmülls, und das ist jetzt eine steile These, vielleicht für nicht so gravierend wie die Klimaerwärmung. Das hat den Hauptgrund, dass wir im Prinzip beim Plastik, was wir jetzt schon sehen an Anfängen – man kann einfach aufhören quasi, Plastik zu produzieren. Das kann man nicht von heute auf morgen, aber grundsätzlich ist es möglich zu sagen, wir produzieren weniger oder kaum mehr Plastik. Dementsprechend wird dann auch der Effekt auf die Meere relativ schnell ein positiver sein. Beim Klimawandel geht das nicht."

Der Klimawandel lässt sich nicht einfach stoppen

Der Klimawandel ist ein komplexer, andauernder Prozess mit langfristigen Folgen. Selbst wenn wir jetzt aufhören würden, CO2 zu produzieren, würde er noch Jahrzehnte nachwirken. Damit schreitet die Erwärmung und Versauerung der Meere auch dann voran, wenn keine Treibhausgase mehr entstehen – wovon wir ja noch weit entfernt sind.
"Das heißt, dieser Prozess ist wie ein Tanker, der jetzt sagt, ich muss bremsen auf dem Meer, aber dann noch 25 Meilen braucht, bis er anhält. Das heißt, wenn wir jetzt aufhören, CO2 zu produzieren, dann dauert es eben noch ewig, bis wir einen positiven Effekt auf das Ökosystem sehen, bis dahin geht das negativ weiter. Und dementsprechend halte ich allein eben, und das ist nicht nur meine Meinung, die Klimaerwärmung für eine viel gravierende Einflussnahme auf unser Ökosystem als Plastik oder andere Verschmutzungen, weil man das eben relativ, fast wie analog an und abstellen kann."
Plastik ist im wahrsten Sinne des Wortes greifbar. Im Supermarkt, im Mülleimer, auf der Straße. Die unsichtbaren Treibhausgase hingegen rinnen uns durch die Finger, wir merken sie nicht einmal. Aber der sichtbare Plastikmüll, den wir Menschen auf dem Planeten verbreiten, kann unser Bewusstsein auch für diese unsichtbaren Stoffe schärfen.
Schüler demonstrieren am 25. Januar 2019 in Berlin gegen politische Untätigkeit beim Klimawandel.
Der Klimawandel kann verheerende Folgen für künftige Generationen haben: Schüler demonstrieren in Berlin gegen die politische Untätigkeit beim Klimaschutz.© picture alliance/Gregor Fischer/dpa
Für mich hat der Plastikmüll eine Tür geöffnet, um auch diese Prozesse zu verstehen. Ich weiß noch ziemlich genau, wie das anfing. Ich war für den Deutschlandfunk auf die Nordseeinsel Juist gereist, wo ich über die jährliche Aufräumaktion am Strand und ein Projekt mit Namen "Saubere Insel" berichtete. Dabei sprach ich auch mit Bernd Oltmanns von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Ich bat ihn, das Plastikmüllproblem im Zusammenhang einzuordnen.
"Was sind wichtigere Probleme vielleicht noch fürs Wattenmeer aus Ihrer Sicht und für die Inseln hier?"
"Was wir zurzeit nicht abschätzen können, ist beispielweise die Belastung, die auf das Wattenmeer zukommen wird über den Klimawandel. Und dazu gehört dann auch die Änderung in der Sturmfluthäufigkeit, in der Energie, die dann einfach auf das Wattenmeer einwirkt, die dazu führen kann, dass sich große Bereiche verlagern, dass die Sedimentzusammensetzung sich ändert, dass beispielsweise gewisse Organismen, die Schlickwatten brauchen, gar nicht mehr so zum Zuge kommen können, weil mit mehr Energie immer größere Sandwatten verbunden sind, und das ist mit Sicherheit ein Problem, wo sich aber zurzeit auch nicht abschätzen lässt, in welcher Weise sich das auswirken wird."
Der kurze Hinweis des Wattenmeer-Experten ging mir nicht aus dem Kopf. Ich hatte das Gefühl, dass ich noch viel zu wenig über den Klimawandel wusste. Und so beschloss ich, mir die Sache endlicher genauer anzuschauen. Was ich dann lernte, veränderte meine Sicht auf die Welt: Ich erfuhr von Kohlenstoffkreisläufen, in die wir Menschen eingreifen. Ich lernte die Kipp-Punkte kennen, die den Klimawandel rasant beschleunigen können. Ich las, dass ein Teil unseres CO2s noch in Tausenden von Jahren durch die Luft schwirren wird. So brachte mich der Plastikmüll dazu, auch den Klimawandel besser zu verstehen. Und ich bin nicht die Einzige.

Junge Umweltschützerinnen werden aktiv

"Das war 2015, als ich und mein Opa zu McDonald’s gelaufen sind, da lag immer eine Menge Plastik. Wir haben uns gefragt, sollen wir das aufheben? Weil das liegt da schon eine ganze Weile. So fing das mit dem Plastik an. Aber die Sache mit dem Klimawandel, glaub ich, die begann erst vor ein paar Wochen!"
Das ist Lilly aus den Niederlanden, und sie ist die jüngste Plastikmüll-Aktivistin, die ich kenne. Als Lilly sieben Jahre alt war, begannen sie und ihr Großvater, Plastik zu sammeln. Ihr Opa, ein pensionierter Geologe, half ihr, alles über das Thema herauszufinden: Wie der Müll in den Meeren landet, in winzige Teile zerfällt und Tieren Schaden zufügen kann. Lillys Mutter war auch gleich dabei und zusammen starteten sie das Projekt "Lilly’s Plastic Pickup". Die Fotos ihrer Funde stellten sie ins Internet.
"Wir haben das Plastik sortiert, die Flaschen zu den Flaschen und die Dosen zu den Dosen. Und jedes Mal, wenn wir sammeln waren, haben wir ein Foto gemacht."
Auf Facebook, Twitter und Instagram verfolgten immer mehr Leute Lillys Bilder. Sie wurde Jugend-Botschafterin der "Plastic Pollution Coalition", und dann kam eine Einladung zu einer Konferenz in Norwegen. Die "Plastic Whale Heritage Conference" war nach einem Wal benannt, der im Winter zuvor an der Küste gestrandet war. Es war ein Cuvier-Schnabelwal, und erst der zweite, den man an Norwegens Küste gesichtet hatte.
"Sie wussten nicht, was sie machen sollten, also haben sie ihn erschossen. Als sie ihn dann aufgeschnitten haben, haben sie das Plastik gefunden. Wir sind also zu der Konferenz gefahren und haben eine Insel besucht, wo man statt Gras und Steinen nur Plastik und Müll sah. Ich hab eins der Plastikteile aufgehoben, und es lag schon so lange da, dass es einfach in meiner Hand zerbröselte."
Eines Abends kam Lillys Mutter nach Hause und zeigte ihr das Video einer anderen jungen Aktivistin. Sie hieß Greta Thunberg, war 15 Jahre alt und lebte in Schweden. Mit langen, geflochtenen Zöpfen stand sie draußen im Grünen und richtete den Blick in die Kamera.
"Sie sprach über das Abkommen von Paris, dass die Regierung sich daran halten muss und dass die Temperaturen nicht mehr als 1,5 Grad steigen dürfen, damit das Eis nicht schmilzt und der Meeresspiegel nicht ansteigt. Und da hab ich mir gedacht, okay, ich muss sie unterstützen. Also sind wir an dem Freitag vor das Gebäude der Regierung gegangen und haben einen Schulstreik gemacht."
Porträt von Thunberg.
Neue Ikone der Umweltbewegung: die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg.© dpa/ KEYSTONE / Gian Ehrenzeller
Lilly schrieb Greta auch Nachrichten, und bald trafen sich die beiden persönlich, bei Klimastreiks in Den Haag und Brüssel. Sie saßen zusammen und sprachen über die Folgen des Klimawandels, erzählte mir Lilly.
"Ich fragte sie, was denkst du, ist das schlimmste am Klimawandel, sind das die abgeholzten Wälder, die schmelzenden Eiskappen oder der steigende Meeresspiegel? Und sie sagte, alle zusammen, weil wenn sie einmal richtig Wucht entwickelt haben, kann man sie nicht mehr aufhalten. Dann können wir nicht mehr zurück, wir haben keine Zeitmaschine. Und deshalb müssen wir sie stoppen – und zwar heute."

"CO2 ist viel schlimmer, weil es unsichtbar ist"

Greta dachte auch über Plastik nach. "Die Plastikverschmutzung ist schrecklich und ein Riesenproblem", postete sie auf Twitter. "Aber wenigstens können wir das Problem sehen. CO2 ist viel schlimmer, weil es unsichtbar ist. Stellt euch vor, wir könnten all das CO2 sehen, das unsere Atmosphäre verschmutzt – dann würden wir wahrscheinlich sofort aufhören, fossile Treibstoffe zu verbrennen."

Plastik und Klima sind nicht nur dadurch verknüpft, dass sie konkurrieren oder kooperieren, wenn es um unsere Aufmerksamkeit geht. Sie sind auch ganz direkt und physisch miteinander verbunden. Als ich neulich "8 million" hörte, einen spannenden Podcast über das Müllproblem in Asien, musste ich wieder daran denken. In einer Episode ist Doug Woodring von der Ocean Recovery Alliance dabei. Es geht um die vielen verschiedenen Plastiksorten, die das Recycling zu einer riesigen Herausforderung machen.
Woodring erklärt, dass das viele Plastik, das wir heute nutzen, auch Vorteile hat, weil es so leicht ist. Man kann damit die Kosten für den Transport und die Umwelt senken. Plastik macht Autos, Flugzeuge und viele alltägliche Produkte leichter und spart Treibstoff und Emissionen. Es hält Nahrungsmittel frisch und ist das Material, aus dem Windräder und Solarpanels gemacht werden. Ein Journalist der BBC fragte kürzlich, ob die Aktionen gegen Plastik der Umwelt deshalb vielleicht mehr schaden als nützen.

Das ist schwer zu sagen. Man kann natürlich schätzen, wieviel mehr Treibhausgase man ausstoßen würde, wenn man Plastik durch andere Materialien ersetzt. Die Industrievereinigung PlasticsEurope hat das vor einigen Jahren mal gemacht und gefolgert, dass dann ungefähr 60 Prozent mehr Emissionen entstehen. Aber ist das ein brauchbares Szenario? Ist es nicht eher so, dass die Erfindung billiger Kunststoffe selbst zu den Konsummustern geführt hat, die heute ein Problem sind? Vielleicht würden wir gar nicht so viele Nahrungsmittel rund um den Globus transportieren, so viel Auto fahren und fliegen, wenn Plastik das nicht so billig machen würde.
Dieser westliche Lebensstil treibt den Klimawandel an, und der könnte mehr extreme Wetterlagen mit sich bringen. Bei starken Stürmen oder Regenfällen landet dadurch auch mehr Müll im Meer. Der türkische Biologe Sedat Gündoğdu von der Çukurova-Universität stellte das bei einer Studie in der Provinz Mersin am östlichen Mittelmeer fest, wie er mir per Skype erzählte:
"Wir hatten eigentlich gar nicht geplant, den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Plastikverschmutzung zu untersuchen. Wir haben nur unsere üblichen Proben von Plastik im Wasser der Bucht gemacht. Aber dann gab es extreme Regenfälle und eine Sturzflut in der Stadt. Zwei Menschen starben und viele Leute wurden verletzt. Und wir verglichen unsere Proben und stellten fest, es war durch den Regen und die Flut zu einem 14-fachen Anstieg an Plastikmüll im Wasser gekommen."
Auch die großen Container-Schiffe könnten mehr Ladung verlieren, wenn es durch den Klimawandel zu schwierigeren Bedingungen auf dem Meer kommt. Die Herstellung von Plastik produziert zudem selbst Treibhausgase, weil sie eine Menge Energie braucht und als Rohstoff Öl und Gas verwendet werden. Ich habe keine richtig gute Schätzung gefunden, aber einige sprechen von vier bis acht Prozent des globalen Ölverbrauchs. Doch in den USA ist es vor allem Gas, das dort oft über den umstrittenen Fracking-Prozess gewonnen wird. Meist produzieren die Firmen, die auch fossile Energien fördern, Plastik und seine Zusatzstoffe.
Eine Mülldeponie bei Köln
Plastik setzt Treibhausgase frei, auch wenn es an Land gelagert wird.© imago / Felix Jason

Plastikmüll treibt Klimawandel mit voran

Wenn ein Schuh, eine Gummiente oder ein anderes Produkt entsteht, sind die fossilen Energien ja eigentlich eingesperrt. Der Kohlenstoff aus dem Öl und Gas ist sozusagen gespeichert. Das klingt erstmal wie eine gute Sache: Wenn Plastik lange hält, bleibt auch der Kohlenstoff gebunden und kann die Atmosphäre nicht erwärmen.
So sah es zumindest lange aus. Bis eine neue Studie erschien, die zeigte, dass das leider so nicht stimmt. Das ist Sarah-Jeanne Royer, die kanadische Ozeanografin, die die Studie durchgeführt hat. Als sie vor ein paar Jahren ihre Arbeit an der Universität von Hawaii begann, hörte sie von einer interessanten Geschichte. Ihre zwei Kollegen Sara Ferrón und Samuel Wilson hatten untersucht, wieviel Methangas in Meerwasser entsteht. Methan ist ein sehr starkes Treibhausgas, viel stärker als CO2, aber kurzlebiger, und es kann durch biologische Prozesse entstehen. Die hohe Konzentration des Gases überraschte die Forscher allerdings – bis sie an die Plastikflaschen dachten, in denen sie ihre Proben aufbewahrten.
"Da haben sie zum ersten Mal erkannt, dass Plastik Methangas produziert."
Sarah-Jeanne Royer war fasziniert von dieser Entdeckung und beschloss, sich die Sache näher anzuschauen.
"Ich las ihren Bericht und dachte, das ist wirklich interessant, das will ich erforschen. So begann meine Arbeit zu den Treibhausgasen, die aus Plastik austreten."
Royer und ihre Kollegen nahmen kleine Gefäße aus Quartz, füllten sie mit Wasser und Plastik und trugen sie hoch auf das Dach ihres Instituts. Nach zwei Wochen in der tropischen Sonne prüften sie, wie viel Treibhausgas ausgetreten war. Sie stellten fest, dass alle Plastiksorten, die sie getestet hatten, Methan und Ethylen abgaben, zwei Treibhausgase.
"Von da an haben wir uns auf eine Plastiksorte konzentriert, das Polyethylen von niedriger Dichte, kurz LDPE. Zum einen, weil es die höchsten Konzentrationen an Treibhausgas produzierte, und zum anderen, weil es das Plastik ist, das weltweit am meisten konsumiert und entsorgt wird. Es wird besonders für Wegwerfprodukte benutzt, und viele davon landen an Küsten, Stränden und im Ozean."
Jeder dürfte dieses Plastik zu Hause haben. LDPE steckt in Plastiktüten, Verpackungen, in den Mänteln elektrischer Kabel und in vielen anderen Dingen. Sarah-Jeanne Royer und ihre Ko-Autoren nehmen an, dass es die schwache Struktur diese Polymers ist, die dazu führt, dass so viel Gas entsteht. Ihre Studie zeigte: Je kleiner die Teilchen, desto größer die reaktive Fläche, desto mehr Treibhausgas. Und sie machten eine weitere spannende Entdeckung. Wenn das Plastik nicht im Wasser lag, sondern direkt mit der Luft in Kontakt war, entstanden noch mehr Treibhausgase.
"Uns wurde klar, okay, der Plastikmüll im Ozean ist die eine Sache. Aber wenn wir jetzt an all das Plastik denken, das auf allen Kontinenten in der Sonne steht, wird mir ganz anders – die Mülldeponien, Treibhäuser für unser Gemüse, die Autos und Handys dürften alle über die Zeit Treibhausgase ausstoßen."

Große Methanquelle ist die Landwirtschaft

"Erst mal ist das eine sehr interessante Erkenntnis, dass wir plötzlich feststellen müssen, dass Plastikteile nicht nur ein Problem ist für, zum Beispiel, die marine Biologie, sondern dass da auf einmal chemische Reaktionen stattfinden, die wir vorher nicht auf dem Schirm hatten."
Ich fragte mich, was wohl ein Klimaforscher von der Studie aus Hawaii hält. Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung traf ich den Physiker Gunnar Luderer.
"Also, wir können mal überschlagen, was das global bedeutet. Dazu kann man eben ansetzen, dass ungefähr fünf Milliarden Tonnen Plastik sich schon in der Umwelt angesammelt haben. Wenn man darauf dann diesen von den Kollegen bestimmten Emissionsfaktor, also diese Menge an CH4, die sich bildet, ansetzt, dann stellen wir fest, dass die Gesamtmenge doch relativ klein ist."
Das hatten auch schon Royer und ihre Kollegen geschrieben: Zwar emittiert das Plastik Methangas, doch vermutlich wenig im Vergleich zu anderen Quellen.
"Die großen Methanquellen sind, ganz wichtig, die Landwirtschaft – also Viehzucht ist eine sehr relevante Methanquelle, Reisanbau führt auch zu Methanemissionen, dann ist die Energiewirtschaft selbst auch eine relevante Methanquelle, also zum Beispiel die Gasförderung – da passiert es immer, dass zu bestimmten Teilen dieses Gas unverbrannt in die Atmosphäre kommt, Kohleförderung, und dann letztlich Mülldeponien. Da ist es auch so, dass Zersetzungsprozesse zu Methanemissionen führen, die man abfangen kann, aber in vielen Fällen ist es so, dass auch da Methan in die Atmosphäre kommt und den Treibhauseffekt verstärkt."

Weil wir über den Beitrag von Plastik zum Ausstoß verschiedener Treibhausgase noch wenig wissen, müssen wir ihn genauer untersuchen, schreiben Sarah-Jeanne Royer und ihre Kollegen. Gunnar Luderer sieht das genauso. Auch wenn der Effekt fürs Klima wahrscheinlich gering ausfällt, sollte die Wissenschaft in den Blick nehmen, "ob die Zahlen stimmen, ob es möglichweise unter bestimmten Bedingungen sogar noch mehr sein kann. Es gibt auch andere Wirkungspfade, zum Beispiel über die Luftverschmutzung, da können zum Beispiel ozonbildende Substanzen entstehen, durch diese Abbauprodukte. Und letztlich ist ja auch klar, dass die Plastikproduktion eine ziemlich relevante Komponente in Bezug auf CO2-Emissionen ist. Das ist schon lange bekannt, aber da ist es eben dann auch so, dass diese Müllproblematik sich mit der Klimaproblematik allein deshalb verbindet, weil wir große Mengen an fossilen Kraftstoffen brauchen, um Plastik zu produzieren, und eben auch dieses fossile, der fossile Kohlenstoff im Plastik enthalten ist, und dann bei der Müllverbrennung oder bei anderen Abbauprozessen wieder in Form von CO2 in die Atmosphäre gelangt".
Es sei eine Art unkontrolliertes Experiment, das wir da gerade an unserem Planeten durchführen, indem wir Unmengen Plastik produzieren, sagt Gunnar Luderer. Dem Physiker bereitet das Sorge:
"Wir wissen gar nicht so genau, wo dieses Plastik überall steckt, jedes Jahr reden wir über eine weitere Größenordnung von weiteren 400 Millionen Tonnen Plastik, die produziert wird – ein großer Teil von diesem Plastik landet eben auch wieder in der Umwelt. Und wir müssen verstehen, was mit diesem Plastik passiert und was die Wirkungen sind, die damit einhergehen, was dann Folgeprodukte sind, welche Reaktionen, insofern ist es dringend geboten, genau so eine Art von Feldforschung auch zu tätigen und zu verstehen, was in der realen Welt aus diesem vielen Plastik wird, das die Menschheit in die Umwelt bringt."
Eine Frau arbeitet am 13.10.2015 auf einem Reisfeld bei Thanjavur (Indien). 
Mitverursacher des Klimawandels: Reisanbau, hier bei Thanjavur in Indien.© dpa / Sebastian Kahnert

Die Kreisläufe der Natur

Jedes Jahr produziert die Menschheit hunderte Millionen Tonnen Plastik und viele Milliarden Tonnen CO2 und andere Treibhausgase. Und das sind nur zwei Seiten des umfassenden globalen Wandels, den unsere Zivilisation mit der Industrialisierung begonnen hat. Was ist die tiefere Verbindung zwischen Plastikmüll und Klimawandel? Für Gunnar Luderer liegt sie ganz grundsätzlich in der Art, wie wir Menschen mit Energie und mit Material umgehen – unserem gesellschaftlichen Stoffwechsel.
"Klimaschutz, da geht es ja immer darum, was für Energieflüsse wir haben, welche fossilen Energien ins Energiesystem reingehen, was für Kohlenstoff rausgeht, also letztlich diesen globalen Metabolismus zu beschreiben, zu verstehen, was für Kohlenstoff-Flüsse da sind – und die Kunststoffproduktion ist letztlich eine Komponente in diesen großen globalen Kohlenstoff-Flüssen, insofern ist das für uns durchaus relevant."
Die Natur baut auf Kreisläufe. Wir Menschen haben dagegen eine Gesellschaft geschaffen, die nicht kreislaufförmig funktioniert. Wir holen Öl und Gas aus dem Boden, roden Wälder, verwandeln sie in Rinderfarmen, Monokulturen und überdüngte Felder, und wir versiegeln Wiesen mit Asphalt. Wir haben eine riesige Anzahl von Chemikalien und Kunststoffen in die Welt gesetzt. Mit alldem holen wir unfassbar große Mengen von Ressourcen aus den natürlichen Zyklen heraus.
Vollmond über dem Indischen Ozean. Aufgenommen 1996.
Wir sehen es nicht. Doch unsere Meere stehen kurz vor einem "Multiorganversagen", meinen Umweltschützer.© dpa - Bildarchiv
Das hat uns Fortschritt verschafft, für die kurze Zeit von hundertfünfzig Jahren. Mittlerweile sind wir sechsmal mehr Menschen als zu Beginn dieser Entwicklung. Aber wir haben die Sache noch nicht zu Ende gedacht. Statt echte Kreisläufe zu schaffen, überschreiten wir die Belastungsgrenzen unseres Planeten.
"Ich werde oft gefragt, was die wichtigste oder die schlimmste Bedrohung ist für die Meere. Und ich antworte inzwischen meistens, dass das Meer an Multiorganversagen stirbt. Wir können eigentlich kaum die einzelnen Bedrohungen der Meere voneinander trennen, die hängen natürlich auch direkt voneinander ab. Also natürlich hat die Fischerei eine Folge auf die Ökosystemzusammensetzung. Sie haben gleichzeitig durch die Erwärmung dann Einfluss, aber natürlich auch durch Plastikmüll. Sie haben also eine Vielzahl sich vielseitig verstärkende Einflussnahme von verschiedenen Faktoren auf die Meere. Und dadurch kann man die einzelnen Einflussnahmen, die der Mensch zurzeit ausführt, gar nicht voneinander trennen oder ja, gegeneinander aufwiegen."

"Wir müssen was tun"

Verleger Nikolaus Gelpke veröffentlicht mit dem World Ocean Review eine Bestandsaufnahme zur Lage der Ozeane. Die ist deutlich schlechter, als wir es vom Strand oder Schiff aus sehen können, sagt er. Wir sehen weder das Kohlendioxid, das die Meere versauert, noch das winzige Mikroplastik oder den Anstieg der Temperaturen und die Überfischung.
"Das heißt, die Gefahren für die Meere sind nicht wirklich ersichtlich, das Meer gaukelt uns immer noch vor, es ginge ihm bestens, aber das Ökosystem ist stark gefährdet, und die einzelnen Einflussnahmen, die verstärken sich leider gegenseitig, und auch diese gegenseitigen Verstärkungen, Einflussnahmen sind noch lange nicht wirklich erforscht. Das heißt, wir müssen eigentlich wirklich überall ansetzen und sagen, wir müssen eine höhere Sensibilität haben für die Gefährdung der Meere, sonst werden unsere Kinder oder Enkel tatsächlich große Probleme haben mit der Zukunft."
Was dahinter steckt, ist unser gesamter menschlicher Stoffwechsel. Wir müssen ihn umstellen. Nicht in zehn oder zwölf Jahren, sondern jetzt, sofort. Damit die Kinder von heute und die Generationen von morgen nicht noch mehr von unserem Müll wegräumen müssen. Und deshalb bin ich jetzt auch mit dabei, bei der Klimaschutz-Initiative "Fridays for Future".

"Wir müssen was tun. Also nicht morgen oder gestern, sondern heute! Weil es keinen zweiten Planeten gibt, wir haben nur diesen, unsere Erde. Wir haben nur eine Chance!"

In ihrem Podcast Plastisphere beleuchtet die Autorin Hintergründe und Folgen einer Welt, die zunehmend aus Plastik besteht.

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