"Nicht verhandelbar"

Moderation: Hanns Ostermann · 15.02.2006
Der Atomausstieg ist nach Ansicht des SPD-Bundesvorstandsmitglieds Hermann Scheer nicht verhandelbar. Man habe sich zwar bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union in der Sache nicht geeinigt, sagte Scheer. Doch die Konsequenz daraus sei nicht, den Atomausstieg auszusetzen. Es gelte das bestehende, im Jahr 2001 verabschiedete Gesetz.
Ostermann: Guten Morgen, Herr Scheer.

Scheer: Guten Morgen.

Ostermann: Ist für die Sozialdemokraten der Ausstieg aus dem Ausstieg überhaupt noch verhandelbar?

Scheer: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Natürlich gibt es einzelne Sozialdemokraten, die sich auch in der letzten Woche gemeldet haben, die das fordern. Die also eine positive Einstellung zur Atomenergie haben, aber das sind wirklich vereinzelte. Es ist nicht verhandelbar. Bei den Koalitionsvereinbarungen hat man sich zwar nicht geeinigt mit der CDU in der Sache, mit der CDU/CSU, aber es ist klar gesagt worden, hier sind sich beide Parteien nicht einig und daraus ergibt sich logischerweise, auch das steht im Koalitionsvertrag, dass das bestehende Gesetz gilt. Das ist im Jahr 2001 verabschiedet worden und das heißt, wir steigen in Schritten bis zum Jahr 2020 aus der Atomenergie aus, von Anlage zu Anlage.

Ostermann: Worauf führen Sie die derzeitigen Forderungen nach längeren Laufzeiten zurück?

Scheer: Es gibt seit ungefähr eineinhalb Jahren eine weltweit perfekt organisierte Kampagne, eines der organisatorischen Zentren dieser Kampagne ist die internationale Atomenergieagentur, auch EURATOM gehört dazu. Die Atomenergie ist zwar in den letzten Jahrzehnten immer mehr in die Defensive gekommen aufgrund der ungelösten und unlösbaren Probleme, aber die Institutionen sind geblieben, die man in den 50er Jahren gebaut hatte, um sie auch international voranzutreiben, wie die internationale Atomenergieagentur und wie EURATOM. Und diese haben eine sehr große institutionelle Kraft, sie haben viel Geld, kriegen das von den Regierungen und die verstehen sich als der Sachwalter und als die treibende Kraft für die Atomenergie und hinzu kommt die atomtechnische Industrie, die nun im Grunde genommen davor steht, einpacken zu müssen, in immer mehr Ländern. Und deswegen jetzt der groß angelegte Versuch, die Atomenergie-Renaissance zu betreiben. Man beginnt immer mit Laufzeitverlängerungsforderungen, meint aber damit die Wiederaufnahme der Atomenergie-Linie generell, auch letztlich neue Atomkraftwerke. Man kann es auch in Deutschland sehen. Die einen in der Union sagen, die sich an dieser Kampagne beteiligen, die sagen Laufzeitverlängerung, andere wie der hessische Ministerpräsident Koch sagen schon, neue Atomkraftwerke seien notwendig. Genauso läuft die Debatte auch in Amerika.

Ostermann: Jetzt prüfen zwei Kraftwerksbetreiber, nämlich RWE und EnBW, ob sie längere Laufzeiten für Biblis A und Neckarwestheim beantragen, die müssen Ende 2008 beziehungsweise 2009 abgeschaltet werden. Wer wäre denn für eine entsprechende Genehmigung zuständig?

Scheer: Das ist ganz eindeutig nach dem Gesetz der Umweltbundesminister. Und genau diese beiden Laufzeitverlängerungsanträge Biblis A und Neckarwestheim, die zeigen ja, wo der Hase läuft. Hier handelt es sich bei beiden um alte Kraftwerke, die, bei Biblis besonders, schrottreif sind, wo es 700 Störfälle schon gegeben hat. Und es gibt nach dem Atomausstiegsgesetz die Möglichkeit der Verrechnung von Laufzeiten zwischen den verschiedenen Kraftwerken. Wenn man eines noch ein bisschen besser in Takt hat, dann kann man das ein bisschen länger laufen lassen, dafür muss ein anderes etwas früher [...]. Und hier nimmt man ausgerechnet zwei, die ohnehin eigentlich fällig sind. Und da sagt man verlängern zugunsten von etwas ... zulasten von etwas besseren, also moderneren, intakteren. Das zeigt, jetzt Laufzeitverlängerung für Biblis A und Neckarwestheim, morgen Laufzeitverlängerung für die anderen. Es ist eine Filibuster-Taktik, um in Salamischritten die Atomenergie wieder voll ins Spiel zu bringen. Und man begründet das mittlerweile mit Klimaschutz, erneuerbare Energien bräuchten Zeit und deswegen müssten die Atomkraftwerke länger laufen. Und damit verbreitet man im Grunde genommen eine, nicht nur eine, eine Unwahrheit über die wirklichen Möglichkeiten mit erneuerbaren Energien, sondern vor allem diejenigen, die das fordern, sind nicht glaubwürdig. Diejenigen, die jetzt sagen, wir sollen Laufzeit verlängern, weil erneuerbare Energien Zeit brauchen, sind diejenigen, die die erneuerbaren Energien immer blockiert haben in den letzten Jahren, also alles getan haben, damit sie gar nicht zur Entfaltung kommen. Die Stromkonzerne, die Atomkraftwerke betreiben, sind bis zum Verfassungsgericht gegangen, bis zum Europäischen Gerichtshof, um das Erneuerbare Energiegesetz zu blockieren. Und die CDU/CSU hat bisher vor 2005, also vor der Bildung der großen Koalition, sich immer in den letzten Jahren negativ zum Erneuerbaren Energiegesetz in der überwiegenden Mehrheit geäußert. Und in den Unionsländern, wie Bayern und in Baden-Württemberg vor allem, werden systematisch Genehmigungen blockiert für Windkraftanlagen, für Kleinwasserkraftanlagen, und jetzt sagen sie, aber die brauchen Zeit. Das ist nicht glaubwürdig. … Sie haben bisher so viel blockiert, dass wir heute schon statt der 1,3 Prozent jährlichen Zuwachs erneuerbarer Energien an der Gesamtstromerzeugung, was in den letzten sieben Jahren zu sieben Prozent Anteil erneuerbaren Energien geführt hat, zusätzlichen Anteil, wir könnten heute schon eine jährliche Zuwachsrate von zwei Prozent am gesamten Stromverbrauch haben, an der gesamten Stromproduktion und entsprechendem Verbrauch, wenn nicht diese Genehmigungshindernisse wären. Und das wären dann in 15 Jahren 30 Prozent. ...

Ostermann: Herr Scheer, wie stark belastet dieser Konflikt die Koalition? Ist das eine Art Damoklesschwert?

Scheer: Also, es wäre ein Damoklesschwert. Aber ich glaube nicht, dass die, ich glaube nicht, dann wäre es gar nicht zur Koalitionsvereinbarung gekommen, wenn das der Casus Knacktus wäre. Also, es ist aber der ständige Versuch, eben als Teil dieser international durchgeführten Kampagne für die Atomenergie-Renaissance der ständige Versuch, die Atomenergie wieder ins Spiel zu bringen, weil, und da können einige es nicht lassen auch aus ideologischen Gründen, in der Hoffnung, dass irgendwann die SPD weichgeklopft wird, aber ich glaube, da irren sie sich.

Ostermann: Hermann Scheer war das. Mitglied des SPD-Vorstandes. Ich danke Ihnen für das Gespräch im Deutschlandradio Kultur.