Nicht schweigen, sondern reden über die deutsch-türkisch-islamische Identität!

Von Hakan Turan · 17.03.2011
Mit seiner Aussage, dass der Islam ein Teil Deutschlands sei, hat sich Bundespräsident Wulff zum Teil heftige Kritik eingehandelt. Junge Moslems hingegen bestätigen seine Einschätzung. Umgekehrt ist das "Deutschsein" Teil ihrer eigenen Identität.
Deutschlandweit entstehen Lehrstühle für islamische Theologie und Islamunterricht wird als ordentliches Lehrfach eingeführt. Während dessen streiten sich unsere Spitzenpolitiker in regelmäßigen Abständen darüber, ob denn der Islam nun ein Teil deutscher Kultur sei oder nicht. Eigentlich sollte die Frage heute eher lauten, in welchem Sinne, und weniger, ob er ein Teil Deutschlands ist.

Wer verneint, dass der Islam hierzulande dazugehört, beschwört meist eine Leitkultur oder eine kulturelle Identität, in der allein Platz für urdeutsche und christliche, keinesfalls aber für muslimische Elemente ist. Gleichzeitig wird die Rolle des Islams bei Integrationsproblemen oft maßlos überschätzt. Die Botschaft lautet: Ohne Islam wäre alles viel besser in Deutschland. Eine solche Botschaft bleibt freilich nicht folgenlos.

Nicht nur religiöse, sondern auch liberale und säkulare Muslime empören sich und suchen zunehmend Halt in ihrer vermuteten eigenen kulturellen Identität. Unter dem Eindruck der Integrationsdebatte festigt sich auch bei ihnen der Eindruck, dass der Islam die Grenze zwischen Deutschen und beispielsweise Türken markiere. Aber ist das wirklich so?

Es scheint unbemerkt geblieben zu sein, dass gerade die junge Generation von Muslimen längst eine starke deutsche Teilidentität besitzt. Aber selbst diese jungen Muslime sind sich dessen oft nicht bewusst. Dabei sprechen sie in der Regel wesentlich öfter und besser deutsch als beispielsweise türkisch. Auch die Erwartungen an das Leben nehmen selbst in religiösen Kreisen immer mehr Formen an, die eher für die deutschstämmigen Bürger typisch sind: das immer höhere Heiratsalter von Männern wie Frauen, der Rückgang der Geburtenrate oder der Wunsch der Frauen nach beruflicher Erfüllung und gleichberechtigter Partnerschaft.

Ja, sie sind meist religiöser als ihre deutschstämmigen Nachbarn, aber sie gehen mit ihrer Religion zugleich sehr pragmatisch um – auf eine Weise, die durchaus deutsch geprägt ist. Die Praxis ist hier also der Theorie zuvorgekommen. Die neuen theologischen Lehrstühle sind nur die Spitze des Eisberges einer zunehmend deutschen Lesart des Islams. Auch im Alltag verschieben sich Prioritäten und liberalere Denkweisen setzen sich durch, insbesondere auch in frommeren Kreisen.

Da eröffnen beispielsweise Frauen, die ein Kopftuch tragen, eine eigene Arztpraxis oder Anwaltskanzlei. Woanders arbeiten praktizierende Muslimas ohne Kopftuch im Management. Und es gibt muslimische Männer, die sich für die Theorie der Koranauslegung ebenso interessieren wie für Heavy-Metal-Musik und abendländische Philosophie.

Es greift eindeutig zu kurz, hier von einer nur oberflächlichen Anpassung zu sprechen. Auch ist es ein Vorurteil, dass es sich um irrelevante Ausnahmen von der unintegrierbaren Masse handele. Vielmehr finden wir hier weit verbreitete, oft im Stillen ausgelebte neue Identitätskonzepte vor. Besonders häufig sind dabei deutsch-türkisch-islamische Synthesen. Diese Konzepte gemischter Identitäten müssen als solche erkannt, verstanden und gefördert werden. Denn sie sind der der natürlichste Weg zu einer emotionalen Identifikation mit Deutschland.

Die muslimischen Migranten haben bei dieser Synthesearbeit einen weiten Weg zurückgelegt. Ohne die Unterstützung der Deutschen wäre dies nicht möglich gewesen. Leider ist der öffentliche Diskurs oftmals blind für diese Erfolge. Stattdessen werden undifferenziert Klischees bedient und ein zunehmend kämpferischer Ton angeschlagen. Die Enttäuschung zahlloser hervorragend integrierter Muslime ist da nur verstehbar.

Aber vielleicht ist ja gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für sie aufzustehen und ihre Zugehörigkeit zu Deutschland zu verteidigen - und sich so zu ihrer eigenen deutschen Identität zu bekennen. Das wäre eine Bewährungsprobe für so etwas wie die deutsch-türkisch-islamische Identität. Der Erfolg würde jedoch nicht nur von der Selbstüberwindung der Muslime, sondern auch von der Aufgeschlossenheit der Mehrheitsgesellschaft abhängen.

Hakan Turan, Jahrgang 1979, studierte Diplom-Physik, Mathematik und Philosophie in Stuttgart und Tübingen, ging in den Schuldienst und arbeitet derzeit als Studienrat in Stuttgart. Er engagiert sich für die Themen Integration und interkulturelle Öffnung, unter anderem im Stuttgarter Projekt "Migranten machen Schule". Als Autor schreibt er für Lehrerzeitschriften und verfasst Essays über "Islam und Moderne" auf seinem Blog www.andalusian.de.
Hakan Turan
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