Nicht Bilder, sondern Orte

Von Johannes Halder |
Im vergangenen Mai erzielte ein Gemälde des amerikanischen Abstrakten Expressionisten Mark Rothko den Rekordpreis von knapp 73 Millionen Dollar bei einer Auktion in New York. Trotz dieser exorbitanten Preisentwicklung und der besonderen Fragilität seiner Werke können in der Münchner Retrospektive annähernd 100 Werke von Leihgebern aus der ganzen Welt gezeigt werden.
Es war wohl nicht zu verhindern, dass Mark Rothkos berühmte Farbfelder mittlerweile auch im Postershop eines skandinavischen Möbelhauses gelandet sind - die Meditationsikonen als dekorative Drucksachen für den Massenmarkt. Auch wir haben uns längst daran gewöhnt, dass sich mit Rothko-Kunstpostkarten ebenso gut gratulieren wie kondolieren lässt: die farbigen Motive für Feste und Feiern, die dunklen für den Trauerfall. Doch Kurator Oliver Wick kann sich vorstellen, wie der Maler selbst darauf reagiert hätte:

"Ich glaube, da hätte er sich sehr dagegen gestemmt. Rothko ist einer der meist abgebildeten Künstler, wenn es um Postkarten geht vor allem. Er ist auch, obwohl es ein abstrakter Maler ist, in einem großen Bevölkerungskreis bekannt wegen der schönen Farben, und das ist vielleicht auch etwas, worunter er als Künstler selbst auch immer wieder gelitten hat, weil seine Kunst nicht dekorativ war, und es ging eigentlich auch nicht um die schönen Farben. Aber die Farbe war natürlich ein Mittel, um diese Direktheit mit dem Betrachter zu erreichen."

Natürlich kommt man auch in München der Schönheit wegen zu Rothkos Bildern. Es ist keine Sünde, die schwebende Balance seiner Farbflächen bloß im Vorübergehen zu bestaunen, den wolkigen Nebel der gestisch kolorierten Zonen einfach zu genießen, das leise Pulsieren der Farben nur zu ahnen. Zuvor werden wir ohnehin durch das Fegefeuer seines figürlichen Frühwerks aus den 30er Jahren geschickt. Das sind urbane Szenen, die oft Menschen in U-Bahn-Schächten zeigen, auf Treppen und in schlichten Räumen, in matten Farben kreidig und trocken gemalt, Zeugnisse einer kargen Zeit.

Der amerikanische Staat hatte damals, im Zuge der Weltwirtschaftskrise, eine Art Notprogramm für Künstler eingerichtet; gefragt waren Wandbilder für Postgebäude oder U-Bahn-Stationen, und auch Rothko hatte sich mit kleinen Bildentwürfen um solche Aufträge beworben.

"Bei Rothko waren das mit Gips präparierte Hartholzplatten oder Täfelchen, die er dann in einer Art Freskotechnik bemalt hat. Und in dem Zusammenhang müssen wir auch diese Gemälde sehen, die zwar völlig frei und unabhängig von diesen Notstandsaufträgen entstanden sind, aber sie gehören doch im Kontext eben in diese Jahre hinein."

Schon hier deutet sich an, was später passieren wird, mit extrem verflachten Bildräumen, mit steilen Perspektiven und der gekratzten Textur der Oberflächen. Doch zunächst tröstet sich Rothko mit mythologischen Motiven über die geistige Krise der Nachkriegszeit hinweg, indem er die Dramen der Antike als Modelle zur Erklärung der Kriegskatastrophe bemüht.

Es entsteht daraus ein spröder Surrealismus mit biomorphen Formen, die sich allmählich in Flecken auflösen und schließlich Ende der 40er Jahre zu den berühmten farbigen Flächen führen, den so genannten "Multiformen", wo sorgsam austarierte Farbfelder mit watteweichen Konturen schwebend übereinander liegen. Dass solche Bilder einer speziellen Art der Rezeption bedürfen, war Rothko klar.

"Er hat schon 1950 gesagt, er würde sich wünschen, dass es in Amerika Orte, kleine Räume gibt, wo ein einzelnes Bild von ihm aufgehängt ist, wo - und das ist noch interessant - der Wanderer, also der Pilger innehalten könne und sich quasi in der Meditation vor dem Bild versenken. Der Anspruch eben, einen Raum zu stiften, eine Wahrnehmungskapelle."

1958 hatte Rothko das erreicht, was er sich immer wünschte: einen ganzen Raum zu gestalten. Er bekam den äußerst lukrativen Auftrag für das Restaurant des New Yorker Seagram Buildings. Doch als der Zyklus fertig ist, gibt er das Geld zurück. Er kann es nicht ertragen, dass die Bilder als reine Dekoration zur visuellen Unterhaltung der speisenden Gäste dienen sollten.

"Das Ganze endet letztlich im Desaster, er behält die Bilder für sich zurück. Aber als er mit dieser Serie fertig ist, sagt er: They are not paintings, I have made a place. - Also das sind keine Bilder, ich habe einen Ort geschaffen."

Rothko hat die Bilder später der Tate Gallery in London geschenkt, wo sie bis heute hängen, im so genannten "Rothko Room". Auszuleihen sind sie nicht, aber die Studien dazu zählen zu den ergreifendsten Exponaten der Münchner Schau.

Das Bild als Ort, diese geistige Versenkung und körperliche Verschmelzung, die sich Rothko vorgestellt hatte, gelingt freilich nicht immer - dazu müsste man mit den Bildern wohl alleine sein. Doch wenn man Glück hat, kann man auch in München erleben, dass einen die Farben regelrecht durchfluten.

"Er sagt, ich muss visuelle Reize stiften, die in diesem Bild ein leises Pulsieren zur Folge haben, die den Betrachter mit auf eine Reise durch das Bild nehmen, nach hinten und nach vorne, er macht Purzelbäume, er geht hoch und runter, diagonal und quer, so in etwa liest sich das. Und wenn Sie dann die Bilder so um 1948/49 herum anschauen, haben wir zum ersten Mal dieses farbliche Pulsieren."

Dass Rothkos späte Bilder immer dunkler werden, die Farben immer reduzierter, ist oft mit seiner Depression erklärt worden. Doch das Schwarz war immer präsent, und sei es nur als schmaler Balken, an dem sich die prekäre Balance der Flächen spannungsvoll zu reiben beginnt.

Zu kämpfen hat der kranke Künstler damals auch mit seinem eigenen Gleichgewicht. Er schluckt schachtelweise Psychopillen, wird zum Alkoholiker und schneidet sich im Februar 1970 schließlich in depressiver Verzweiflung die Pulsadern auf - Rothko verblutet im Atelier, ein Selbstmord wie ein Ritual.

Schwarz auf Schwarz sind seine letzten Bilder, die Farbe ist buchstäblich abgetaucht. Es ist eine Verweigerungshaltung, die Umkehrung dessen, den Betrachter in den Bildraum hineinzuziehen. Jetzt wird er regelrecht hinausgeworfen. Die Farben sind nicht mehr schwebend, wattig und weich gesetzt, sondern in scharfkantig begrenzten Flächen, abweisend, undurchdringlich. In autoritärer Größe bauen sich die Bilder vor uns auf, hermetisch wie verschlossene Türen. Und das ist das eigentliche Drama dieser Malerei.

Info:
Die Ausstellung ist bis zum 27. April in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München zu sehen, danach in veränderter Fassung in der Hamburger Kunsthalle.
www.hypo-kunsthalle.de