Neues in der Theaterwelt

Von Ruth Fühner · 13.01.2007
Vor 225 Jahren wurden Friedrich Schillers "Räuber" in Mannheim uraufgeführt. Es war der genialische Prankenhieb eines damals noch namenlosen Autors, der sich gleich mit seinem ersten Stück ins Zentrum der Sturm-und-Drang-Epoche schrieb. Schiller lieferte eine fundamentale Selbstkritik der aufstrebenden bürgerlichen Ideologie.
Er kam nicht unerwartet, der Eklat vom 13. Januar 1782. Das Stück, das an diesem Abend am Nationaltheater in Mannheim uraufgeführt wurde, galt bereits als berüchtigt, seit es im Jahr zuvor anonym gedruckt erschienen war. Und alle, alle wollten es jetzt auf der Bühne sehen.

"Aus der ganzen Umgegend, von Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Worms, Speier usw. waren die Leute zu Ross und zu Wagen herbeigeströmt","

berichtet ein Freund des Autors, der sich seinerseits heimlich aus seinem Dienst als Stuttgarter Regimentsmedicus davongemacht hatte, um der Uraufführung beizuwohnen. Doch ganz so, wie "Die Räuber" an diesem Abend gegeben wurden, hatte der junge Friedrich Schiller sich das beim Schreiben nicht vorgestellt. Von wegen Werktreue! Eigentlich spielte das Stück fast noch in der Gegenwart, nämlich in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Doch der rebellische Tenor der "Räuber", so fürchtete Theaterdirektor Dalberg, könnte als Aufruf zum Umsturz missverstanden werden. Und so verlegte er die Handlung vorsichtshalber 300 Jahre zurück.

Dabei hatte er allerdings die Rechnung ohne sein Ensemble gemacht, das damals in Mannheim erstaunliche Mitbestimmungsrechte besaß. Jedenfalls trat an diesem Abend der Starschauspieler August Wilhelm Iffland als Franz Moor in höchst gegenwärtiger Kostümierung auf - gekleidet in

""eine blaue Atlasweste und Hosen, Tricots, weiße Binde und einen spanischen weißen Mantel","

und rückte so den alles Hergebrachte umstürzenden Anspruch seiner Figur auch visuell in schockierende Nähe:

""Ich habe große Rechte, über die Natur ungehalten zu sein, und bei meiner Ehre, ich will sie geltend machen. Sie gab mir nichts mit - wozu ich mich machen will, das ist nun meine Sache. Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten; Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze."

Das Mannheimer Publikum war vertraut mit Shakespeare und Voltaire, und es liebte Ifflands eigene Stücke, in denen die bürgerliche Welt trotz aller Verwicklungen am Ende doch immer wohl eingerichtet schien. Was für ein Aufruhr dagegen in den "Räubern"! Franz Moor, die neidische Kanaille, der den Vater gegen seinen Bruder Karl aufhetzt und geistig zugrunde richtet, und Karl, der durch diese Intrige zum Räuberhauptmann wird. Ein kalter Zyniker, dem vor lauter intellektuellem Hochmut nichts mehr heilig ist, und ein Gefühlsmensch, der im Vollgefühl seines Rechts mordet und brandschatzt, obwohl er eigentlich ein edles Herz hat! Es ist nicht nur Größenwahn, wenn Karl am Ende konstatiert:

"Da steh' ich am Rand eines entsetzlichen Lebens und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen, dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grund richten würden."

Und obwohl sich Karl, der Räuberhauptmann, am Ende seinen weltlichen Richtern unterwirft, das Publikum, wie dieser Augenzeuge, empfand vielleicht mehr als es verstand, dass die Erschütterung, die dem voranging, keine gewöhnliche gewesen war.

"Das Theater glich einem Irrenhaus, rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür. Es war eine allgemeine Auflösung wie ein Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht."

Schiller selbst dürfte die Aufführung eher ungerührt verfolgt haben. Die Schwächen des Stückes kritisierte er in einer anonymen Selbstrezension mit bemerkenswerter Distanz zum eigenen Werk:

"Wenn man es dem Verfasser nicht an den Schönheiten anmerkt, dass er sich in seinen Shakespeare vergafft hat, so merkt man es desto gewisser an den Ausschweifungen."

Doch dramaturgische Krittelei kann nicht verdecken, dass mit diesem Stück etwas Neues in die Welt gekommen war: eine fundamentale Selbstkritik der aufstrebenden bürgerlichen Ideologie. Mochte das Titelblatt der "Räuber" sich auch "Gegen die Tyrannen" richten - Schiller, der gepiesackte und bevorzugte Zögling seines herzoglichen Landesherrn, ruft darin nicht zum Sturz des abgelebten Feudalismus auf. Zur Diskussion steht vielmehr die Zukunft. Gleich in seinem allerersten Stück zeichnet Schiller das Schreckensbild einer Aufklärung, die sich selbst vernichtet, wenn sie in Materialismus und Nihilismus mündet. Und das ist der wirkliche Grund dafür, dass "Die Räuber" auch 225 Jahre nach ihrer Uraufführung noch schrecklich modern sind.