Neu im Kino: "Körper und Seele"

Die Zärtlichkeit der Hirsche

Filmszene aus "On Body and Soul" der ungarischen Filmregisseurin Ildikó Enyedi
Mit "Körper und Seele" gewann Regisseurin Ildikó Enyedi in diesem Jahr den Goldenen Bären. © Berlinale
Von Hannelore Haider · 20.09.2017
Die introvertierte Mária und ihr Kollege Endre begegnen sich jede Nacht im Traum: Als Hirsch und Hirschkuh durchstreifen sie den Wald. Doch im wirklichen Leben sind sie beide gehemmt und die Annäherung verläuft nur zögerlich. "Körper und Seele" ist eine berührende Liebesgeschichte zweier bindungsunfähiger Menschen.

Worum geht es?

Ein Hirsch mit mächtigem Geweih und eine Hirschkuh durchstreifen einen verschneiten Wald und – plötzlicher Szenenwechsel – eine Kuh wird routiniert und emotionslos im modernen Fleischbetrieb geschlachtet.
Die Gegensätze könnten nicht größer sein und doch bilden sie den Rahmen für eine poetische Liebesgeschichte. Sie spielt im Budapester Schlachthof, wo Mária (Alexandra Bobély) als allseits gefürchtete Qualitätskontrolleurin und Endre (Géza Morcsany) als respektierter Finanzdirektor arbeiten. Sie sind beide Eigenbrötler und sitzen allein am Mittagstisch in der Kantine, bis Mária den ersten Schritt auf Endre zu macht.
Dieser Vorstoß ist der Anfang einer melancholischen, etwas skurrilen und auch komischen Liebesgeschichte zwischen zwei bindungsunfähigen Menschen. Denn sie haben eines gemeinsam: Sie träumen jede Nacht den gleichen und damit gemeinsamen Traum von edlen Tieren in einem verschneiten Wald.

Was ist das Besondere?

Der Film löst ein Menschheitsproblem, nämlich das der Verbindung von Mann und Frau, in einer sehr eigenwilligen und berührenden Geschichte auf. Die Helden sind beide von Ängsten gefesselt, die jeder von uns kennt.
Regisseurin Ildikó Enyedi spitzt zwar zu, wenn sie der blonden, zarten Mária einen autistischen Kontext gibt und Endre einen gelähmten Arm, aber andererseits schafft sie damit auch die Möglichkeit, die Figuren über ihre Ängste reflektieren zu lassen.
Beide liegen auf der Couch eines Psychiaters, beide unterziehen sich auf deren Rat einem gewissen Training, um sich von ihren Hemmnissen zu befreien. Das bringt einen feinen Humor in den problembeladenen Film und verhindert, dass uns die beiden einfach nur leid tun.
Ildiko Enyedi steht vor dem Berlinale-Palast und hält den Goldenen Bären in die Höhe. 
Ildiko Enyedi hat mit "Körper und Seele" den Goldenen Bären 2017 gewonnen.© AFP/John Macdougall

Bewertung:

Die wahrlich merkwürdige Liebesgeschichte bezaubert von der ersten Szene an, in der sich die edlen Hirsche aufs Zärtlichste und ohne Scheu in unberührter Natur verbinden. Dieses Sehnsuchtsbild schlägt einen Ton an, dem der Film fortan treu bleibt. Wir sehen zwei Menschen, die diesen Bildern folgen, so unbeholfen und immer wieder auch scheiternd sie sich dabei anstellen.
Dass die sensible Liebesgeschichte nicht im ätherisch freien Raum schwebt, sondern ganz natürlich im realistisch gezeichneten Alltag wurzelt, erhöht ihre Glaubwürdigkeit und schützt sie vor Kitsch. Beide Darsteller spielen herausragend.

"Körper und Seele"
Ungarn 2017, Regie: Ildikó Enyedi
Darsteller: Alexandra Bobély, Géza Morsány
Länge: 116 Minuten, FSK: ab 12

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